Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon,
weil er sich von der Beredsamkeit desselben diejenige
Art von Ergözung versprach, die uns ein geschikter
Gaukler macht, der uns einen Augenblik sehen läßt,
was wir nicht sehen, ohne es bey einem klugen Men-
schen so weit zu bringen, daß man in eben demselben
Augenblik nur daran zweifeln sollte, daß man betrogen
wird. Mit einer Gemüthsverfassung, die so wenig von
der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias foderte, fand
sich Agathon ein, als er nach Verfluß einiger Tage an
einem Morgen in das Zimmer des Sophisten gerufen
wurde, welcher auf einem Ruhbette liegend seiner er-
wartete, und ihm befahl sich neben ihm niederzusezen
und das Frühstük mit ihm zu nehmen. Diese Höflich-
keit war nach der Absicht des weisen Hippias eine Vor-
bereitung, und er hatte, um die Würkung derselben
zu befordern, das schönste Mädchen in seinem Hause
ausersehen, sie hiebey zu bedienen. Jn der That die
Gestalt dieser Nymphe, und die gute Art womit sie ihr
Amt versah, machten ihre Aufwartung für einen Wei-
sen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend.
Das schlimmste war, daß die kleine Hexe, um sich we-
gen der Gleichgültigkeit zu rächen, womit Agathon ihre
zuvorkommende Gütigkeit bisher vernachläßiget hatte,
keinen von den Kunstgriffen verabsäumte, wodurch sie
den Werth des von ihm verscherzten Glükes empfind-
licher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit ge-
habt, sich in einem so niedlichen, so sittsamen und doch
so verführerischen Morgen-Anzug darzustellen, daß
Agathon sich nicht verhindern konnte zu denken, die

Gra-

Agathon,
weil er ſich von der Beredſamkeit deſſelben diejenige
Art von Ergoͤzung verſprach, die uns ein geſchikter
Gaukler macht, der uns einen Augenblik ſehen laͤßt,
was wir nicht ſehen, ohne es bey einem klugen Men-
ſchen ſo weit zu bringen, daß man in eben demſelben
Augenblik nur daran zweifeln ſollte, daß man betrogen
wird. Mit einer Gemuͤthsverfaſſung, die ſo wenig von
der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias foderte, fand
ſich Agathon ein, als er nach Verfluß einiger Tage an
einem Morgen in das Zimmer des Sophiſten gerufen
wurde, welcher auf einem Ruhbette liegend ſeiner er-
wartete, und ihm befahl ſich neben ihm niederzuſezen
und das Fruͤhſtuͤk mit ihm zu nehmen. Dieſe Hoͤflich-
keit war nach der Abſicht des weiſen Hippias eine Vor-
bereitung, und er hatte, um die Wuͤrkung derſelben
zu befordern, das ſchoͤnſte Maͤdchen in ſeinem Hauſe
auserſehen, ſie hiebey zu bedienen. Jn der That die
Geſtalt dieſer Nymphe, und die gute Art womit ſie ihr
Amt verſah, machten ihre Aufwartung fuͤr einen Wei-
ſen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend.
Das ſchlimmſte war, daß die kleine Hexe, um ſich we-
gen der Gleichguͤltigkeit zu raͤchen, womit Agathon ihre
zuvorkommende Guͤtigkeit bisher vernachlaͤßiget hatte,
keinen von den Kunſtgriffen verabſaͤumte, wodurch ſie
den Werth des von ihm verſcherzten Gluͤkes empfind-
licher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit ge-
habt, ſich in einem ſo niedlichen, ſo ſittſamen und doch
ſo verfuͤhreriſchen Morgen-Anzug darzuſtellen, daß
Agathon ſich nicht verhindern konnte zu denken, die

Gra-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0096" n="74"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon,</hi></hi></fw><lb/>
weil er &#x017F;ich von der Bered&#x017F;amkeit de&#x017F;&#x017F;elben diejenige<lb/>
Art von Ergo&#x0364;zung ver&#x017F;prach, die uns ein ge&#x017F;chikter<lb/>
Gaukler macht, der uns einen Augenblik &#x017F;ehen la&#x0364;ßt,<lb/>
was wir nicht &#x017F;ehen, ohne es bey einem klugen Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;o weit zu bringen, daß man in eben dem&#x017F;elben<lb/>
Augenblik nur daran zweifeln &#x017F;ollte, daß man betrogen<lb/>
wird. Mit einer Gemu&#x0364;thsverfa&#x017F;&#x017F;ung, die &#x017F;o wenig von<lb/>
der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias foderte, fand<lb/>
&#x017F;ich Agathon ein, als er nach Verfluß einiger Tage an<lb/>
einem Morgen in das Zimmer des Sophi&#x017F;ten gerufen<lb/>
wurde, welcher auf einem Ruhbette liegend &#x017F;einer er-<lb/>
wartete, und ihm befahl &#x017F;ich neben ihm niederzu&#x017F;ezen<lb/>
und das Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;k mit ihm zu nehmen. Die&#x017F;e Ho&#x0364;flich-<lb/>
keit war nach der Ab&#x017F;icht des wei&#x017F;en Hippias eine Vor-<lb/>
bereitung, und er hatte, um die Wu&#x0364;rkung der&#x017F;elben<lb/>
zu befordern, das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Ma&#x0364;dchen in &#x017F;einem Hau&#x017F;e<lb/>
auser&#x017F;ehen, &#x017F;ie hiebey zu bedienen. Jn der That die<lb/>
Ge&#x017F;talt die&#x017F;er Nymphe, und die gute Art womit &#x017F;ie ihr<lb/>
Amt ver&#x017F;ah, machten ihre Aufwartung fu&#x0364;r einen Wei-<lb/>
&#x017F;en von Agathons Alter ein wenig beunruhigend.<lb/>
Das &#x017F;chlimm&#x017F;te war, daß die kleine Hexe, um &#x017F;ich we-<lb/>
gen der Gleichgu&#x0364;ltigkeit zu ra&#x0364;chen, womit Agathon ihre<lb/>
zuvorkommende Gu&#x0364;tigkeit bisher vernachla&#x0364;ßiget hatte,<lb/>
keinen von den Kun&#x017F;tgriffen verab&#x017F;a&#x0364;umte, wodurch &#x017F;ie<lb/>
den Werth des von ihm ver&#x017F;cherzten Glu&#x0364;kes empfind-<lb/>
licher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit ge-<lb/>
habt, &#x017F;ich in einem &#x017F;o niedlichen, &#x017F;o &#x017F;itt&#x017F;amen und doch<lb/>
&#x017F;o verfu&#x0364;hreri&#x017F;chen Morgen-Anzug darzu&#x017F;tellen, daß<lb/>
Agathon &#x017F;ich nicht verhindern konnte zu denken, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Gra-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0096] Agathon, weil er ſich von der Beredſamkeit deſſelben diejenige Art von Ergoͤzung verſprach, die uns ein geſchikter Gaukler macht, der uns einen Augenblik ſehen laͤßt, was wir nicht ſehen, ohne es bey einem klugen Men- ſchen ſo weit zu bringen, daß man in eben demſelben Augenblik nur daran zweifeln ſollte, daß man betrogen wird. Mit einer Gemuͤthsverfaſſung, die ſo wenig von der Gelehrigkeit hatte, welche Hippias foderte, fand ſich Agathon ein, als er nach Verfluß einiger Tage an einem Morgen in das Zimmer des Sophiſten gerufen wurde, welcher auf einem Ruhbette liegend ſeiner er- wartete, und ihm befahl ſich neben ihm niederzuſezen und das Fruͤhſtuͤk mit ihm zu nehmen. Dieſe Hoͤflich- keit war nach der Abſicht des weiſen Hippias eine Vor- bereitung, und er hatte, um die Wuͤrkung derſelben zu befordern, das ſchoͤnſte Maͤdchen in ſeinem Hauſe auserſehen, ſie hiebey zu bedienen. Jn der That die Geſtalt dieſer Nymphe, und die gute Art womit ſie ihr Amt verſah, machten ihre Aufwartung fuͤr einen Wei- ſen von Agathons Alter ein wenig beunruhigend. Das ſchlimmſte war, daß die kleine Hexe, um ſich we- gen der Gleichguͤltigkeit zu raͤchen, womit Agathon ihre zuvorkommende Guͤtigkeit bisher vernachlaͤßiget hatte, keinen von den Kunſtgriffen verabſaͤumte, wodurch ſie den Werth des von ihm verſcherzten Gluͤkes empfind- licher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit ge- habt, ſich in einem ſo niedlichen, ſo ſittſamen und doch ſo verfuͤhreriſchen Morgen-Anzug darzuſtellen, daß Agathon ſich nicht verhindern konnte zu denken, die Gra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/96
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/96>, abgerufen am 25.04.2024.