ihnen nicht mehr zutraute, als sie leisteten; und tru- gen nicht wenig dazu bey, mich ein Unglük mit Stand- haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich so vor- trefliche Männer zu Vorgängern gehabt hatte.
Derjenige, den meine Feinde zu meinem Ankläger auserkohren hatten, war einer von diesen wizigen Schwäzern, deren feiles Talent gleich fertig ist, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des berüchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber- griffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhö- rer zu blenden, und sie zu bereden, daß sie sä- hen, was sie nicht sahen. Er bekümmerte sich we- nig darum, dasjenige zu beweisen, was er mit der grössesten Dreistigkeit behauptete; aber er wußte ihm einen so lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willkührliche, aber desto künstlichere Verbindung seiner Säze die Schwäche eines jeden, wenn er an sich und allein betrachtet würde, so geschikt zu verbergen, daß man, so gar mit einer gründlichen Beurtheilungs- Kraft, auf seiner Hut seyn mußte, um nicht von ihm überrascht zu werden. Der hauptsächlichste Vorwurf seiner Anklage sollte, seinem Vorgeben nach, die schlim- me Verwaltung seyn, deren ich mich als Ober-Befehl- haber in der Angelegenheit der empörten Schuz-Ver- Verwandten schuldig gemacht haben sollte; denn er bewieß mit grossem Wort-Gepränge, daß ich in dieser ganzen Expedition nichts gethan hätte, das der Rede werth wäre; daß ich vielmehr, anstatt die Empörten
zu
Agathon.
ihnen nicht mehr zutraute, als ſie leiſteten; und tru- gen nicht wenig dazu bey, mich ein Ungluͤk mit Stand- haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich ſo vor- trefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern gehabt hatte.
Derjenige, den meine Feinde zu meinem Anklaͤger auserkohren hatten, war einer von dieſen wizigen Schwaͤzern, deren feiles Talent gleich fertig iſt, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des beruͤchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber- griffe der Rede-Kunſt den Verſtand ſeiner Zuhoͤ- rer zu blenden, und ſie zu bereden, daß ſie ſaͤ- hen, was ſie nicht ſahen. Er bekuͤmmerte ſich we- nig darum, dasjenige zu beweiſen, was er mit der groͤſſeſten Dreiſtigkeit behauptete; aber er wußte ihm einen ſo lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willkuͤhrliche, aber deſto kuͤnſtlichere Verbindung ſeiner Saͤze die Schwaͤche eines jeden, wenn er an ſich und allein betrachtet wuͤrde, ſo geſchikt zu verbergen, daß man, ſo gar mit einer gruͤndlichen Beurtheilungs- Kraft, auf ſeiner Hut ſeyn mußte, um nicht von ihm uͤberraſcht zu werden. Der hauptſaͤchlichſte Vorwurf ſeiner Anklage ſollte, ſeinem Vorgeben nach, die ſchlim- me Verwaltung ſeyn, deren ich mich als Ober-Befehl- haber in der Angelegenheit der empoͤrten Schuz-Ver- Verwandten ſchuldig gemacht haben ſollte; denn er bewieß mit groſſem Wort-Gepraͤnge, daß ich in dieſer ganzen Expedition nichts gethan haͤtte, das der Rede werth waͤre; daß ich vielmehr, anſtatt die Empoͤrten
zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0376"n="354"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon</hi>.</hi></fw><lb/>
ihnen nicht mehr zutraute, als ſie leiſteten; und tru-<lb/>
gen nicht wenig dazu bey, mich ein Ungluͤk mit Stand-<lb/>
haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich ſo vor-<lb/>
trefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern gehabt hatte.</p><lb/><p>Derjenige, den meine Feinde zu meinem Anklaͤger<lb/>
auserkohren hatten, war einer von dieſen wizigen<lb/>
Schwaͤzern, deren feiles Talent gleich fertig iſt, Recht<lb/>
oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule<lb/>
des beruͤchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber-<lb/>
griffe der Rede-Kunſt den Verſtand ſeiner Zuhoͤ-<lb/>
rer zu blenden, und ſie zu bereden, daß ſie ſaͤ-<lb/>
hen, was ſie nicht ſahen. Er bekuͤmmerte ſich we-<lb/>
nig darum, dasjenige zu beweiſen, was er mit der<lb/>
groͤſſeſten Dreiſtigkeit behauptete; aber er wußte ihm<lb/>
einen ſo lebhaften Schein zu geben, und durch eine<lb/>
zwar willkuͤhrliche, aber deſto kuͤnſtlichere Verbindung<lb/>ſeiner Saͤze die Schwaͤche eines jeden, wenn er an ſich<lb/>
und allein betrachtet wuͤrde, ſo geſchikt zu verbergen,<lb/>
daß man, ſo gar mit einer gruͤndlichen Beurtheilungs-<lb/>
Kraft, auf ſeiner Hut ſeyn mußte, um nicht von ihm<lb/>
uͤberraſcht zu werden. Der hauptſaͤchlichſte Vorwurf<lb/>ſeiner Anklage ſollte, ſeinem Vorgeben nach, die ſchlim-<lb/>
me Verwaltung ſeyn, deren ich mich als Ober-Befehl-<lb/>
haber in der Angelegenheit der empoͤrten Schuz-Ver-<lb/>
Verwandten ſchuldig gemacht haben ſollte; denn er<lb/>
bewieß mit groſſem Wort-Gepraͤnge, daß ich in dieſer<lb/>
ganzen Expedition nichts gethan haͤtte, das der Rede<lb/>
werth waͤre; daß ich vielmehr, anſtatt die Empoͤrten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zu</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[354/0376]
Agathon.
ihnen nicht mehr zutraute, als ſie leiſteten; und tru-
gen nicht wenig dazu bey, mich ein Ungluͤk mit Stand-
haftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich ſo vor-
trefliche Maͤnner zu Vorgaͤngern gehabt hatte.
Derjenige, den meine Feinde zu meinem Anklaͤger
auserkohren hatten, war einer von dieſen wizigen
Schwaͤzern, deren feiles Talent gleich fertig iſt, Recht
oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule
des beruͤchtigten Gorgias gelernt, durch die Zauber-
griffe der Rede-Kunſt den Verſtand ſeiner Zuhoͤ-
rer zu blenden, und ſie zu bereden, daß ſie ſaͤ-
hen, was ſie nicht ſahen. Er bekuͤmmerte ſich we-
nig darum, dasjenige zu beweiſen, was er mit der
groͤſſeſten Dreiſtigkeit behauptete; aber er wußte ihm
einen ſo lebhaften Schein zu geben, und durch eine
zwar willkuͤhrliche, aber deſto kuͤnſtlichere Verbindung
ſeiner Saͤze die Schwaͤche eines jeden, wenn er an ſich
und allein betrachtet wuͤrde, ſo geſchikt zu verbergen,
daß man, ſo gar mit einer gruͤndlichen Beurtheilungs-
Kraft, auf ſeiner Hut ſeyn mußte, um nicht von ihm
uͤberraſcht zu werden. Der hauptſaͤchlichſte Vorwurf
ſeiner Anklage ſollte, ſeinem Vorgeben nach, die ſchlim-
me Verwaltung ſeyn, deren ich mich als Ober-Befehl-
haber in der Angelegenheit der empoͤrten Schuz-Ver-
Verwandten ſchuldig gemacht haben ſollte; denn er
bewieß mit groſſem Wort-Gepraͤnge, daß ich in dieſer
ganzen Expedition nichts gethan haͤtte, das der Rede
werth waͤre; daß ich vielmehr, anſtatt die Empoͤrten
zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/376>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.