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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Eilftes Buch, viertes Capitel.
thon und diese Danae, vermöge der moralischen Be-
griffe des einen oder andern, der über dieses Buch gut
oder übel urtheilen wird, hätten handeln sollen, oder
gehandelt haben würden, wenn sie nicht gewesen wären,
was sie waren. Das Recht zu urtheilen kann und soll
niemandem streitig gemacht werden; unsre Pflicht ist zu
erzählen, nicht zu dichten; und wir können nichts da-
für, wenn Agathon bey dieser Gelegenheit sich nicht
weise und heldenmässig genug, um die Hochachtung
strenger Sittenrichter zu verdienen, verhalten; oder
wenn Danae die Rechte des weiblichen Stolzes nicht so
gut behaupten sollte, als viele andre, welche dem Him-
mel danken, daß sie keine Danaen sind, an ihrem
Plaze gethan haben würden.

Die schöne Danae erwartete, auf ihrem Sopha
stzend, den Besuch, den sie bekommen sollte, mit so vie-
ler Stärke als eine weibliche Seele nur immer zu haben
fähig seyn mag, welche zugleich so zärtlich und lebhaft
ist, als eine solche Seele seyn kann -. Ob es wol weib-
liche Seelen giebt? -- O mein Herr, ich sagte ihnen
ja, daß der lezte Theil dieses Capitels nicht für sie ge-
schrieben sey -- Sie mögen vielleicht überall in Zweifel
ziehen, ob die Weiber Seelen haben; denn wenn sie
Seelen haben, so sind es weibliche Seelen, der Him-
mel bewahre uns vor den Penthesileen und Männinnen,
an denen nichts als die Figur weiblich ist! -- Doch
darüber wollen wir izt nicht streiten. Danae erwartete
also den Anblik ihres Flüchtlings mit ziemlicher Stand-

haftigkeit;
Y 4

Eilftes Buch, viertes Capitel.
thon und dieſe Danae, vermoͤge der moraliſchen Be-
griffe des einen oder andern, der uͤber dieſes Buch gut
oder uͤbel urtheilen wird, haͤtten handeln ſollen, oder
gehandelt haben wuͤrden, wenn ſie nicht geweſen waͤren,
was ſie waren. Das Recht zu urtheilen kann und ſoll
niemandem ſtreitig gemacht werden; unſre Pflicht iſt zu
erzaͤhlen, nicht zu dichten; und wir koͤnnen nichts da-
fuͤr, wenn Agathon bey dieſer Gelegenheit ſich nicht
weiſe und heldenmaͤſſig genug, um die Hochachtung
ſtrenger Sittenrichter zu verdienen, verhalten; oder
wenn Danae die Rechte des weiblichen Stolzes nicht ſo
gut behaupten ſollte, als viele andre, welche dem Him-
mel danken, daß ſie keine Danaen ſind, an ihrem
Plaze gethan haben wuͤrden.

Die ſchoͤne Danae erwartete, auf ihrem Sopha
ſtzend, den Beſuch, den ſie bekommen ſollte, mit ſo vie-
ler Staͤrke als eine weibliche Seele nur immer zu haben
faͤhig ſeyn mag, welche zugleich ſo zaͤrtlich und lebhaft
iſt, als eine ſolche Seele ſeyn kann ‒. Ob es wol weib-
liche Seelen giebt? ‒‒ O mein Herr, ich ſagte ihnen
ja, daß der lezte Theil dieſes Capitels nicht fuͤr ſie ge-
ſchrieben ſey ‒‒ Sie moͤgen vielleicht uͤberall in Zweifel
ziehen, ob die Weiber Seelen haben; denn wenn ſie
Seelen haben, ſo ſind es weibliche Seelen, der Him-
mel bewahre uns vor den Pentheſileen und Maͤnninnen,
an denen nichts als die Figur weiblich iſt! ‒‒ Doch
daruͤber wollen wir izt nicht ſtreiten. Danae erwartete
alſo den Anblik ihres Fluͤchtlings mit ziemlicher Stand-

haftigkeit;
Y 4
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[343/0345] Eilftes Buch, viertes Capitel. thon und dieſe Danae, vermoͤge der moraliſchen Be- griffe des einen oder andern, der uͤber dieſes Buch gut oder uͤbel urtheilen wird, haͤtten handeln ſollen, oder gehandelt haben wuͤrden, wenn ſie nicht geweſen waͤren, was ſie waren. Das Recht zu urtheilen kann und ſoll niemandem ſtreitig gemacht werden; unſre Pflicht iſt zu erzaͤhlen, nicht zu dichten; und wir koͤnnen nichts da- fuͤr, wenn Agathon bey dieſer Gelegenheit ſich nicht weiſe und heldenmaͤſſig genug, um die Hochachtung ſtrenger Sittenrichter zu verdienen, verhalten; oder wenn Danae die Rechte des weiblichen Stolzes nicht ſo gut behaupten ſollte, als viele andre, welche dem Him- mel danken, daß ſie keine Danaen ſind, an ihrem Plaze gethan haben wuͤrden. Die ſchoͤne Danae erwartete, auf ihrem Sopha ſtzend, den Beſuch, den ſie bekommen ſollte, mit ſo vie- ler Staͤrke als eine weibliche Seele nur immer zu haben faͤhig ſeyn mag, welche zugleich ſo zaͤrtlich und lebhaft iſt, als eine ſolche Seele ſeyn kann ‒. Ob es wol weib- liche Seelen giebt? ‒‒ O mein Herr, ich ſagte ihnen ja, daß der lezte Theil dieſes Capitels nicht fuͤr ſie ge- ſchrieben ſey ‒‒ Sie moͤgen vielleicht uͤberall in Zweifel ziehen, ob die Weiber Seelen haben; denn wenn ſie Seelen haben, ſo ſind es weibliche Seelen, der Him- mel bewahre uns vor den Pentheſileen und Maͤnninnen, an denen nichts als die Figur weiblich iſt! ‒‒ Doch daruͤber wollen wir izt nicht ſtreiten. Danae erwartete alſo den Anblik ihres Fluͤchtlings mit ziemlicher Stand- haftigkeit; Y 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/345>, abgerufen am 29.03.2024.