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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, viertes Capitel.
Timocrat verschwendete seine Reichtümer ohne Maß,
mit desto fröhlicherm Gesichte, da er sie eben dadurch
doppelt wieder zu bekommen versichert war. Alle Welt
bewunderte die Erfindungen und den Geschmak dieses
Günstlings; Dionys bezeugte, sich niemals so wol ergözt
zu haben; und der göttliche Plato, der weder auf sei-
nen Reisen zu den Pyramiden und Gymnosophisten,
noch zu Athen so etwas gesehen hatte, wurde von seiner
dichterischen Einbildungs-Kraft so sehr verrathen, daß
er die Gefahren zu vergessen schien, welche unter den
Bezauberungen dieses Orts, und dieser Verschwendung
von Reizungen zum Vergnügen, laurten. Der einzige
Dion erhielt sich in seiner gewöhnlichen Ernsthaftigkeit,
und machte durch den starken Contrast seines finstern
Bezeugens mit der allgemeinen Fröhlichkeit, Eindrüke
auf alle Gemüther, welche nicht wenig dazu beytrugen,
seinen bevorstehenden Fall zu befördern. Jndeß schien
niemand darauf acht zu geben; und in der That ließ
die Vorsorge, welche Timocrat gebraucht hatte, daß
jede Stunde, und beynahe jeder Augenblik ein neues
Vergnügen herbeyführen mußte, wenig Musse, Beob-
achtungen zu machen. Dieser schlaue Höfling hatte ein
Mittel gefunden, dem Plato selbst, bey einer Gelegen-
heit, wo es so wenig zu vermuthen war, auf eine feine
Art zu schmeicheln. Dieses geschah durch ein grosses
pantomimisches Ballet, worinn die Geschichte der mensch-
lichen Seele, nach den Grundsäzen dieses Weisen, un-
ter Bildern, welche er in einigen seiner Schriften an
die Hand gegeben hatte, auf eine allegorische Art vor-

gestellt

Neuntes Buch, viertes Capitel.
Timocrat verſchwendete ſeine Reichtuͤmer ohne Maß,
mit deſto froͤhlicherm Geſichte, da er ſie eben dadurch
doppelt wieder zu bekommen verſichert war. Alle Welt
bewunderte die Erfindungen und den Geſchmak dieſes
Guͤnſtlings; Dionys bezeugte, ſich niemals ſo wol ergoͤzt
zu haben; und der goͤttliche Plato, der weder auf ſei-
nen Reiſen zu den Pyramiden und Gymnoſophiſten,
noch zu Athen ſo etwas geſehen hatte, wurde von ſeiner
dichteriſchen Einbildungs-Kraft ſo ſehr verrathen, daß
er die Gefahren zu vergeſſen ſchien, welche unter den
Bezauberungen dieſes Orts, und dieſer Verſchwendung
von Reizungen zum Vergnuͤgen, laurten. Der einzige
Dion erhielt ſich in ſeiner gewoͤhnlichen Ernſthaftigkeit,
und machte durch den ſtarken Contraſt ſeines finſtern
Bezeugens mit der allgemeinen Froͤhlichkeit, Eindruͤke
auf alle Gemuͤther, welche nicht wenig dazu beytrugen,
ſeinen bevorſtehenden Fall zu befoͤrdern. Jndeß ſchien
niemand darauf acht zu geben; und in der That ließ
die Vorſorge, welche Timocrat gebraucht hatte, daß
jede Stunde, und beynahe jeder Augenblik ein neues
Vergnuͤgen herbeyfuͤhren mußte, wenig Muſſe, Beob-
achtungen zu machen. Dieſer ſchlaue Hoͤfling hatte ein
Mittel gefunden, dem Plato ſelbſt, bey einer Gelegen-
heit, wo es ſo wenig zu vermuthen war, auf eine feine
Art zu ſchmeicheln. Dieſes geſchah durch ein groſſes
pantomimiſches Ballet, worinn die Geſchichte der menſch-
lichen Seele, nach den Grundſaͤzen dieſes Weiſen, un-
ter Bildern, welche er in einigen ſeiner Schriften an
die Hand gegeben hatte, auf eine allegoriſche Art vor-

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[141/0143] Neuntes Buch, viertes Capitel. Timocrat verſchwendete ſeine Reichtuͤmer ohne Maß, mit deſto froͤhlicherm Geſichte, da er ſie eben dadurch doppelt wieder zu bekommen verſichert war. Alle Welt bewunderte die Erfindungen und den Geſchmak dieſes Guͤnſtlings; Dionys bezeugte, ſich niemals ſo wol ergoͤzt zu haben; und der goͤttliche Plato, der weder auf ſei- nen Reiſen zu den Pyramiden und Gymnoſophiſten, noch zu Athen ſo etwas geſehen hatte, wurde von ſeiner dichteriſchen Einbildungs-Kraft ſo ſehr verrathen, daß er die Gefahren zu vergeſſen ſchien, welche unter den Bezauberungen dieſes Orts, und dieſer Verſchwendung von Reizungen zum Vergnuͤgen, laurten. Der einzige Dion erhielt ſich in ſeiner gewoͤhnlichen Ernſthaftigkeit, und machte durch den ſtarken Contraſt ſeines finſtern Bezeugens mit der allgemeinen Froͤhlichkeit, Eindruͤke auf alle Gemuͤther, welche nicht wenig dazu beytrugen, ſeinen bevorſtehenden Fall zu befoͤrdern. Jndeß ſchien niemand darauf acht zu geben; und in der That ließ die Vorſorge, welche Timocrat gebraucht hatte, daß jede Stunde, und beynahe jeder Augenblik ein neues Vergnuͤgen herbeyfuͤhren mußte, wenig Muſſe, Beob- achtungen zu machen. Dieſer ſchlaue Hoͤfling hatte ein Mittel gefunden, dem Plato ſelbſt, bey einer Gelegen- heit, wo es ſo wenig zu vermuthen war, auf eine feine Art zu ſchmeicheln. Dieſes geſchah durch ein groſſes pantomimiſches Ballet, worinn die Geſchichte der menſch- lichen Seele, nach den Grundſaͤzen dieſes Weiſen, un- ter Bildern, welche er in einigen ſeiner Schriften an die Hand gegeben hatte, auf eine allegoriſche Art vor- geſtellt

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/143>, abgerufen am 24.04.2024.