Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Buch, viertes Capitel.

Durch diese und andre dergleichen Kunstgriffe gelang
es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen.
Er sieng an, in die Aufrichtigkeit seines neuen Freun-
des ein desto grösseres Mißtrauen zu sezen, da er über
das besondere Verständniß, welches er zwischen ihm und
dem Dion wahrnahm, eyfersüchtig war; und damit er
desto bälder ins Klare kommen möchte, hielt er für das
Sicherste, den seit einiger Zeit vernachlässigten Timo-
crates wieder an sich zu ziehen; und so bald er sich ver-
sichert hatte, daß er, wie vormals auf seine Ergeben-
heit zählen könne, ihm seine Wahrnehmungen und ge-
heime Besorgnisse zu entdeken. Der schlaue Günstling
stellte sich anfangs, als ob er nicht glauben könne, daß
die Syracusaner im Ernste mit einem solchen Vorhaben
umgehen sollten; wenigstens (sagte er mit der ehrlich-
sten Mine von der Welt) könne er sich nicht vorstellen,
daß Plato und Dion den mindesten Antheil daran ha-
ben sollten; ob er gleich gestehen müßte, daß seit dem
der erste sich am Hofe besinde, die Syracusaner von
einem seltsamen Geiste beseelt würden, und zu den aus-
schweiffenden Einbildungen, welche sie sich zu machen
schienen, vielleicht durch das ausserordentliche Ansehen
verleitet würden, worinn dieser Philosoph bey dem
Prinzen stehe: Es sey nicht unmöglich, daß die Repu-
blicanisch-Gesinnte sich Hofnung machten, Gelegenheit
zu finden, indessen, daß der Hof die Gestalt der Aca-
demie gewänne, dem Staat unvermerkt die Gestalt ei-
ner Democratie zu geben; indessen müsse er gestehen,
daß er nicht Vertrauen genug in seine eigene Einsicht

seze,
Neuntes Buch, viertes Capitel.

Durch dieſe und andre dergleichen Kunſtgriffe gelang
es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen.
Er ſieng an, in die Aufrichtigkeit ſeines neuen Freun-
des ein deſto groͤſſeres Mißtrauen zu ſezen, da er uͤber
das beſondere Verſtaͤndniß, welches er zwiſchen ihm und
dem Dion wahrnahm, eyferſuͤchtig war; und damit er
deſto baͤlder ins Klare kommen moͤchte, hielt er fuͤr das
Sicherſte, den ſeit einiger Zeit vernachlaͤſſigten Timo-
crates wieder an ſich zu ziehen; und ſo bald er ſich ver-
ſichert hatte, daß er, wie vormals auf ſeine Ergeben-
heit zaͤhlen koͤnne, ihm ſeine Wahrnehmungen und ge-
heime Beſorgniſſe zu entdeken. Der ſchlaue Guͤnſtling
ſtellte ſich anfangs, als ob er nicht glauben koͤnne, daß
die Syracuſaner im Ernſte mit einem ſolchen Vorhaben
umgehen ſollten; wenigſtens (ſagte er mit der ehrlich-
ſten Mine von der Welt) koͤnne er ſich nicht vorſtellen,
daß Plato und Dion den mindeſten Antheil daran ha-
ben ſollten; ob er gleich geſtehen muͤßte, daß ſeit dem
der erſte ſich am Hofe beſinde, die Syracuſaner von
einem ſeltſamen Geiſte beſeelt wuͤrden, und zu den aus-
ſchweiffenden Einbildungen, welche ſie ſich zu machen
ſchienen, vielleicht durch das auſſerordentliche Anſehen
verleitet wuͤrden, worinn dieſer Philoſoph bey dem
Prinzen ſtehe: Es ſey nicht unmoͤglich, daß die Repu-
blicaniſch-Geſinnte ſich Hofnung machten, Gelegenheit
zu finden, indeſſen, daß der Hof die Geſtalt der Aca-
demie gewaͤnne, dem Staat unvermerkt die Geſtalt ei-
ner Democratie zu geben; indeſſen muͤſſe er geſtehen,
daß er nicht Vertrauen genug in ſeine eigene Einſicht

ſeze,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0125" n="123"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neuntes Buch, viertes Capitel.</hi> </fw><lb/>
            <p>Durch die&#x017F;e und andre dergleichen Kun&#x017F;tgriffe gelang<lb/>
es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen.<lb/>
Er &#x017F;ieng an, in die Aufrichtigkeit &#x017F;eines neuen Freun-<lb/>
des ein de&#x017F;to gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;eres Mißtrauen zu &#x017F;ezen, da er u&#x0364;ber<lb/>
das be&#x017F;ondere Ver&#x017F;ta&#x0364;ndniß, welches er zwi&#x017F;chen ihm und<lb/>
dem Dion wahrnahm, eyfer&#x017F;u&#x0364;chtig war; und damit er<lb/>
de&#x017F;to ba&#x0364;lder ins Klare kommen mo&#x0364;chte, hielt er fu&#x0364;r das<lb/>
Sicher&#x017F;te, den &#x017F;eit einiger Zeit vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igten Timo-<lb/>
crates wieder an &#x017F;ich zu ziehen; und &#x017F;o bald er &#x017F;ich ver-<lb/>
&#x017F;ichert hatte, daß er, wie vormals auf &#x017F;eine Ergeben-<lb/>
heit za&#x0364;hlen ko&#x0364;nne, ihm &#x017F;eine Wahrnehmungen und ge-<lb/>
heime Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e zu entdeken. Der &#x017F;chlaue Gu&#x0364;n&#x017F;tling<lb/>
&#x017F;tellte &#x017F;ich anfangs, als ob er nicht glauben ko&#x0364;nne, daß<lb/>
die Syracu&#x017F;aner im Ern&#x017F;te mit einem &#x017F;olchen Vorhaben<lb/>
umgehen &#x017F;ollten; wenig&#x017F;tens (&#x017F;agte er mit der ehrlich-<lb/>
&#x017F;ten Mine von der Welt) ko&#x0364;nne er &#x017F;ich nicht vor&#x017F;tellen,<lb/>
daß Plato und Dion den minde&#x017F;ten Antheil daran ha-<lb/>
ben &#x017F;ollten; ob er gleich ge&#x017F;tehen mu&#x0364;ßte, daß &#x017F;eit dem<lb/>
der er&#x017F;te &#x017F;ich am Hofe be&#x017F;inde, die Syracu&#x017F;aner von<lb/>
einem &#x017F;elt&#x017F;amen Gei&#x017F;te be&#x017F;eelt wu&#x0364;rden, und zu den aus-<lb/>
&#x017F;chweiffenden Einbildungen, welche &#x017F;ie &#x017F;ich zu machen<lb/>
&#x017F;chienen, vielleicht durch das au&#x017F;&#x017F;erordentliche An&#x017F;ehen<lb/>
verleitet wu&#x0364;rden, worinn die&#x017F;er Philo&#x017F;oph bey dem<lb/>
Prinzen &#x017F;tehe: Es &#x017F;ey nicht unmo&#x0364;glich, daß die Repu-<lb/>
blicani&#x017F;ch-Ge&#x017F;innte &#x017F;ich Hofnung machten, Gelegenheit<lb/>
zu finden, inde&#x017F;&#x017F;en, daß der Hof die Ge&#x017F;talt der Aca-<lb/>
demie gewa&#x0364;nne, dem Staat unvermerkt die Ge&#x017F;talt ei-<lb/>
ner Democratie zu geben; inde&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e er ge&#x017F;tehen,<lb/>
daß er nicht Vertrauen genug in &#x017F;eine eigene Ein&#x017F;icht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eze,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0125] Neuntes Buch, viertes Capitel. Durch dieſe und andre dergleichen Kunſtgriffe gelang es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen. Er ſieng an, in die Aufrichtigkeit ſeines neuen Freun- des ein deſto groͤſſeres Mißtrauen zu ſezen, da er uͤber das beſondere Verſtaͤndniß, welches er zwiſchen ihm und dem Dion wahrnahm, eyferſuͤchtig war; und damit er deſto baͤlder ins Klare kommen moͤchte, hielt er fuͤr das Sicherſte, den ſeit einiger Zeit vernachlaͤſſigten Timo- crates wieder an ſich zu ziehen; und ſo bald er ſich ver- ſichert hatte, daß er, wie vormals auf ſeine Ergeben- heit zaͤhlen koͤnne, ihm ſeine Wahrnehmungen und ge- heime Beſorgniſſe zu entdeken. Der ſchlaue Guͤnſtling ſtellte ſich anfangs, als ob er nicht glauben koͤnne, daß die Syracuſaner im Ernſte mit einem ſolchen Vorhaben umgehen ſollten; wenigſtens (ſagte er mit der ehrlich- ſten Mine von der Welt) koͤnne er ſich nicht vorſtellen, daß Plato und Dion den mindeſten Antheil daran ha- ben ſollten; ob er gleich geſtehen muͤßte, daß ſeit dem der erſte ſich am Hofe beſinde, die Syracuſaner von einem ſeltſamen Geiſte beſeelt wuͤrden, und zu den aus- ſchweiffenden Einbildungen, welche ſie ſich zu machen ſchienen, vielleicht durch das auſſerordentliche Anſehen verleitet wuͤrden, worinn dieſer Philoſoph bey dem Prinzen ſtehe: Es ſey nicht unmoͤglich, daß die Repu- blicaniſch-Geſinnte ſich Hofnung machten, Gelegenheit zu finden, indeſſen, daß der Hof die Geſtalt der Aca- demie gewaͤnne, dem Staat unvermerkt die Geſtalt ei- ner Democratie zu geben; indeſſen muͤſſe er geſtehen, daß er nicht Vertrauen genug in ſeine eigene Einſicht ſeze,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/125
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/125>, abgerufen am 22.11.2024.