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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
worinn wir fähig sind, dem Aeussersten, was die ver-
einigte Gewalt des Glüks und der menschlichen Boß-
heit gegen uns vermag, ein standhaftes Herz und ein
heiters Gesicht entgegen zu stellen. Der unmittelbare
Trost, den meine Grundsäze über mein Gemüth ergos-
sen, die Wärme und neubeseelte Stärke die sie meiner
Seele gaben, überzeugten mich von neuem von ihrer
Wahrheit. Jch verwieß es der Tugend nicht, daß
sie mir den Haß und die Verfolgungen der Bösen zu-
gezogen hatte; ich fühlte, daß sie sich selbst belohnt.
Das Unglük schien mich nur desto stärker mit ihr zu
verbinden; so wie uns eine geliebte Person desto theu-
rer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die
Betrachtungen, auf welche mich diese Gesinnungen leite-
ten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Waage der
Weisheit, alle diese schimmernden Güter sind, welche ich
im Begriff war, dem Glük wieder zurükzugeben, und
wie wichtig diejenige seyen, welche mir keine republi-
canische Cabale, kein Decret des Volks zu Athen, kei-
ne Macht in der Welt nehmen konnte. Jch verglich
meinen Zustand in der höchsten Fluth meines Glükes zu
Athen mit der seligen Ruhe des contemplativen Lebens,
worinn ich in einer glüklichen Unwissenheit des glän-
zenden Elends und der wahren Beschwehrden einer be-
neideten Grösse, meine schuldlose Jugend hinwegge-
lebt; worinn ich meines Daseyns, und der innern
Reichthümer meines Geistes, meiner Gedanken, mei-
ner Empfindungen, der eigenthümlichen und von aller
äusserlichen Gewalt unabhängigen Wirksamkeit meiner

Seele

Agathon.
worinn wir faͤhig ſind, dem Aeuſſerſten, was die ver-
einigte Gewalt des Gluͤks und der menſchlichen Boß-
heit gegen uns vermag, ein ſtandhaftes Herz und ein
heiters Geſicht entgegen zu ſtellen. Der unmittelbare
Troſt, den meine Grundſaͤze uͤber mein Gemuͤth ergoſ-
ſen, die Waͤrme und neubeſeelte Staͤrke die ſie meiner
Seele gaben, uͤberzeugten mich von neuem von ihrer
Wahrheit. Jch verwieß es der Tugend nicht, daß
ſie mir den Haß und die Verfolgungen der Boͤſen zu-
gezogen hatte; ich fuͤhlte, daß ſie ſich ſelbſt belohnt.
Das Ungluͤk ſchien mich nur deſto ſtaͤrker mit ihr zu
verbinden; ſo wie uns eine geliebte Perſon deſto theu-
rer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die
Betrachtungen, auf welche mich dieſe Geſinnungen leite-
ten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Waage der
Weisheit, alle dieſe ſchimmernden Guͤter ſind, welche ich
im Begriff war, dem Gluͤk wieder zuruͤkzugeben, und
wie wichtig diejenige ſeyen, welche mir keine republi-
caniſche Cabale, kein Decret des Volks zu Athen, kei-
ne Macht in der Welt nehmen konnte. Jch verglich
meinen Zuſtand in der hoͤchſten Fluth meines Gluͤkes zu
Athen mit der ſeligen Ruhe des contemplativen Lebens,
worinn ich in einer gluͤklichen Unwiſſenheit des glaͤn-
zenden Elends und der wahren Beſchwehrden einer be-
neideten Groͤſſe, meine ſchuldloſe Jugend hinwegge-
lebt; worinn ich meines Daſeyns, und der innern
Reichthuͤmer meines Geiſtes, meiner Gedanken, mei-
ner Empfindungen, der eigenthuͤmlichen und von aller
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[362/0384] Agathon. worinn wir faͤhig ſind, dem Aeuſſerſten, was die ver- einigte Gewalt des Gluͤks und der menſchlichen Boß- heit gegen uns vermag, ein ſtandhaftes Herz und ein heiters Geſicht entgegen zu ſtellen. Der unmittelbare Troſt, den meine Grundſaͤze uͤber mein Gemuͤth ergoſ- ſen, die Waͤrme und neubeſeelte Staͤrke die ſie meiner Seele gaben, uͤberzeugten mich von neuem von ihrer Wahrheit. Jch verwieß es der Tugend nicht, daß ſie mir den Haß und die Verfolgungen der Boͤſen zu- gezogen hatte; ich fuͤhlte, daß ſie ſich ſelbſt belohnt. Das Ungluͤk ſchien mich nur deſto ſtaͤrker mit ihr zu verbinden; ſo wie uns eine geliebte Perſon deſto theu- rer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die Betrachtungen, auf welche mich dieſe Geſinnungen leite- ten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Waage der Weisheit, alle dieſe ſchimmernden Guͤter ſind, welche ich im Begriff war, dem Gluͤk wieder zuruͤkzugeben, und wie wichtig diejenige ſeyen, welche mir keine republi- caniſche Cabale, kein Decret des Volks zu Athen, kei- ne Macht in der Welt nehmen konnte. Jch verglich meinen Zuſtand in der hoͤchſten Fluth meines Gluͤkes zu Athen mit der ſeligen Ruhe des contemplativen Lebens, worinn ich in einer gluͤklichen Unwiſſenheit des glaͤn- zenden Elends und der wahren Beſchwehrden einer be- neideten Groͤſſe, meine ſchuldloſe Jugend hinwegge- lebt; worinn ich meines Daſeyns, und der innern Reichthuͤmer meines Geiſtes, meiner Gedanken, mei- ner Empfindungen, der eigenthuͤmlichen und von aller aͤuſſerlichen Gewalt unabhaͤngigen Wirkſamkeit meiner Seele

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/384>, abgerufen am 22.11.2024.