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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, siebentes Capitel.
zung und des Schuzes beraubet hatte, den ich mir von
der Verschwägerung mit einem mächtigen Geschlechte
hätte versprechen können. Jch hatte nichts, was ich
den Ränken und der vereinigten Gewalt so vieler Feinde
entgegen sezen konnte, als meine Unschuld, einige Ver-
dienste, und die Zuneigung des Volks; schwache Brust-
wehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Nei-
des, der Arglist und der Gewaltthätigkeit ausgehalten
haben. Die Unschuld kan verdächtig gemacht, und
Verdiensten selbst durch ein falsches Licht das Ansehen
von Verbrechen gegeben werden; und was ist die Gunst
eines enthusiastischen Volkes, dessen Bewegungen immer
seinen Ueberlegungen zuvorkommen; welches mit glei-
chem Uebermaß liebet und hasset, und wenn es einmal
in eine siebrische Hize gesezt ist, gleich geneigt ist, die-
ser oder einer entgegengesezten Direction, je nachdem
es gestossen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von
der Gunst eines Volkes versprechen, welches den gros-
sen Beschüzer der griechischen Freyheit im Gefängniß
hatte verschmachten lassen? Welches den tugendhaften
Aristides, blos darum, weil er den Beynamen des
Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von sei-
nen gewöhnlichen Launen so gar den Socrates zum
Gift-Becher verurtheilt hatte, weil er der weiseste und
tugendhafteste Mann seines Jahrhunderts war. Diese
Beyspiele sagten mir sogleich bey der ersten Nachricht,
die ich von dem über mir sich zusammenziehenden Un-
gewitter erhielt, zuverlässig vorher, was ich von den
Atheniensern zu erwarten hätte; sie machten, daß ich

ihnen
[Agath. I. Th.] Z

Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
zung und des Schuzes beraubet hatte, den ich mir von
der Verſchwaͤgerung mit einem maͤchtigen Geſchlechte
haͤtte verſprechen koͤnnen. Jch hatte nichts, was ich
den Raͤnken und der vereinigten Gewalt ſo vieler Feinde
entgegen ſezen konnte, als meine Unſchuld, einige Ver-
dienſte, und die Zuneigung des Volks; ſchwache Bruſt-
wehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Nei-
des, der Argliſt und der Gewaltthaͤtigkeit ausgehalten
haben. Die Unſchuld kan verdaͤchtig gemacht, und
Verdienſten ſelbſt durch ein falſches Licht das Anſehen
von Verbrechen gegeben werden; und was iſt die Gunſt
eines enthuſiaſtiſchen Volkes, deſſen Bewegungen immer
ſeinen Ueberlegungen zuvorkommen; welches mit glei-
chem Uebermaß liebet und haſſet, und wenn es einmal
in eine ſiebriſche Hize geſezt iſt, gleich geneigt iſt, die-
ſer oder einer entgegengeſezten Direction, je nachdem
es geſtoſſen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von
der Gunſt eines Volkes verſprechen, welches den groſ-
ſen Beſchuͤzer der griechiſchen Freyheit im Gefaͤngniß
hatte verſchmachten laſſen? Welches den tugendhaften
Ariſtides, blos darum, weil er den Beynamen des
Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von ſei-
nen gewoͤhnlichen Launen ſo gar den Socrates zum
Gift-Becher verurtheilt hatte, weil er der weiſeſte und
tugendhafteſte Mann ſeines Jahrhunderts war. Dieſe
Beyſpiele ſagten mir ſogleich bey der erſten Nachricht,
die ich von dem uͤber mir ſich zuſammenziehenden Un-
gewitter erhielt, zuverlaͤſſig vorher, was ich von den
Athenienſern zu erwarten haͤtte; ſie machten, daß ich

ihnen
[Agath. I. Th.] Z
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[353/0375] Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. zung und des Schuzes beraubet hatte, den ich mir von der Verſchwaͤgerung mit einem maͤchtigen Geſchlechte haͤtte verſprechen koͤnnen. Jch hatte nichts, was ich den Raͤnken und der vereinigten Gewalt ſo vieler Feinde entgegen ſezen konnte, als meine Unſchuld, einige Ver- dienſte, und die Zuneigung des Volks; ſchwache Bruſt- wehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Nei- des, der Argliſt und der Gewaltthaͤtigkeit ausgehalten haben. Die Unſchuld kan verdaͤchtig gemacht, und Verdienſten ſelbſt durch ein falſches Licht das Anſehen von Verbrechen gegeben werden; und was iſt die Gunſt eines enthuſiaſtiſchen Volkes, deſſen Bewegungen immer ſeinen Ueberlegungen zuvorkommen; welches mit glei- chem Uebermaß liebet und haſſet, und wenn es einmal in eine ſiebriſche Hize geſezt iſt, gleich geneigt iſt, die- ſer oder einer entgegengeſezten Direction, je nachdem es geſtoſſen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von der Gunſt eines Volkes verſprechen, welches den groſ- ſen Beſchuͤzer der griechiſchen Freyheit im Gefaͤngniß hatte verſchmachten laſſen? Welches den tugendhaften Ariſtides, blos darum, weil er den Beynamen des Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von ſei- nen gewoͤhnlichen Launen ſo gar den Socrates zum Gift-Becher verurtheilt hatte, weil er der weiſeſte und tugendhafteſte Mann ſeines Jahrhunderts war. Dieſe Beyſpiele ſagten mir ſogleich bey der erſten Nachricht, die ich von dem uͤber mir ſich zuſammenziehenden Un- gewitter erhielt, zuverlaͤſſig vorher, was ich von den Athenienſern zu erwarten haͤtte; ſie machten, daß ich ihnen [Agath. I. Th.] Z

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/375>, abgerufen am 22.11.2024.