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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
gang in ihr Herz zu finden. Der grosse Tanzai von
Scheschian, ein Kenner übrigens von Verdiensten,
kannte doch kein grösseres als die Leyer gut zu spielen.
Dionys hegte ein so günstiges Vorurtheil für die Cithar,
daß der beste Cithar-Spieler in seinen Augen der grös-
seste Mann auf dem Erdboden war. Er spielte sie zwar
selbst nicht; aber er gab sich für einen Kenner, und
rühmte sich die grössesten Virtuosen auf diesem wunder-
thätigen Jnstrument an seinem Hofe zu haben. Zu gu-
tem Glüke hatte Agathon zu Delphi die Cithar schlagen
gelernt, und bey der schönen Danae, welche eine Mei-
sterin auf allen Sayten-Jnstrumenten der damaligen
Zeit war, einige Lectionen genommen, die ihn vollkom-
men gemacht hatten. Kurz, Agathon nahm das dritte
oder vierte mahl, da er mit dem Dionys zu Nacht aß,
eine Cithar, begleitete darauf einen Dithyramben des
Damon, (der von einer feinen Stimme gesungen, und
von der schönen Bacchidion getanzt wurde) und sezte
seine Hoheit dadurch in eine so übermässige Entzüknng,
daß der ganze Hof von diesem Augenblik an für ausge-
macht hielt, ihn in kurzem zur Würde eines erklärten
Günstlings erhoben zu sehen. Dionys überhäufte ihn
in der ersten Aufwallung seiner Bewunderung mit Lieb-
tosungen, welche unserm Helden beynahe allen Muth be-
nahmen. Himmel! dachte er, was werde ich mit ei-
nem König anfangen, der bereit ist, den ersten Nenan-
gekommenen an die Spize seines Staats zu sezen, weil
er ein guter Citharschläger ist? Dieser erste Gedanke war
sehr gründlich, und würde ihm vieles Ungemach erspart

haben,

Agathon.
gang in ihr Herz zu finden. Der groſſe Tanzai von
Scheſchian, ein Kenner uͤbrigens von Verdienſten,
kannte doch kein groͤſſeres als die Leyer gut zu ſpielen.
Dionys hegte ein ſo guͤnſtiges Vorurtheil fuͤr die Cithar,
daß der beſte Cithar-Spieler in ſeinen Augen der groͤſ-
ſeſte Mann auf dem Erdboden war. Er ſpielte ſie zwar
ſelbſt nicht; aber er gab ſich fuͤr einen Kenner, und
ruͤhmte ſich die groͤſſeſten Virtuoſen auf dieſem wunder-
thaͤtigen Jnſtrument an ſeinem Hofe zu haben. Zu gu-
tem Gluͤke hatte Agathon zu Delphi die Cithar ſchlagen
gelernt, und bey der ſchoͤnen Danae, welche eine Mei-
ſterin auf allen Sayten-Jnſtrumenten der damaligen
Zeit war, einige Lectionen genommen, die ihn vollkom-
men gemacht hatten. Kurz, Agathon nahm das dritte
oder vierte mahl, da er mit dem Dionys zu Nacht aß,
eine Cithar, begleitete darauf einen Dithyramben des
Damon, (der von einer feinen Stimme geſungen, und
von der ſchoͤnen Bacchidion getanzt wurde) und ſezte
ſeine Hoheit dadurch in eine ſo uͤbermaͤſſige Entzuͤknng,
daß der ganze Hof von dieſem Augenblik an fuͤr ausge-
macht hielt, ihn in kurzem zur Wuͤrde eines erklaͤrten
Guͤnſtlings erhoben zu ſehen. Dionys uͤberhaͤufte ihn
in der erſten Aufwallung ſeiner Bewunderung mit Lieb-
toſungen, welche unſerm Helden beynahe allen Muth be-
nahmen. Himmel! dachte er, was werde ich mit ei-
nem Koͤnig anfangen, der bereit iſt, den erſten Nenan-
gekommenen an die Spize ſeines Staats zu ſezen, weil
er ein guter Citharſchlaͤger iſt? Dieſer erſte Gedanke war
ſehr gruͤndlich, und wuͤrde ihm vieles Ungemach erſpart

haben,
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[172/0174] Agathon. gang in ihr Herz zu finden. Der groſſe Tanzai von Scheſchian, ein Kenner uͤbrigens von Verdienſten, kannte doch kein groͤſſeres als die Leyer gut zu ſpielen. Dionys hegte ein ſo guͤnſtiges Vorurtheil fuͤr die Cithar, daß der beſte Cithar-Spieler in ſeinen Augen der groͤſ- ſeſte Mann auf dem Erdboden war. Er ſpielte ſie zwar ſelbſt nicht; aber er gab ſich fuͤr einen Kenner, und ruͤhmte ſich die groͤſſeſten Virtuoſen auf dieſem wunder- thaͤtigen Jnſtrument an ſeinem Hofe zu haben. Zu gu- tem Gluͤke hatte Agathon zu Delphi die Cithar ſchlagen gelernt, und bey der ſchoͤnen Danae, welche eine Mei- ſterin auf allen Sayten-Jnſtrumenten der damaligen Zeit war, einige Lectionen genommen, die ihn vollkom- men gemacht hatten. Kurz, Agathon nahm das dritte oder vierte mahl, da er mit dem Dionys zu Nacht aß, eine Cithar, begleitete darauf einen Dithyramben des Damon, (der von einer feinen Stimme geſungen, und von der ſchoͤnen Bacchidion getanzt wurde) und ſezte ſeine Hoheit dadurch in eine ſo uͤbermaͤſſige Entzuͤknng, daß der ganze Hof von dieſem Augenblik an fuͤr ausge- macht hielt, ihn in kurzem zur Wuͤrde eines erklaͤrten Guͤnſtlings erhoben zu ſehen. Dionys uͤberhaͤufte ihn in der erſten Aufwallung ſeiner Bewunderung mit Lieb- toſungen, welche unſerm Helden beynahe allen Muth be- nahmen. Himmel! dachte er, was werde ich mit ei- nem Koͤnig anfangen, der bereit iſt, den erſten Nenan- gekommenen an die Spize ſeines Staats zu ſezen, weil er ein guter Citharſchlaͤger iſt? Dieſer erſte Gedanke war ſehr gruͤndlich, und wuͤrde ihm vieles Ungemach erſpart haben,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/174>, abgerufen am 26.11.2024.