der seine Seele schwellte, brach also über den Verräther aus. Er nannte ihn einen falschen Freuud, einen Ver- läumder, einen Nichtswürdigen -- rief alle rächende Gottheiten gegen ihn auf -- schwur, wofern er die Beschuldigungen, womit er die Tugend der schönen Danae zu beschmizen sich erfrechete, nicht bis zur un- betrüglichsten Evidenz erweisen werde, ihn als ein das Sonnenlicht beflekendes Ungeheuer zu vertilgen, und seinen verfluchten Rumpf unbegraben den Vögeln des Himmels preiß zu geben.
Der Sophist sah diesem Sturm mit der Gelassenheit eines Menschen zu, der die Natur der Leidenschaften kennt; so ruhig, wie einer der vom sichern Ufer dem wilden Aufruhr der Wellen zusieht, dem er glüklich ent- gangen ist. Ein mitleidiger Blik, dem ein schalkhaftes Lächeln seinen zweydeutigen Werth vollends benahm, war alles, was er dem Zorn des aufgebrachten Lieb- habers entgegensezte. Agathon stuzte darüber. Ein schreklicher Zweifel warf ihn auf einmal auf die entge- gengesezte Seite. Rede, Grausamer, rief er aus, rede! Beweise deine hassenswürdigen Anklagen so klar als Sonnenschein; oder bekenne, daß du ein verräthrischer Elender bist, und vergeh vor Schaam! -- Bist du bey Sinnen, Callias, antwortete der Sophist mit dieser verruchten Gelassenheit, welche in solchen Um- ständen der triumphierenden Boßheit eigen ist -- komm erst zu dir selbst; sobald du fähig seyn wirst, Vernunft anzuhören, will ich reden.
Agathon
Agathon.
der ſeine Seele ſchwellte, brach alſo uͤber den Verraͤther aus. Er nannte ihn einen falſchen Freuud, einen Ver- laͤumder, einen Nichtswuͤrdigen — rief alle raͤchende Gottheiten gegen ihn auf — ſchwur, wofern er die Beſchuldigungen, womit er die Tugend der ſchoͤnen Danae zu beſchmizen ſich erfrechete, nicht bis zur un- betruͤglichſten Evidenz erweiſen werde, ihn als ein das Sonnenlicht beflekendes Ungeheuer zu vertilgen, und ſeinen verfluchten Rumpf unbegraben den Voͤgeln des Himmels preiß zu geben.
Der Sophiſt ſah dieſem Sturm mit der Gelaſſenheit eines Menſchen zu, der die Natur der Leidenſchaften kennt; ſo ruhig, wie einer der vom ſichern Ufer dem wilden Aufruhr der Wellen zuſieht, dem er gluͤklich ent- gangen iſt. Ein mitleidiger Blik, dem ein ſchalkhaftes Laͤcheln ſeinen zweydeutigen Werth vollends benahm, war alles, was er dem Zorn des aufgebrachten Lieb- habers entgegenſezte. Agathon ſtuzte daruͤber. Ein ſchreklicher Zweifel warf ihn auf einmal auf die entge- gengeſezte Seite. Rede, Grauſamer, rief er aus, rede! Beweiſe deine haſſenswuͤrdigen Anklagen ſo klar als Sonnenſchein; oder bekenne, daß du ein verraͤthriſcher Elender biſt, und vergeh vor Schaam! — Biſt du bey Sinnen, Callias, antwortete der Sophiſt mit dieſer verruchten Gelaſſenheit, welche in ſolchen Um- ſtaͤnden der triumphierenden Boßheit eigen iſt — komm erſt zu dir ſelbſt; ſobald du faͤhig ſeyn wirſt, Vernunft anzuhoͤren, will ich reden.
Agathon
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Agathon.
der ſeine Seele ſchwellte, brach alſo uͤber den Verraͤther
aus. Er nannte ihn einen falſchen Freuud, einen Ver-
laͤumder, einen Nichtswuͤrdigen — rief alle raͤchende
Gottheiten gegen ihn auf — ſchwur, wofern er
die Beſchuldigungen, womit er die Tugend der ſchoͤnen
Danae zu beſchmizen ſich erfrechete, nicht bis zur un-
betruͤglichſten Evidenz erweiſen werde, ihn als ein das
Sonnenlicht beflekendes Ungeheuer zu vertilgen, und
ſeinen verfluchten Rumpf unbegraben den Voͤgeln des
Himmels preiß zu geben.
Der Sophiſt ſah dieſem Sturm mit der Gelaſſenheit
eines Menſchen zu, der die Natur der Leidenſchaften
kennt; ſo ruhig, wie einer der vom ſichern Ufer dem
wilden Aufruhr der Wellen zuſieht, dem er gluͤklich ent-
gangen iſt. Ein mitleidiger Blik, dem ein ſchalkhaftes
Laͤcheln ſeinen zweydeutigen Werth vollends benahm,
war alles, was er dem Zorn des aufgebrachten Lieb-
habers entgegenſezte. Agathon ſtuzte daruͤber. Ein
ſchreklicher Zweifel warf ihn auf einmal auf die entge-
gengeſezte Seite. Rede, Grauſamer, rief er aus, rede!
Beweiſe deine haſſenswuͤrdigen Anklagen ſo klar als
Sonnenſchein; oder bekenne, daß du ein verraͤthriſcher
Elender biſt, und vergeh vor Schaam! — Biſt
du bey Sinnen, Callias, antwortete der Sophiſt mit
dieſer verruchten Gelaſſenheit, welche in ſolchen Um-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/24>, abgerufen am 16.07.2024.
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