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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
wollte. Der vertrautere Zutritt, den mir dieser be-
rühmte Weise vergönnte, entdekte eine Uebereinstim-
mung meiner Denkungsart mit seinen Grundsäzen, wel-
che die Freundschaft, die ich für ihn faßte, in eine fast
schwärmerische Leidenschaft verwandelte. Sie würde
mir schädlich gewesen seyn, wenn man damals schon
so von ihm gedacht hätte, wie man dachte, nachdem
er, durch die Bekanntmachung seiner metaphysischen
Dialogen, bey den Staatsleuten, und selbst bey vielen,
welche seine Bewundrer gewesen waren, den Vorwurf,
welchen Aristophanes ehemals (wiewol höchst unbillig)
dem weisen Socrates gemacht, sich mit besserm Grund
oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber da-
mals hatte Plato weder seinen Timäus noch seine Re-
publik geschrieben. Jndessen existierte diese leztere doch
bereits in seinem Gehirne; sie gab sehr oft den Stoff
zu unsern Gesprächen in den Spaziergängen der Aca-
demie ab; und er bemühete sich desto eifriger, mir sei-
ne Begriffe von der besten Art, die menschliche Gesell-
schaft einzurichten, und zu regieren, eigen zu machen,
da er das Vergnügen zu haben hofte, sie wenigstens
in so fern es die Umstände zulassen würden, durch mich
realisiert zu sehen. Sein Eifer in diesem Stüke mag
so groß gewesen seyn, als er will, so war er doch ge-
wiß nicht grösser, als meine Begierde, dasjenige aus-
zuüben, was er speculierte. Allein, da meine Vorstel-
lung von der Wichtigkeit der Pflichten, welche derje-
nige auf sich nimmt, der sich in die öffentlichen Ange-
legenheiten mischet, der Lauterkeit und innerlichen Güte

meiner

Agathon.
wollte. Der vertrautere Zutritt, den mir dieſer be-
ruͤhmte Weiſe vergoͤnnte, entdekte eine Uebereinſtim-
mung meiner Denkungsart mit ſeinen Grundſaͤzen, wel-
che die Freundſchaft, die ich fuͤr ihn faßte, in eine faſt
ſchwaͤrmeriſche Leidenſchaft verwandelte. Sie wuͤrde
mir ſchaͤdlich geweſen ſeyn, wenn man damals ſchon
ſo von ihm gedacht haͤtte, wie man dachte, nachdem
er, durch die Bekanntmachung ſeiner metaphyſiſchen
Dialogen, bey den Staatsleuten, und ſelbſt bey vielen,
welche ſeine Bewundrer geweſen waren, den Vorwurf,
welchen Ariſtophanes ehemals (wiewol hoͤchſt unbillig)
dem weiſen Socrates gemacht, ſich mit beſſerm Grund
oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber da-
mals hatte Plato weder ſeinen Timaͤus noch ſeine Re-
publik geſchrieben. Jndeſſen exiſtierte dieſe leztere doch
bereits in ſeinem Gehirne; ſie gab ſehr oft den Stoff
zu unſern Geſpraͤchen in den Spaziergaͤngen der Aca-
demie ab; und er bemuͤhete ſich deſto eifriger, mir ſei-
ne Begriffe von der beſten Art, die menſchliche Geſell-
ſchaft einzurichten, und zu regieren, eigen zu machen,
da er das Vergnuͤgen zu haben hofte, ſie wenigſtens
in ſo fern es die Umſtaͤnde zulaſſen wuͤrden, durch mich
realiſiert zu ſehen. Sein Eifer in dieſem Stuͤke mag
ſo groß geweſen ſeyn, als er will, ſo war er doch ge-
wiß nicht groͤſſer, als meine Begierde, dasjenige aus-
zuuͤben, was er ſpeculierte. Allein, da meine Vorſtel-
lung von der Wichtigkeit der Pflichten, welche derje-
nige auf ſich nimmt, der ſich in die oͤffentlichen Ange-
legenheiten miſchet, der Lauterkeit und innerlichen Guͤte

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[334/0356] Agathon. wollte. Der vertrautere Zutritt, den mir dieſer be- ruͤhmte Weiſe vergoͤnnte, entdekte eine Uebereinſtim- mung meiner Denkungsart mit ſeinen Grundſaͤzen, wel- che die Freundſchaft, die ich fuͤr ihn faßte, in eine faſt ſchwaͤrmeriſche Leidenſchaft verwandelte. Sie wuͤrde mir ſchaͤdlich geweſen ſeyn, wenn man damals ſchon ſo von ihm gedacht haͤtte, wie man dachte, nachdem er, durch die Bekanntmachung ſeiner metaphyſiſchen Dialogen, bey den Staatsleuten, und ſelbſt bey vielen, welche ſeine Bewundrer geweſen waren, den Vorwurf, welchen Ariſtophanes ehemals (wiewol hoͤchſt unbillig) dem weiſen Socrates gemacht, ſich mit beſſerm Grund oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber da- mals hatte Plato weder ſeinen Timaͤus noch ſeine Re- publik geſchrieben. Jndeſſen exiſtierte dieſe leztere doch bereits in ſeinem Gehirne; ſie gab ſehr oft den Stoff zu unſern Geſpraͤchen in den Spaziergaͤngen der Aca- demie ab; und er bemuͤhete ſich deſto eifriger, mir ſei- ne Begriffe von der beſten Art, die menſchliche Geſell- ſchaft einzurichten, und zu regieren, eigen zu machen, da er das Vergnuͤgen zu haben hofte, ſie wenigſtens in ſo fern es die Umſtaͤnde zulaſſen wuͤrden, durch mich realiſiert zu ſehen. Sein Eifer in dieſem Stuͤke mag ſo groß geweſen ſeyn, als er will, ſo war er doch ge- wiß nicht groͤſſer, als meine Begierde, dasjenige aus- zuuͤben, was er ſpeculierte. Allein, da meine Vorſtel- lung von der Wichtigkeit der Pflichten, welche derje- nige auf ſich nimmt, der ſich in die oͤffentlichen Ange- legenheiten miſchet, der Lauterkeit und innerlichen Guͤte meiner

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/356>, abgerufen am 25.11.2024.