Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Buch, fünftes Capitel.
haben, wenn er seiner Eingebung gefolget hätte. Aber
eine andere Stimme (war es seine Eitelkeit, oder der
Gedanke ein grosses Vorhaben nicht um einer so gering-
fügigen Ursache willen aufzugeben? -- oder war es die
Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Thorheiten
der Grossen, welche Achtung für uns zeigen, mit nach-
sichtvollen Augen einzusehen?) flüsterte ihm ein: Daß
der Geschmak für die Musik, und die besondere An-
muthung für ein gewisses Jnstrument, eine Sache sey,
welche von unsrer Organisation abhange; und daß es
ihm nur desto leichter seyn werde, sich des Herzens die-
ses Prinzen zu versichern, je mehr er von den Geschik-
lichkeiten besize, wodurch man seinen Beyfall erhalten
könne.

Die Gunst, in welche er sich in so kurzer Zeit und
durch so zweydeutige Verdienste bey dem Tyrannen ge-
sezt, stieg bald darauf, bey Gelegenheit einer academi-
schen Versammlung, welche Dionys mit grossen Feyer-
lichkeiten veranstaltete, zu einem solchen Grade, daß
Philistus, der bisher noch zwischen Furcht und Hof-
nung geschwebet hatte, seinen Fall nunmehr für gewiß
hielt.

Dionys hatte vom Aristipp in der Stille vernommen,
daß Agathon ehmals ein Schüler Platons gewesen, und
während seines Glüksstandes zu Athen für einen der grös-
sesten Redner in dieser schwazhaften Republik gehalten
worden sey. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an sei-

nem

Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
haben, wenn er ſeiner Eingebung gefolget haͤtte. Aber
eine andere Stimme (war es ſeine Eitelkeit, oder der
Gedanke ein groſſes Vorhaben nicht um einer ſo gering-
fuͤgigen Urſache willen aufzugeben? ‒‒ oder war es die
Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Thorheiten
der Groſſen, welche Achtung fuͤr uns zeigen, mit nach-
ſichtvollen Augen einzuſehen?) fluͤſterte ihm ein: Daß
der Geſchmak fuͤr die Muſik, und die beſondere An-
muthung fuͤr ein gewiſſes Jnſtrument, eine Sache ſey,
welche von unſrer Organiſation abhange; und daß es
ihm nur deſto leichter ſeyn werde, ſich des Herzens die-
ſes Prinzen zu verſichern, je mehr er von den Geſchik-
lichkeiten beſize, wodurch man ſeinen Beyfall erhalten
koͤnne.

Die Gunſt, in welche er ſich in ſo kurzer Zeit und
durch ſo zweydeutige Verdienſte bey dem Tyrannen ge-
ſezt, ſtieg bald darauf, bey Gelegenheit einer academi-
ſchen Verſammlung, welche Dionys mit groſſen Feyer-
lichkeiten veranſtaltete, zu einem ſolchen Grade, daß
Philiſtus, der bisher noch zwiſchen Furcht und Hof-
nung geſchwebet hatte, ſeinen Fall nunmehr fuͤr gewiß
hielt.

Dionys hatte vom Ariſtipp in der Stille vernommen,
daß Agathon ehmals ein Schuͤler Platons geweſen, und
waͤhrend ſeines Gluͤksſtandes zu Athen fuͤr einen der groͤſ-
ſeſten Redner in dieſer ſchwazhaften Republik gehalten
worden ſey. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an ſei-

nem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0175" n="173"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neuntes Buch, fu&#x0364;nftes Capitel.</hi></fw><lb/>
haben, wenn er &#x017F;einer Eingebung gefolget ha&#x0364;tte. Aber<lb/>
eine andere Stimme (war es &#x017F;eine Eitelkeit, oder der<lb/>
Gedanke ein gro&#x017F;&#x017F;es Vorhaben nicht um einer &#x017F;o gering-<lb/>
fu&#x0364;gigen Ur&#x017F;ache willen aufzugeben? &#x2012;&#x2012; oder war es die<lb/>
Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Thorheiten<lb/>
der Gro&#x017F;&#x017F;en, welche Achtung fu&#x0364;r uns zeigen, mit nach-<lb/>
&#x017F;ichtvollen Augen einzu&#x017F;ehen?) flu&#x0364;&#x017F;terte ihm ein: Daß<lb/>
der Ge&#x017F;chmak fu&#x0364;r die Mu&#x017F;ik, und die be&#x017F;ondere An-<lb/>
muthung fu&#x0364;r ein gewi&#x017F;&#x017F;es Jn&#x017F;trument, eine Sache &#x017F;ey,<lb/>
welche von un&#x017F;rer Organi&#x017F;ation abhange; und daß es<lb/>
ihm nur de&#x017F;to leichter &#x017F;eyn werde, &#x017F;ich des Herzens die-<lb/>
&#x017F;es Prinzen zu ver&#x017F;ichern, je mehr er von den Ge&#x017F;chik-<lb/>
lichkeiten be&#x017F;ize, wodurch man &#x017F;einen Beyfall erhalten<lb/>
ko&#x0364;nne.</p><lb/>
            <p>Die Gun&#x017F;t, in welche er &#x017F;ich in &#x017F;o kurzer Zeit und<lb/>
durch &#x017F;o zweydeutige Verdien&#x017F;te bey dem Tyrannen ge-<lb/>
&#x017F;ezt, &#x017F;tieg bald darauf, bey Gelegenheit einer academi-<lb/>
&#x017F;chen Ver&#x017F;ammlung, welche Dionys mit gro&#x017F;&#x017F;en Feyer-<lb/>
lichkeiten veran&#x017F;taltete, zu einem &#x017F;olchen Grade, daß<lb/>
Phili&#x017F;tus, der bisher noch zwi&#x017F;chen Furcht und Hof-<lb/>
nung ge&#x017F;chwebet hatte, &#x017F;einen Fall nunmehr fu&#x0364;r gewiß<lb/>
hielt.</p><lb/>
            <p>Dionys hatte vom Ari&#x017F;tipp in der Stille vernommen,<lb/>
daß Agathon ehmals ein Schu&#x0364;ler Platons gewe&#x017F;en, und<lb/>
wa&#x0364;hrend &#x017F;eines Glu&#x0364;ks&#x017F;tandes zu Athen fu&#x0364;r einen der gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e&#x017F;ten Redner in die&#x017F;er &#x017F;chwazhaften Republik gehalten<lb/>
worden &#x017F;ey. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nem</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0175] Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. haben, wenn er ſeiner Eingebung gefolget haͤtte. Aber eine andere Stimme (war es ſeine Eitelkeit, oder der Gedanke ein groſſes Vorhaben nicht um einer ſo gering- fuͤgigen Urſache willen aufzugeben? ‒‒ oder war es die Schwachheit, die uns geneigt macht, alle Thorheiten der Groſſen, welche Achtung fuͤr uns zeigen, mit nach- ſichtvollen Augen einzuſehen?) fluͤſterte ihm ein: Daß der Geſchmak fuͤr die Muſik, und die beſondere An- muthung fuͤr ein gewiſſes Jnſtrument, eine Sache ſey, welche von unſrer Organiſation abhange; und daß es ihm nur deſto leichter ſeyn werde, ſich des Herzens die- ſes Prinzen zu verſichern, je mehr er von den Geſchik- lichkeiten beſize, wodurch man ſeinen Beyfall erhalten koͤnne. Die Gunſt, in welche er ſich in ſo kurzer Zeit und durch ſo zweydeutige Verdienſte bey dem Tyrannen ge- ſezt, ſtieg bald darauf, bey Gelegenheit einer academi- ſchen Verſammlung, welche Dionys mit groſſen Feyer- lichkeiten veranſtaltete, zu einem ſolchen Grade, daß Philiſtus, der bisher noch zwiſchen Furcht und Hof- nung geſchwebet hatte, ſeinen Fall nunmehr fuͤr gewiß hielt. Dionys hatte vom Ariſtipp in der Stille vernommen, daß Agathon ehmals ein Schuͤler Platons geweſen, und waͤhrend ſeines Gluͤksſtandes zu Athen fuͤr einen der groͤſ- ſeſten Redner in dieſer ſchwazhaften Republik gehalten worden ſey. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an ſei- nem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/175
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/175>, abgerufen am 25.11.2024.