Durch diese und andre dergleichen Kunstgriffe gelang es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen. Er sieng an, in die Aufrichtigkeit seines neuen Freun- des ein desto grösseres Mißtrauen zu sezen, da er über das besondere Verständniß, welches er zwischen ihm und dem Dion wahrnahm, eyfersüchtig war; und damit er desto bälder ins Klare kommen möchte, hielt er für das Sicherste, den seit einiger Zeit vernachlässigten Timo- crates wieder an sich zu ziehen; und so bald er sich ver- sichert hatte, daß er, wie vormals auf seine Ergeben- heit zählen könne, ihm seine Wahrnehmungen und ge- heime Besorgnisse zu entdeken. Der schlaue Günstling stellte sich anfangs, als ob er nicht glauben könne, daß die Syracusaner im Ernste mit einem solchen Vorhaben umgehen sollten; wenigstens (sagte er mit der ehrlich- sten Mine von der Welt) könne er sich nicht vorstellen, daß Plato und Dion den mindesten Antheil daran ha- ben sollten; ob er gleich gestehen müßte, daß seit dem der erste sich am Hofe besinde, die Syracusaner von einem seltsamen Geiste beseelt würden, und zu den aus- schweiffenden Einbildungen, welche sie sich zu machen schienen, vielleicht durch das ausserordentliche Ansehen verleitet würden, worinn dieser Philosoph bey dem Prinzen stehe: Es sey nicht unmöglich, daß die Repu- blicanisch-Gesinnte sich Hofnung machten, Gelegenheit zu finden, indessen, daß der Hof die Gestalt der Aca- demie gewänne, dem Staat unvermerkt die Gestalt ei- ner Democratie zu geben; indessen müsse er gestehen, daß er nicht Vertrauen genug in seine eigene Einsicht
seze,
Neuntes Buch, viertes Capitel.
Durch dieſe und andre dergleichen Kunſtgriffe gelang es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen. Er ſieng an, in die Aufrichtigkeit ſeines neuen Freun- des ein deſto groͤſſeres Mißtrauen zu ſezen, da er uͤber das beſondere Verſtaͤndniß, welches er zwiſchen ihm und dem Dion wahrnahm, eyferſuͤchtig war; und damit er deſto baͤlder ins Klare kommen moͤchte, hielt er fuͤr das Sicherſte, den ſeit einiger Zeit vernachlaͤſſigten Timo- crates wieder an ſich zu ziehen; und ſo bald er ſich ver- ſichert hatte, daß er, wie vormals auf ſeine Ergeben- heit zaͤhlen koͤnne, ihm ſeine Wahrnehmungen und ge- heime Beſorgniſſe zu entdeken. Der ſchlaue Guͤnſtling ſtellte ſich anfangs, als ob er nicht glauben koͤnne, daß die Syracuſaner im Ernſte mit einem ſolchen Vorhaben umgehen ſollten; wenigſtens (ſagte er mit der ehrlich- ſten Mine von der Welt) koͤnne er ſich nicht vorſtellen, daß Plato und Dion den mindeſten Antheil daran ha- ben ſollten; ob er gleich geſtehen muͤßte, daß ſeit dem der erſte ſich am Hofe beſinde, die Syracuſaner von einem ſeltſamen Geiſte beſeelt wuͤrden, und zu den aus- ſchweiffenden Einbildungen, welche ſie ſich zu machen ſchienen, vielleicht durch das auſſerordentliche Anſehen verleitet wuͤrden, worinn dieſer Philoſoph bey dem Prinzen ſtehe: Es ſey nicht unmoͤglich, daß die Repu- blicaniſch-Geſinnte ſich Hofnung machten, Gelegenheit zu finden, indeſſen, daß der Hof die Geſtalt der Aca- demie gewaͤnne, dem Staat unvermerkt die Geſtalt ei- ner Democratie zu geben; indeſſen muͤſſe er geſtehen, daß er nicht Vertrauen genug in ſeine eigene Einſicht
ſeze,
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Neuntes Buch, viertes Capitel.
Durch dieſe und andre dergleichen Kunſtgriffe gelang
es ihnen endlich, dem Dionys Argwohn beyzubringen.
Er ſieng an, in die Aufrichtigkeit ſeines neuen Freun-
des ein deſto groͤſſeres Mißtrauen zu ſezen, da er uͤber
das beſondere Verſtaͤndniß, welches er zwiſchen ihm und
dem Dion wahrnahm, eyferſuͤchtig war; und damit er
deſto baͤlder ins Klare kommen moͤchte, hielt er fuͤr das
Sicherſte, den ſeit einiger Zeit vernachlaͤſſigten Timo-
crates wieder an ſich zu ziehen; und ſo bald er ſich ver-
ſichert hatte, daß er, wie vormals auf ſeine Ergeben-
heit zaͤhlen koͤnne, ihm ſeine Wahrnehmungen und ge-
heime Beſorgniſſe zu entdeken. Der ſchlaue Guͤnſtling
ſtellte ſich anfangs, als ob er nicht glauben koͤnne, daß
die Syracuſaner im Ernſte mit einem ſolchen Vorhaben
umgehen ſollten; wenigſtens (ſagte er mit der ehrlich-
ſten Mine von der Welt) koͤnne er ſich nicht vorſtellen,
daß Plato und Dion den mindeſten Antheil daran ha-
ben ſollten; ob er gleich geſtehen muͤßte, daß ſeit dem
der erſte ſich am Hofe beſinde, die Syracuſaner von
einem ſeltſamen Geiſte beſeelt wuͤrden, und zu den aus-
ſchweiffenden Einbildungen, welche ſie ſich zu machen
ſchienen, vielleicht durch das auſſerordentliche Anſehen
verleitet wuͤrden, worinn dieſer Philoſoph bey dem
Prinzen ſtehe: Es ſey nicht unmoͤglich, daß die Repu-
blicaniſch-Geſinnte ſich Hofnung machten, Gelegenheit
zu finden, indeſſen, daß der Hof die Geſtalt der Aca-
demie gewaͤnne, dem Staat unvermerkt die Geſtalt ei-
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daß er nicht Vertrauen genug in ſeine eigene Einſicht
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/125>, abgerufen am 22.11.2024.
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