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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
fliessen, wie ehmals, um mich her; meine Seele ist
noch eben dieselbige, wie die Natur, die mich umgiebt --
O Ruhe meines Delphischen Lebens, und du, meine
Psyche! Dich allein, von allem, was ausser mir ist,
nenne ich mein, weil du die wehrtere Helfte meines
Wesens bist -- Wenn ihr auf ewig verloren wäret,
dann würde meine untröstbare Seele nichts auf Erde
finden, daß ihr die Liebe zum Leben wieder geben könnte.
Aber ich besaß beyde, ohne sie mir selbst gegeben zu ha-
ben, und die wolthätige Macht, die sie gab, kann sie
wiedergeben. Thenre Hoffnung, du bist schon ein An-
fang der Glükseligkeit, die du versprichst! Es wäre zu-
gleich gottlos und thöricht, sich einem Kummer zu
überlassen, der den Himmel beleidigt, und uns selbst
der Kräfte beraubt, dem Unglük zu widerstehen, und
der Mittel, wieder glüklich zu werden. Komm denn,
du süsse Hoffnung einer bessern Zukunft, und feßle mei-
ne Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen!
Ruhe und Psyche -- Dieses allein, ihr Götter, so mö-
get ihr Lorbeer-Kränze und Schäze geben, wem ihr
wollt!



Eilftes

Agathon.
flieſſen, wie ehmals, um mich her; meine Seele iſt
noch eben dieſelbige, wie die Natur, die mich umgiebt ‒‒
O Ruhe meines Delphiſchen Lebens, und du, meine
Pſyche! Dich allein, von allem, was auſſer mir iſt,
nenne ich mein, weil du die wehrtere Helfte meines
Weſens biſt ‒‒ Wenn ihr auf ewig verloren waͤret,
dann wuͤrde meine untroͤſtbare Seele nichts auf Erde
finden, daß ihr die Liebe zum Leben wieder geben koͤnnte.
Aber ich beſaß beyde, ohne ſie mir ſelbſt gegeben zu ha-
ben, und die wolthaͤtige Macht, die ſie gab, kann ſie
wiedergeben. Thenre Hoffnung, du biſt ſchon ein An-
fang der Gluͤkſeligkeit, die du verſprichſt! Es waͤre zu-
gleich gottlos und thoͤricht, ſich einem Kummer zu
uͤberlaſſen, der den Himmel beleidigt, und uns ſelbſt
der Kraͤfte beraubt, dem Ungluͤk zu widerſtehen, und
der Mittel, wieder gluͤklich zu werden. Komm denn,
du ſuͤſſe Hoffnung einer beſſern Zukunft, und feßle mei-
ne Seele mit deinen ſchmeichelnden Bezauberungen!
Ruhe und Pſyche ‒‒ Dieſes allein, ihr Goͤtter, ſo moͤ-
get ihr Lorbeer-Kraͤnze und Schaͤze geben, wem ihr
wollt!



Eilftes
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[34/0056] Agathon. flieſſen, wie ehmals, um mich her; meine Seele iſt noch eben dieſelbige, wie die Natur, die mich umgiebt ‒‒ O Ruhe meines Delphiſchen Lebens, und du, meine Pſyche! Dich allein, von allem, was auſſer mir iſt, nenne ich mein, weil du die wehrtere Helfte meines Weſens biſt ‒‒ Wenn ihr auf ewig verloren waͤret, dann wuͤrde meine untroͤſtbare Seele nichts auf Erde finden, daß ihr die Liebe zum Leben wieder geben koͤnnte. Aber ich beſaß beyde, ohne ſie mir ſelbſt gegeben zu ha- ben, und die wolthaͤtige Macht, die ſie gab, kann ſie wiedergeben. Thenre Hoffnung, du biſt ſchon ein An- fang der Gluͤkſeligkeit, die du verſprichſt! Es waͤre zu- gleich gottlos und thoͤricht, ſich einem Kummer zu uͤberlaſſen, der den Himmel beleidigt, und uns ſelbſt der Kraͤfte beraubt, dem Ungluͤk zu widerſtehen, und der Mittel, wieder gluͤklich zu werden. Komm denn, du ſuͤſſe Hoffnung einer beſſern Zukunft, und feßle mei- ne Seele mit deinen ſchmeichelnden Bezauberungen! Ruhe und Pſyche ‒‒ Dieſes allein, ihr Goͤtter, ſo moͤ- get ihr Lorbeer-Kraͤnze und Schaͤze geben, wem ihr wollt! Eilftes

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/56>, abgerufen am 29.03.2024.