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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
ihnen nicht mehr zutraute, als sie leisteten; und tru-
gen nicht wenig dazu bey, mich ein Unglük mit Stand-
haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich so vor-
trefliche Männer zu Vorgängern gehabt hatte.

Derjenige, den meine Feinde zu meinem Ankläger
auserkohren hatten, war einer von diesen wizigen
Schwäzern, deren feiles Talent gleich fertig ist, Recht
oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule
des berüchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber-
griffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhö-
rer zu blenden, und sie zu bereden, daß sie sä-
hen, was sie nicht sahen. Er bekümmerte sich we-
nig darum, dasjenige zu beweisen, was er mit der
grössesten Dreistigkeit behauptete; aber er wußte ihm
einen so lebhaften Schein zu geben, und durch eine
zwar willkührliche, aber desto künstlichere Verbindung
seiner Säze die Schwäche eines jeden, wenn er an sich
und allein betrachtet würde, so geschikt zu verbergen,
daß man, so gar mit einer gründlichen Beurtheilungs-
Kraft, auf seiner Hut seyn mußte, um nicht von ihm
überrascht zu werden. Der hauptsächlichste Vorwurf
seiner Anklage sollte, seinem Vorgeben nach, die schlim-
me Verwaltung seyn, deren ich mich als Ober-Befehl-
haber in der Angelegenheit der empörten Schuz-Ver-
Verwandten schuldig gemacht haben sollte; denn er
bewieß mit grossem Wort-Gepränge, daß ich in dieser
ganzen Expedition nichts gethan hätte, das der Rede
werth wäre; daß ich vielmehr, anstatt die Empörten

zu

Agathon.
ihnen nicht mehr zutraute, als ſie leiſteten; und tru-
gen nicht wenig dazu bey, mich ein Ungluͤk mit Stand-
haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich ſo vor-
trefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern gehabt hatte.

Derjenige, den meine Feinde zu meinem Anklaͤger
auserkohren hatten, war einer von dieſen wizigen
Schwaͤzern, deren feiles Talent gleich fertig iſt, Recht
oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule
des beruͤchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber-
griffe der Rede-Kunſt den Verſtand ſeiner Zuhoͤ-
rer zu blenden, und ſie zu bereden, daß ſie ſaͤ-
hen, was ſie nicht ſahen. Er bekuͤmmerte ſich we-
nig darum, dasjenige zu beweiſen, was er mit der
groͤſſeſten Dreiſtigkeit behauptete; aber er wußte ihm
einen ſo lebhaften Schein zu geben, und durch eine
zwar willkuͤhrliche, aber deſto kuͤnſtlichere Verbindung
ſeiner Saͤze die Schwaͤche eines jeden, wenn er an ſich
und allein betrachtet wuͤrde, ſo geſchikt zu verbergen,
daß man, ſo gar mit einer gruͤndlichen Beurtheilungs-
Kraft, auf ſeiner Hut ſeyn mußte, um nicht von ihm
uͤberraſcht zu werden. Der hauptſaͤchlichſte Vorwurf
ſeiner Anklage ſollte, ſeinem Vorgeben nach, die ſchlim-
me Verwaltung ſeyn, deren ich mich als Ober-Befehl-
haber in der Angelegenheit der empoͤrten Schuz-Ver-
Verwandten ſchuldig gemacht haben ſollte; denn er
bewieß mit groſſem Wort-Gepraͤnge, daß ich in dieſer
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werth waͤre; daß ich vielmehr, anſtatt die Empoͤrten

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[354/0376] Agathon. ihnen nicht mehr zutraute, als ſie leiſteten; und tru- gen nicht wenig dazu bey, mich ein Ungluͤk mit Stand- haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich ſo vor- trefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern gehabt hatte. Derjenige, den meine Feinde zu meinem Anklaͤger auserkohren hatten, war einer von dieſen wizigen Schwaͤzern, deren feiles Talent gleich fertig iſt, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des beruͤchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber- griffe der Rede-Kunſt den Verſtand ſeiner Zuhoͤ- rer zu blenden, und ſie zu bereden, daß ſie ſaͤ- hen, was ſie nicht ſahen. Er bekuͤmmerte ſich we- nig darum, dasjenige zu beweiſen, was er mit der groͤſſeſten Dreiſtigkeit behauptete; aber er wußte ihm einen ſo lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willkuͤhrliche, aber deſto kuͤnſtlichere Verbindung ſeiner Saͤze die Schwaͤche eines jeden, wenn er an ſich und allein betrachtet wuͤrde, ſo geſchikt zu verbergen, daß man, ſo gar mit einer gruͤndlichen Beurtheilungs- Kraft, auf ſeiner Hut ſeyn mußte, um nicht von ihm uͤberraſcht zu werden. Der hauptſaͤchlichſte Vorwurf ſeiner Anklage ſollte, ſeinem Vorgeben nach, die ſchlim- me Verwaltung ſeyn, deren ich mich als Ober-Befehl- haber in der Angelegenheit der empoͤrten Schuz-Ver- Verwandten ſchuldig gemacht haben ſollte; denn er bewieß mit groſſem Wort-Gepraͤnge, daß ich in dieſer ganzen Expedition nichts gethan haͤtte, das der Rede werth waͤre; daß ich vielmehr, anſtatt die Empoͤrten zu

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/376>, abgerufen am 25.11.2024.