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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
lien ans Land gesezt worden war. Um das angebliche
Complot wahrscheinlich zu machen, wurden verschiedene
Freunde Dions, und eine noch grössere Anzahl von
Creaturen des Philistus, welche gegen diesen Prinzen
zu reden bestochen waren, in Verhaft genommen. Man
unterließ nichts, was seinem Proceß das Ansehen der
genauesten Beobachtung der Justiz-Formalitäten geben
konnte; und nachdem er durch die Aussage einer Menge
von Zeugen überwiesen worden war, wurde seine Ver-
bannung in ein förmliches Urtheil gebracht, und ihm
bey Strafe des Lebens verboten, ohne besondere Er-
laubnis des Dionys, Sicilien wieder zu betreten. Dio-
nys stellte sich, als ob er dieses Urtheil ungern und allein
durch die Sorge für die Ruhe des Staats gezwungen
unterzeichne; und um eine Probe zu geben, wie gern er
eines Prinzen, den er allezeit besonders hochgeschäzt
habe, schonen möchte, verwandelte er die Strafe der
Confiscation aller seiner Güter in eine blosse Zurükhal-
tung der Einkünfte von denselben: Aber niemand ließ
sich durch diese Vorspieglungen hintergehen, da man
bald darauf erfuhr, daß er seine Schwester, die Ge-
malin des Dion, gezwungen habe, die Belohnung des
unwürdigen Timocrat zu werden.

Plato spielte bey dieser unerwarteten Catastrophe eine
sehr demüthigende Rolle. Dionys affectierte zwar noch
immer, ein grosser Bewunderer seiner Wissenschaft und
Beredsamkeit zu seyn; aber sein Einfluß hatte so gänz-
lich aufgehört, daß ihm nicht einmal erlaubt war, die

Unschuld

Agathon.
lien ans Land geſezt worden war. Um das angebliche
Complot wahrſcheinlich zu machen, wurden verſchiedene
Freunde Dions, und eine noch groͤſſere Anzahl von
Creaturen des Philiſtus, welche gegen dieſen Prinzen
zu reden beſtochen waren, in Verhaft genommen. Man
unterließ nichts, was ſeinem Proceß das Anſehen der
genaueſten Beobachtung der Juſtiz-Formalitaͤten geben
konnte; und nachdem er durch die Auſſage einer Menge
von Zeugen uͤberwieſen worden war, wurde ſeine Ver-
bannung in ein foͤrmliches Urtheil gebracht, und ihm
bey Strafe des Lebens verboten, ohne beſondere Er-
laubnis des Dionys, Sicilien wieder zu betreten. Dio-
nys ſtellte ſich, als ob er dieſes Urtheil ungern und allein
durch die Sorge fuͤr die Ruhe des Staats gezwungen
unterzeichne; und um eine Probe zu geben, wie gern er
eines Prinzen, den er allezeit beſonders hochgeſchaͤzt
habe, ſchonen moͤchte, verwandelte er die Strafe der
Confiſcation aller ſeiner Guͤter in eine bloſſe Zuruͤkhal-
tung der Einkuͤnfte von denſelben: Aber niemand ließ
ſich durch dieſe Vorſpieglungen hintergehen, da man
bald darauf erfuhr, daß er ſeine Schweſter, die Ge-
malin des Dion, gezwungen habe, die Belohnung des
unwuͤrdigen Timocrat zu werden.

Plato ſpielte bey dieſer unerwarteten Cataſtrophe eine
ſehr demuͤthigende Rolle. Dionys affectierte zwar noch
immer, ein groſſer Bewunderer ſeiner Wiſſenſchaft und
Beredſamkeit zu ſeyn; aber ſein Einfluß hatte ſo gaͤnz-
lich aufgehoͤrt, daß ihm nicht einmal erlaubt war, die

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[144/0146] Agathon. lien ans Land geſezt worden war. Um das angebliche Complot wahrſcheinlich zu machen, wurden verſchiedene Freunde Dions, und eine noch groͤſſere Anzahl von Creaturen des Philiſtus, welche gegen dieſen Prinzen zu reden beſtochen waren, in Verhaft genommen. Man unterließ nichts, was ſeinem Proceß das Anſehen der genaueſten Beobachtung der Juſtiz-Formalitaͤten geben konnte; und nachdem er durch die Auſſage einer Menge von Zeugen uͤberwieſen worden war, wurde ſeine Ver- bannung in ein foͤrmliches Urtheil gebracht, und ihm bey Strafe des Lebens verboten, ohne beſondere Er- laubnis des Dionys, Sicilien wieder zu betreten. Dio- nys ſtellte ſich, als ob er dieſes Urtheil ungern und allein durch die Sorge fuͤr die Ruhe des Staats gezwungen unterzeichne; und um eine Probe zu geben, wie gern er eines Prinzen, den er allezeit beſonders hochgeſchaͤzt habe, ſchonen moͤchte, verwandelte er die Strafe der Confiſcation aller ſeiner Guͤter in eine bloſſe Zuruͤkhal- tung der Einkuͤnfte von denſelben: Aber niemand ließ ſich durch dieſe Vorſpieglungen hintergehen, da man bald darauf erfuhr, daß er ſeine Schweſter, die Ge- malin des Dion, gezwungen habe, die Belohnung des unwuͤrdigen Timocrat zu werden. Plato ſpielte bey dieſer unerwarteten Cataſtrophe eine ſehr demuͤthigende Rolle. Dionys affectierte zwar noch immer, ein groſſer Bewunderer ſeiner Wiſſenſchaft und Beredſamkeit zu ſeyn; aber ſein Einfluß hatte ſo gaͤnz- lich aufgehoͤrt, daß ihm nicht einmal erlaubt war, die Unſchuld

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/146>, abgerufen am 29.03.2024.