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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
unter einer heillosen Regierung, und die immer vergeb-
liche Bemühung, dem reissenden Strom der Verderbnis
entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Un-
muth erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer gall-
süchtigen Melancholie, im Grunde die Frucht der edel-
sten Menschenliebe ist. Er beschloß also, mit ihm gemeine
Sache zu machen. Er entdekte sich den Freunden Dions,
welche, erfreut über den Beytritt eines Mannes, der
durch seine Talente und seine Gunst beym Volke ihrer
Parthey das Uebergewicht zu geben vermögend war,
ihm hinwieder die ganze Beschaffenheit der Angelegen-
heiten Dions, die Anzahl seiner Freunde, und die ge-
heimen Anstalten entdekten, welche in Erwartung irgend
eines günstigen Zufalls, bereits zu seiner Zurükkunft
nach Sicilien gemacht worden waren: Und so wurde
Agathon in kurzer Zeit aus einem Freund und ersten
Minister des Dionys, das Haupt einer Conspiration
gegen ihn, an welcher alle diejenigen Antheil nahmen,
die aus edlern oder eigennüzigern Bewegursachen, mit
der gegenwärtigen Verfassung unzufrieden waren. Aga-
thon entwarf einen Plan, wie die ganze Sache geführt
werden sollte; und dieses sezte ihn in einen geheimen
Briefwechsel mit Dion, wodurch die bessere Meynung,
welche einer von dem andern zu fassen angefangen hatte,
immer mehr befestiget wurde. Der Hof, in Lustbar-
keiten und ein wollüstiges Vergessen aller Gefahren ver-
sunken, begünstigte den Fortgang der Conspiration
durch eine Sorglosigkeit, welche so wenig natürlich
schien, daß die Zusammenverschwohrnen dadurch beun-
ruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre Wachsamkeit,
und (was bey Unternehmungen von dieser Art am mei-

sten

Zehentes Buch, drittes Capitel.
unter einer heilloſen Regierung, und die immer vergeb-
liche Bemuͤhung, dem reiſſenden Strom der Verderbnis
entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Un-
muth erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer gall-
ſuͤchtigen Melancholie, im Grunde die Frucht der edel-
ſten Menſchenliebe iſt. Er beſchloß alſo, mit ihm gemeine
Sache zu machen. Er entdekte ſich den Freunden Dions,
welche, erfreut uͤber den Beytritt eines Mannes, der
durch ſeine Talente und ſeine Gunſt beym Volke ihrer
Parthey das Uebergewicht zu geben vermoͤgend war,
ihm hinwieder die ganze Beſchaffenheit der Angelegen-
heiten Dions, die Anzahl ſeiner Freunde, und die ge-
heimen Anſtalten entdekten, welche in Erwartung irgend
eines guͤnſtigen Zufalls, bereits zu ſeiner Zuruͤkkunft
nach Sicilien gemacht worden waren: Und ſo wurde
Agathon in kurzer Zeit aus einem Freund und erſten
Miniſter des Dionys, das Haupt einer Conſpiration
gegen ihn, an welcher alle diejenigen Antheil nahmen,
die aus edlern oder eigennuͤzigern Bewegurſachen, mit
der gegenwaͤrtigen Verfaſſung unzufrieden waren. Aga-
thon entwarf einen Plan, wie die ganze Sache gefuͤhrt
werden ſollte; und dieſes ſezte ihn in einen geheimen
Briefwechſel mit Dion, wodurch die beſſere Meynung,
welche einer von dem andern zu faſſen angefangen hatte,
immer mehr befeſtiget wurde. Der Hof, in Luſtbar-
keiten und ein wolluͤſtiges Vergeſſen aller Gefahren ver-
ſunken, beguͤnſtigte den Fortgang der Conſpiration
durch eine Sorgloſigkeit, welche ſo wenig natuͤrlich
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ruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre Wachſamkeit,
und (was bey Unternehmungen von dieſer Art am mei-

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[255/0257] Zehentes Buch, drittes Capitel. unter einer heilloſen Regierung, und die immer vergeb- liche Bemuͤhung, dem reiſſenden Strom der Verderbnis entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Un- muth erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer gall- ſuͤchtigen Melancholie, im Grunde die Frucht der edel- ſten Menſchenliebe iſt. Er beſchloß alſo, mit ihm gemeine Sache zu machen. Er entdekte ſich den Freunden Dions, welche, erfreut uͤber den Beytritt eines Mannes, der durch ſeine Talente und ſeine Gunſt beym Volke ihrer Parthey das Uebergewicht zu geben vermoͤgend war, ihm hinwieder die ganze Beſchaffenheit der Angelegen- heiten Dions, die Anzahl ſeiner Freunde, und die ge- heimen Anſtalten entdekten, welche in Erwartung irgend eines guͤnſtigen Zufalls, bereits zu ſeiner Zuruͤkkunft nach Sicilien gemacht worden waren: Und ſo wurde Agathon in kurzer Zeit aus einem Freund und erſten Miniſter des Dionys, das Haupt einer Conſpiration gegen ihn, an welcher alle diejenigen Antheil nahmen, die aus edlern oder eigennuͤzigern Bewegurſachen, mit der gegenwaͤrtigen Verfaſſung unzufrieden waren. Aga- thon entwarf einen Plan, wie die ganze Sache gefuͤhrt werden ſollte; und dieſes ſezte ihn in einen geheimen Briefwechſel mit Dion, wodurch die beſſere Meynung, welche einer von dem andern zu faſſen angefangen hatte, immer mehr befeſtiget wurde. Der Hof, in Luſtbar- keiten und ein wolluͤſtiges Vergeſſen aller Gefahren ver- ſunken, beguͤnſtigte den Fortgang der Conſpiration durch eine Sorgloſigkeit, welche ſo wenig natuͤrlich ſchien, daß die Zuſammenverſchwohrnen dadurch beun- ruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre Wachſamkeit, und (was bey Unternehmungen von dieſer Art am mei- ſten

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/257>, abgerufen am 29.03.2024.