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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
dem Dion angetragen wurde; so würde er doch dem
Agathon wenig geholfen haben, wenn seine italiänischen
Freunde nicht geeilet hätten, dem Tyrannen einen noch
dringendern Beweggrund vorzulegen. Aber zu eben die-
ser Zeit langten Gesandte von Tarent an, um im Namen
des Archytas, welcher alles in dieser Republik vermochte,
die Freylassung seines Freundes zu bewürken, und im
Nothfall zu erklären, daß diese Republik sich genöthi-
get sehen würde, die Partey Dions mit ihrer ganzen
Macht zu unterstüzen, wofern Dionys sich länger wei-
gern wollte, diesem Prinzen sowol als dem Agathon
vollkommne Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Dionys
kannte den Character des Archytas zu gut, um an dem
Ernst dieser Drohung zweifeln zu können. Er hofte sich
also am besten aus der Sache zu ziehen, wenn er unter
der Versicherung, daß er von einer Aussöhnung mit
seinem Schwager nicht abgeneigt sey, in die Entlassung
Agathons einwilligte. Aber dieser erklärte sich, daß er
seine Entlassung weder als eine Gnade von dem Dionys
annehmen, noch der Fürbitte seiner Freunde zu danken
haben wolle. Er verlangte, daß die Verbrechen, um
derentwillen er in Verhaft genommen worden, öffentlich
angezeigt, und in Gegenwart des Dionys, der Gesand-
ten von Tarent und der Vornehmsten zu Syracus, un-
tersucht, seine Rechtfertigung gehört, und sein Urtheil
nach den Gesezen ausgesprochen werden sollte. Da er
sich bewußt war, daß ausser seinen neuerlichen Verbin-
dungen mit dem Dion, welche leicht zu rechtfertigen
waren, seine boßhaftesten Hässer nichts mit einigem

Schein
R 2

Zehentes Buch, drittes Capitel.
dem Dion angetragen wurde; ſo wuͤrde er doch dem
Agathon wenig geholfen haben, wenn ſeine italiaͤniſchen
Freunde nicht geeilet haͤtten, dem Tyrannen einen noch
dringendern Beweggrund vorzulegen. Aber zu eben die-
ſer Zeit langten Geſandte von Tarent an, um im Namen
des Archytas, welcher alles in dieſer Republik vermochte,
die Freylaſſung ſeines Freundes zu bewuͤrken, und im
Nothfall zu erklaͤren, daß dieſe Republik ſich genoͤthi-
get ſehen wuͤrde, die Partey Dions mit ihrer ganzen
Macht zu unterſtuͤzen, wofern Dionys ſich laͤnger wei-
gern wollte, dieſem Prinzen ſowol als dem Agathon
vollkommne Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen. Dionys
kannte den Character des Archytas zu gut, um an dem
Ernſt dieſer Drohung zweifeln zu koͤnnen. Er hofte ſich
alſo am beſten aus der Sache zu ziehen, wenn er unter
der Verſicherung, daß er von einer Ausſoͤhnung mit
ſeinem Schwager nicht abgeneigt ſey, in die Entlaſſung
Agathons einwilligte. Aber dieſer erklaͤrte ſich, daß er
ſeine Entlaſſung weder als eine Gnade von dem Dionys
annehmen, noch der Fuͤrbitte ſeiner Freunde zu danken
haben wolle. Er verlangte, daß die Verbrechen, um
derentwillen er in Verhaft genommen worden, oͤffentlich
angezeigt, und in Gegenwart des Dionys, der Geſand-
ten von Tarent und der Vornehmſten zu Syracus, un-
terſucht, ſeine Rechtfertigung gehoͤrt, und ſein Urtheil
nach den Geſezen ausgeſprochen werden ſollte. Da er
ſich bewußt war, daß auſſer ſeinen neuerlichen Verbin-
dungen mit dem Dion, welche leicht zu rechtfertigen
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Schein
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[259/0261] Zehentes Buch, drittes Capitel. dem Dion angetragen wurde; ſo wuͤrde er doch dem Agathon wenig geholfen haben, wenn ſeine italiaͤniſchen Freunde nicht geeilet haͤtten, dem Tyrannen einen noch dringendern Beweggrund vorzulegen. Aber zu eben die- ſer Zeit langten Geſandte von Tarent an, um im Namen des Archytas, welcher alles in dieſer Republik vermochte, die Freylaſſung ſeines Freundes zu bewuͤrken, und im Nothfall zu erklaͤren, daß dieſe Republik ſich genoͤthi- get ſehen wuͤrde, die Partey Dions mit ihrer ganzen Macht zu unterſtuͤzen, wofern Dionys ſich laͤnger wei- gern wollte, dieſem Prinzen ſowol als dem Agathon vollkommne Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen. Dionys kannte den Character des Archytas zu gut, um an dem Ernſt dieſer Drohung zweifeln zu koͤnnen. Er hofte ſich alſo am beſten aus der Sache zu ziehen, wenn er unter der Verſicherung, daß er von einer Ausſoͤhnung mit ſeinem Schwager nicht abgeneigt ſey, in die Entlaſſung Agathons einwilligte. Aber dieſer erklaͤrte ſich, daß er ſeine Entlaſſung weder als eine Gnade von dem Dionys annehmen, noch der Fuͤrbitte ſeiner Freunde zu danken haben wolle. Er verlangte, daß die Verbrechen, um derentwillen er in Verhaft genommen worden, oͤffentlich angezeigt, und in Gegenwart des Dionys, der Geſand- ten von Tarent und der Vornehmſten zu Syracus, un- terſucht, ſeine Rechtfertigung gehoͤrt, und ſein Urtheil nach den Geſezen ausgeſprochen werden ſollte. Da er ſich bewußt war, daß auſſer ſeinen neuerlichen Verbin- dungen mit dem Dion, welche leicht zu rechtfertigen waren, ſeine boßhafteſten Haͤſſer nichts mit einigem Schein R 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/261>, abgerufen am 26.04.2024.