Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Buch, fünftes Capitel.

Dem sey indessen wie ihm wolle, so hatte Aristipp
nichts angelegners, als des nächsten Morgens den Prin-
zen, dem er bey seinem Aufstehen aufzuwarten pflegte,
von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten,
und eine so vortheilhafte Abschilderung von ihm zu ma-
chen, daß Dionys begierig wurde, diesen ausserordent-
lichen Menschen von Person zu kennen. Aristipp er-
hielt also den Auftrag, ihn unverzüglich nach Hofe zu
bringen; und er vollzog denselben, ohne unsern Hel-
den merken zu lassen, wieviel Antheil er an dieser Neu-
gier des Prinzen gehabt hatte.

Agathon sah eine so bald erfolgende Einladung als ein
gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit sie an-
zunehmen. Er erschien also vor dem Dionys, der ihn
mitten unter seinen Hofleuten auf eine sehr leutselige
Art empfieng. Er erfuhr bey dieser Gelegenheit aber-
mal, daß die Schönheit eine stumme Empfehlung an
alle Menschen, welche Augen haben, ist. Diese Ge-
stalt des Vaticanischen Apollo, die ihm schon so man-
chen guten -- und schlimmen -- Dienst gethan, die ihm
die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der
Athenienser zugezogen, ihn in den Augen der thrazischen
Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der schönen
Danae zum liebenswürdigsten der Sterblichen gemacht
hatte --- Diese Gestalt, diese einnehmende Gesichts-
Bildung, diese mit Würde und Anstand zusammenflies-
sende Grazie, welche allen seinen Bewegungen und Hand-
lungen eigen war -- thaten ihre Würkung, und zogen

ihm
L 5
Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.

Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo hatte Ariſtipp
nichts angelegners, als des naͤchſten Morgens den Prin-
zen, dem er bey ſeinem Aufſtehen aufzuwarten pflegte,
von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten,
und eine ſo vortheilhafte Abſchilderung von ihm zu ma-
chen, daß Dionys begierig wurde, dieſen auſſerordent-
lichen Menſchen von Perſon zu kennen. Ariſtipp er-
hielt alſo den Auftrag, ihn unverzuͤglich nach Hofe zu
bringen; und er vollzog denſelben, ohne unſern Hel-
den merken zu laſſen, wieviel Antheil er an dieſer Neu-
gier des Prinzen gehabt hatte.

Agathon ſah eine ſo bald erfolgende Einladung als ein
gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit ſie an-
zunehmen. Er erſchien alſo vor dem Dionys, der ihn
mitten unter ſeinen Hofleuten auf eine ſehr leutſelige
Art empfieng. Er erfuhr bey dieſer Gelegenheit aber-
mal, daß die Schoͤnheit eine ſtumme Empfehlung an
alle Menſchen, welche Augen haben, iſt. Dieſe Ge-
ſtalt des Vaticaniſchen Apollo, die ihm ſchon ſo man-
chen guten ‒‒ und ſchlimmen ‒‒ Dienſt gethan, die ihm
die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der
Athenienſer zugezogen, ihn in den Augen der thraziſchen
Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der ſchoͤnen
Danae zum liebenswuͤrdigſten der Sterblichen gemacht
hatte ‒‒‒ Dieſe Geſtalt, dieſe einnehmende Geſichts-
Bildung, dieſe mit Wuͤrde und Anſtand zuſammenflieſ-
ſende Grazie, welche allen ſeinen Bewegungen und Hand-
lungen eigen war ‒‒ thaten ihre Wuͤrkung, und zogen

ihm
L 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0171" n="169"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neuntes Buch, fu&#x0364;nftes Capitel.</hi> </fw><lb/>
            <p>Dem &#x017F;ey inde&#x017F;&#x017F;en wie ihm wolle, &#x017F;o hatte Ari&#x017F;tipp<lb/>
nichts angelegners, als des na&#x0364;ch&#x017F;ten Morgens den Prin-<lb/>
zen, dem er bey &#x017F;einem Auf&#x017F;tehen aufzuwarten pflegte,<lb/>
von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten,<lb/>
und eine &#x017F;o vortheilhafte Ab&#x017F;childerung von ihm zu ma-<lb/>
chen, daß Dionys begierig wurde, die&#x017F;en au&#x017F;&#x017F;erordent-<lb/>
lichen Men&#x017F;chen von Per&#x017F;on zu kennen. Ari&#x017F;tipp er-<lb/>
hielt al&#x017F;o den Auftrag, ihn unverzu&#x0364;glich nach Hofe zu<lb/>
bringen; und er vollzog den&#x017F;elben, ohne un&#x017F;ern Hel-<lb/>
den merken zu la&#x017F;&#x017F;en, wieviel Antheil er an die&#x017F;er Neu-<lb/>
gier des Prinzen gehabt hatte.</p><lb/>
            <p>Agathon &#x017F;ah eine &#x017F;o bald erfolgende Einladung als ein<lb/>
gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit &#x017F;ie an-<lb/>
zunehmen. Er er&#x017F;chien al&#x017F;o vor dem Dionys, der ihn<lb/>
mitten unter &#x017F;einen Hofleuten auf eine &#x017F;ehr leut&#x017F;elige<lb/>
Art empfieng. Er erfuhr bey die&#x017F;er Gelegenheit aber-<lb/>
mal, daß die Scho&#x0364;nheit eine &#x017F;tumme Empfehlung an<lb/>
alle Men&#x017F;chen, welche Augen haben, i&#x017F;t. Die&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;talt des Vaticani&#x017F;chen Apollo, die ihm &#x017F;chon &#x017F;o man-<lb/>
chen guten &#x2012;&#x2012; und &#x017F;chlimmen &#x2012;&#x2012; Dien&#x017F;t gethan, die ihm<lb/>
die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der<lb/>
Athenien&#x017F;er zugezogen, ihn in den Augen der thrazi&#x017F;chen<lb/>
Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Danae zum liebenswu&#x0364;rdig&#x017F;ten der Sterblichen gemacht<lb/>
hatte &#x2012;&#x2012;&#x2012; Die&#x017F;e Ge&#x017F;talt, die&#x017F;e einnehmende Ge&#x017F;ichts-<lb/>
Bildung, die&#x017F;e mit Wu&#x0364;rde und An&#x017F;tand zu&#x017F;ammenflie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ende Grazie, welche allen &#x017F;einen Bewegungen und Hand-<lb/>
lungen eigen war &#x2012;&#x2012; thaten ihre Wu&#x0364;rkung, und zogen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 5</fw><fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0171] Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo hatte Ariſtipp nichts angelegners, als des naͤchſten Morgens den Prin- zen, dem er bey ſeinem Aufſtehen aufzuwarten pflegte, von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten, und eine ſo vortheilhafte Abſchilderung von ihm zu ma- chen, daß Dionys begierig wurde, dieſen auſſerordent- lichen Menſchen von Perſon zu kennen. Ariſtipp er- hielt alſo den Auftrag, ihn unverzuͤglich nach Hofe zu bringen; und er vollzog denſelben, ohne unſern Hel- den merken zu laſſen, wieviel Antheil er an dieſer Neu- gier des Prinzen gehabt hatte. Agathon ſah eine ſo bald erfolgende Einladung als ein gutes Omen an, und machte keine Schwierigkeit ſie an- zunehmen. Er erſchien alſo vor dem Dionys, der ihn mitten unter ſeinen Hofleuten auf eine ſehr leutſelige Art empfieng. Er erfuhr bey dieſer Gelegenheit aber- mal, daß die Schoͤnheit eine ſtumme Empfehlung an alle Menſchen, welche Augen haben, iſt. Dieſe Ge- ſtalt des Vaticaniſchen Apollo, die ihm ſchon ſo man- chen guten ‒‒ und ſchlimmen ‒‒ Dienſt gethan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die Zuneigung der Athenienſer zugezogen, ihn in den Augen der thraziſchen Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der ſchoͤnen Danae zum liebenswuͤrdigſten der Sterblichen gemacht hatte ‒‒‒ Dieſe Geſtalt, dieſe einnehmende Geſichts- Bildung, dieſe mit Wuͤrde und Anſtand zuſammenflieſ- ſende Grazie, welche allen ſeinen Bewegungen und Hand- lungen eigen war ‒‒ thaten ihre Wuͤrkung, und zogen ihm L 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/171
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/171>, abgerufen am 22.11.2024.