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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
ihre Stelle leicht durch eine andere besezt werden könnte,
welche sich versuchen lassen möchte, einen schlimmern
Gebrauch von ihren Reizungen zu machen. Er hielt es
also seiner nicht unwürdig, mit guter Art, und ohne
daß es schien, als ob er einige besondern Aufmerksam-
keit auf sie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr
zu unterhalten als zu bekämpfen. Er verschafte ihr Ge-
legenheit, ihre belustigende Talente in einer Mannichfal-
tigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen
der Neuheit gab. Er wußte es zu veranstalten, daß
Dionys durch öftere kleine Entfernungen verhindert
wurde, sich zu bald an dem Vergnügen zu ersättigen,
welches er in den Armen dieser angenehmen Creatur zu
finden schien. Er gieng endlich gar so weit, daß er
bey Gelegenheit eines Gesprächs, wo die Rede von den
allzustrengen Grundsäzen des Plato über diesen Artikel
war, sich kein Bedenken machte, zu sagen: Daß es un-
billig sey, einen Prinzen, welcher sich die Erfüllung
seiner grossen und wesentlichen Pflichten mit gehörigem
Ernst angelegen seyn lasse, in seinen Privat-Ergözun-
gen über die Grenzen einer anständigen Mässigung ein-
schränken zu wollen. Alles, was ihm hierüber wiewol
in allgemeinen Ausdrüken, entfiel, schien die Bedeutung
einer stillschweigenden Einwilligung in die Schwachheit
des Prinzen für die schöne Bacchidion zu haben, und
in der That war dieses sein Gedanke. Wir lassen da-
hin gestellt seyn, ob die gute Absicht die er dabey hatte,
hinlänglich seyn mag, eine so gefährliche Aeusserung zu
rechtfertigen; aber es ist gewiß, daß Dionys, der bis-

her

Agathon.
ihre Stelle leicht durch eine andere beſezt werden koͤnnte,
welche ſich verſuchen laſſen moͤchte, einen ſchlimmern
Gebrauch von ihren Reizungen zu machen. Er hielt es
alſo ſeiner nicht unwuͤrdig, mit guter Art, und ohne
daß es ſchien, als ob er einige beſondern Aufmerkſam-
keit auf ſie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr
zu unterhalten als zu bekaͤmpfen. Er verſchafte ihr Ge-
legenheit, ihre beluſtigende Talente in einer Mannichfal-
tigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen
der Neuheit gab. Er wußte es zu veranſtalten, daß
Dionys durch oͤftere kleine Entfernungen verhindert
wurde, ſich zu bald an dem Vergnuͤgen zu erſaͤttigen,
welches er in den Armen dieſer angenehmen Creatur zu
finden ſchien. Er gieng endlich gar ſo weit, daß er
bey Gelegenheit eines Geſpraͤchs, wo die Rede von den
allzuſtrengen Grundſaͤzen des Plato uͤber dieſen Artikel
war, ſich kein Bedenken machte, zu ſagen: Daß es un-
billig ſey, einen Prinzen, welcher ſich die Erfuͤllung
ſeiner groſſen und weſentlichen Pflichten mit gehoͤrigem
Ernſt angelegen ſeyn laſſe, in ſeinen Privat-Ergoͤzun-
gen uͤber die Grenzen einer anſtaͤndigen Maͤſſigung ein-
ſchraͤnken zu wollen. Alles, was ihm hieruͤber wiewol
in allgemeinen Ausdruͤken, entfiel, ſchien die Bedeutung
einer ſtillſchweigenden Einwilligung in die Schwachheit
des Prinzen fuͤr die ſchoͤne Bacchidion zu haben, und
in der That war dieſes ſein Gedanke. Wir laſſen da-
hin geſtellt ſeyn, ob die gute Abſicht die er dabey hatte,
hinlaͤnglich ſeyn mag, eine ſo gefaͤhrliche Aeuſſerung zu
rechtfertigen; aber es iſt gewiß, daß Dionys, der bis-

her
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[202/0204] Agathon. ihre Stelle leicht durch eine andere beſezt werden koͤnnte, welche ſich verſuchen laſſen moͤchte, einen ſchlimmern Gebrauch von ihren Reizungen zu machen. Er hielt es alſo ſeiner nicht unwuͤrdig, mit guter Art, und ohne daß es ſchien, als ob er einige beſondern Aufmerkſam- keit auf ſie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr zu unterhalten als zu bekaͤmpfen. Er verſchafte ihr Ge- legenheit, ihre beluſtigende Talente in einer Mannichfal- tigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen der Neuheit gab. Er wußte es zu veranſtalten, daß Dionys durch oͤftere kleine Entfernungen verhindert wurde, ſich zu bald an dem Vergnuͤgen zu erſaͤttigen, welches er in den Armen dieſer angenehmen Creatur zu finden ſchien. Er gieng endlich gar ſo weit, daß er bey Gelegenheit eines Geſpraͤchs, wo die Rede von den allzuſtrengen Grundſaͤzen des Plato uͤber dieſen Artikel war, ſich kein Bedenken machte, zu ſagen: Daß es un- billig ſey, einen Prinzen, welcher ſich die Erfuͤllung ſeiner groſſen und weſentlichen Pflichten mit gehoͤrigem Ernſt angelegen ſeyn laſſe, in ſeinen Privat-Ergoͤzun- gen uͤber die Grenzen einer anſtaͤndigen Maͤſſigung ein- ſchraͤnken zu wollen. Alles, was ihm hieruͤber wiewol in allgemeinen Ausdruͤken, entfiel, ſchien die Bedeutung einer ſtillſchweigenden Einwilligung in die Schwachheit des Prinzen fuͤr die ſchoͤne Bacchidion zu haben, und in der That war dieſes ſein Gedanke. Wir laſſen da- hin geſtellt ſeyn, ob die gute Abſicht die er dabey hatte, hinlaͤnglich ſeyn mag, eine ſo gefaͤhrliche Aeuſſerung zu rechtfertigen; aber es iſt gewiß, daß Dionys, der bis- her

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/204>, abgerufen am 26.04.2024.