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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
hier ein schönes Feld, sich zu ihrem Vortheil zu zeigen, und
seinen Zuhörern das republicanische Vergnügen zu ma-
chen, eine Tugend, welche mir zu grosse Vorzüge vor
meinen Mitbürgern zu geben schien, heruntergesezt zu
sehen. Jndessen, ob er gleich keinen Theil meines
Privat-Lebens (so untadelhaft es ehemals meinen Gön-
nern geschienen hatte) unbeschmizt ließ; so mochte er
doch besorgen, daß die Kunstgriffe, deren er sich dazu
bedienen mußte, zu stark in die Augen fallen möchten.
Er raffte also alles zusammen, was nur immer fähig
seyn konnte, mich in ein verhaßtes Licht zu stellen;
und da es ihm an Verbrechen, die er mir mit einiger
Wahrscheinlichkeit hätte aufbürden können, mangelte,
so legte er mir fremde Thorheiten, und selbst die aus-
schweiffenden Ehren-Bezeugungen zur Last, welche mir
in der Fluth meines Glükes und meiner Gunst bey
dem Volk aufgedrungen worden waren. Jch mußte izt
so gar für die elenden Verse Rechenschaft geben, wo-
mit einige Dichter, denen ich aus einem vielleicht zu
weit getriebenen Mitleiden erlaubte, mir täglich um
die Essens-Zeit ihren Besuch abzustatten, mir die Dank-
barkeit ihres Magens, auf Unkosten ihres Ruhms und
des meinigen, zu beweisen gesucht hatten. Man be-
schuldigte mich in ganzem Ernst, daß ich übermüthig
und gottloß genug gewesen sey, mich für einen Sohn
des delphischen Apollo auszugeben; und mein Anklä-
ger ließ diese Gelegenheit nicht entgehen, über meine
wahre Geburt Zweifel zu erregen, und, unter vielen
scherzhaften Wendungen, die Meynung derjenigen wahr-

scheinlich

Agathon.
hier ein ſchoͤnes Feld, ſich zu ihrem Vortheil zu zeigen, und
ſeinen Zuhoͤrern das republicaniſche Vergnuͤgen zu ma-
chen, eine Tugend, welche mir zu groſſe Vorzuͤge vor
meinen Mitbuͤrgern zu geben ſchien, heruntergeſezt zu
ſehen. Jndeſſen, ob er gleich keinen Theil meines
Privat-Lebens (ſo untadelhaft es ehemals meinen Goͤn-
nern geſchienen hatte) unbeſchmizt ließ; ſo mochte er
doch beſorgen, daß die Kunſtgriffe, deren er ſich dazu
bedienen mußte, zu ſtark in die Augen fallen moͤchten.
Er raffte alſo alles zuſammen, was nur immer faͤhig
ſeyn konnte, mich in ein verhaßtes Licht zu ſtellen;
und da es ihm an Verbrechen, die er mir mit einiger
Wahrſcheinlichkeit haͤtte aufbuͤrden koͤnnen, mangelte,
ſo legte er mir fremde Thorheiten, und ſelbſt die aus-
ſchweiffenden Ehren-Bezeugungen zur Laſt, welche mir
in der Fluth meines Gluͤkes und meiner Gunſt bey
dem Volk aufgedrungen worden waren. Jch mußte izt
ſo gar fuͤr die elenden Verſe Rechenſchaft geben, wo-
mit einige Dichter, denen ich aus einem vielleicht zu
weit getriebenen Mitleiden erlaubte, mir taͤglich um
die Eſſens-Zeit ihren Beſuch abzuſtatten, mir die Dank-
barkeit ihres Magens, auf Unkoſten ihres Ruhms und
des meinigen, zu beweiſen geſucht hatten. Man be-
ſchuldigte mich in ganzem Ernſt, daß ich uͤbermuͤthig
und gottloß genug geweſen ſey, mich fuͤr einen Sohn
des delphiſchen Apollo auszugeben; und mein Anklaͤ-
ger ließ dieſe Gelegenheit nicht entgehen, uͤber meine
wahre Geburt Zweifel zu erregen, und, unter vielen
ſcherzhaften Wendungen, die Meynung derjenigen wahr-

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[356/0378] Agathon. hier ein ſchoͤnes Feld, ſich zu ihrem Vortheil zu zeigen, und ſeinen Zuhoͤrern das republicaniſche Vergnuͤgen zu ma- chen, eine Tugend, welche mir zu groſſe Vorzuͤge vor meinen Mitbuͤrgern zu geben ſchien, heruntergeſezt zu ſehen. Jndeſſen, ob er gleich keinen Theil meines Privat-Lebens (ſo untadelhaft es ehemals meinen Goͤn- nern geſchienen hatte) unbeſchmizt ließ; ſo mochte er doch beſorgen, daß die Kunſtgriffe, deren er ſich dazu bedienen mußte, zu ſtark in die Augen fallen moͤchten. Er raffte alſo alles zuſammen, was nur immer faͤhig ſeyn konnte, mich in ein verhaßtes Licht zu ſtellen; und da es ihm an Verbrechen, die er mir mit einiger Wahrſcheinlichkeit haͤtte aufbuͤrden koͤnnen, mangelte, ſo legte er mir fremde Thorheiten, und ſelbſt die aus- ſchweiffenden Ehren-Bezeugungen zur Laſt, welche mir in der Fluth meines Gluͤkes und meiner Gunſt bey dem Volk aufgedrungen worden waren. Jch mußte izt ſo gar fuͤr die elenden Verſe Rechenſchaft geben, wo- mit einige Dichter, denen ich aus einem vielleicht zu weit getriebenen Mitleiden erlaubte, mir taͤglich um die Eſſens-Zeit ihren Beſuch abzuſtatten, mir die Dank- barkeit ihres Magens, auf Unkoſten ihres Ruhms und des meinigen, zu beweiſen geſucht hatten. Man be- ſchuldigte mich in ganzem Ernſt, daß ich uͤbermuͤthig und gottloß genug geweſen ſey, mich fuͤr einen Sohn des delphiſchen Apollo auszugeben; und mein Anklaͤ- ger ließ dieſe Gelegenheit nicht entgehen, uͤber meine wahre Geburt Zweifel zu erregen, und, unter vielen ſcherzhaften Wendungen, die Meynung derjenigen wahr- ſcheinlich

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/378>, abgerufen am 22.11.2024.