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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, fünftes Capitel.
ben bestärken konnte. Dieser Philosoph erhielt also den
Auftrag, dem Agathon Vorschläge zu thun. Agathon
entschuldigte sich mit seiner Abneigung vor dem geschäf-
tigen Leben, und bestimmte den Tag seiner Abreise.
Dionys wurde dringender. Agathon bestand auf sei-
ner Weigerung, aber mit einer so bescheidenen Art, daß
man hoffen konnte, er werde sich bewegen lassen. Jn
der That war seine Absicht nur, die Zuneigung eines
so wenig zuverlässigen Prinzen zuvor auf die Probe zu
stellen, eh er sich in Verbindungen einlassen wollte,
welche für das Glük anderer und für seine eigene Ruhe
so gute oder so schlimme Folgen haben konnten.

Endlich, da er Ursache hatte zu glauben, daß die
Hochachtung die er ihm eingeflößt hatte, etwas mehr
als ein launischer Geschmak sey, gab er seinem Anhal-
ten nach; aber nicht anders als unter gewissen Be-
dingungen, welche ihm Dionys zugestehen mußte. Er
erklärte sich, daß er allein in der Qualität seines Freun-
des an seinem Hofe bleiben wollte, so lange als ihn
Dionys dafür erkennen, und seiner Dienste nöthig zu
haben glauben würde; er wollte sich aber auch nicht
fesseln lassen, und die Freyheit behalten sich zurükzu-
ziehen, so bald er sähe, daß sein Daseyn zu nichts nüze
sey. Die einzige Belohnung, welche er sich befügt halte
für seine Dienste zu verlangen, sey diese, daß Dionys
seinen Räthen folgen möchte, so lange er werde zeigen
können, daß dadurch jedesmal das Beste der Nation,
und die Sicherheit, der Ruhm und die Privat-Glük-

seligkeit
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Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
ben beſtaͤrken konnte. Dieſer Philoſoph erhielt alſo den
Auftrag, dem Agathon Vorſchlaͤge zu thun. Agathon
entſchuldigte ſich mit ſeiner Abneigung vor dem geſchaͤf-
tigen Leben, und beſtimmte den Tag ſeiner Abreiſe.
Dionys wurde dringender. Agathon beſtand auf ſei-
ner Weigerung, aber mit einer ſo beſcheidenen Art, daß
man hoffen konnte, er werde ſich bewegen laſſen. Jn
der That war ſeine Abſicht nur, die Zuneigung eines
ſo wenig zuverlaͤſſigen Prinzen zuvor auf die Probe zu
ſtellen, eh er ſich in Verbindungen einlaſſen wollte,
welche fuͤr das Gluͤk anderer und fuͤr ſeine eigene Ruhe
ſo gute oder ſo ſchlimme Folgen haben konnten.

Endlich, da er Urſache hatte zu glauben, daß die
Hochachtung die er ihm eingefloͤßt hatte, etwas mehr
als ein launiſcher Geſchmak ſey, gab er ſeinem Anhal-
ten nach; aber nicht anders als unter gewiſſen Be-
dingungen, welche ihm Dionys zugeſtehen mußte. Er
erklaͤrte ſich, daß er allein in der Qualitaͤt ſeines Freun-
des an ſeinem Hofe bleiben wollte, ſo lange als ihn
Dionys dafuͤr erkennen, und ſeiner Dienſte noͤthig zu
haben glauben wuͤrde; er wollte ſich aber auch nicht
feſſeln laſſen, und die Freyheit behalten ſich zuruͤkzu-
ziehen, ſo bald er ſaͤhe, daß ſein Daſeyn zu nichts nuͤze
ſey. Die einzige Belohnung, welche er ſich befuͤgt halte
fuͤr ſeine Dienſte zu verlangen, ſey dieſe, daß Dionys
ſeinen Raͤthen folgen moͤchte, ſo lange er werde zeigen
koͤnnen, daß dadurch jedesmal das Beſte der Nation,
und die Sicherheit, der Ruhm und die Privat-Gluͤk-

ſeligkeit
M 5
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[185/0187] Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. ben beſtaͤrken konnte. Dieſer Philoſoph erhielt alſo den Auftrag, dem Agathon Vorſchlaͤge zu thun. Agathon entſchuldigte ſich mit ſeiner Abneigung vor dem geſchaͤf- tigen Leben, und beſtimmte den Tag ſeiner Abreiſe. Dionys wurde dringender. Agathon beſtand auf ſei- ner Weigerung, aber mit einer ſo beſcheidenen Art, daß man hoffen konnte, er werde ſich bewegen laſſen. Jn der That war ſeine Abſicht nur, die Zuneigung eines ſo wenig zuverlaͤſſigen Prinzen zuvor auf die Probe zu ſtellen, eh er ſich in Verbindungen einlaſſen wollte, welche fuͤr das Gluͤk anderer und fuͤr ſeine eigene Ruhe ſo gute oder ſo ſchlimme Folgen haben konnten. Endlich, da er Urſache hatte zu glauben, daß die Hochachtung die er ihm eingefloͤßt hatte, etwas mehr als ein launiſcher Geſchmak ſey, gab er ſeinem Anhal- ten nach; aber nicht anders als unter gewiſſen Be- dingungen, welche ihm Dionys zugeſtehen mußte. Er erklaͤrte ſich, daß er allein in der Qualitaͤt ſeines Freun- des an ſeinem Hofe bleiben wollte, ſo lange als ihn Dionys dafuͤr erkennen, und ſeiner Dienſte noͤthig zu haben glauben wuͤrde; er wollte ſich aber auch nicht feſſeln laſſen, und die Freyheit behalten ſich zuruͤkzu- ziehen, ſo bald er ſaͤhe, daß ſein Daſeyn zu nichts nuͤze ſey. Die einzige Belohnung, welche er ſich befuͤgt halte fuͤr ſeine Dienſte zu verlangen, ſey dieſe, daß Dionys ſeinen Raͤthen folgen moͤchte, ſo lange er werde zeigen koͤnnen, daß dadurch jedesmal das Beſte der Nation, und die Sicherheit, der Ruhm und die Privat-Gluͤk- ſeligkeit M 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/187>, abgerufen am 29.03.2024.