gend, welche mich umgab. Mehr als einmal betrog mich mein Herz, ihn gefunden zu haben; aber eine kurze Erfahrung machte mich meines Jrrthums bald ge- wahr werden. Unter einer so grossen Anzahl von aus- erlesenen Jünglingen, welche die Liverey des Gottes zu Delphi trugen, war nicht ein einziger, den die Na- tur so vollkommen mit mir zusammen gestimmt hatte, als die Spizfindigkeit meiner Begriffe es erfoderte.
Um diese Zeit geschah es, daß ich das Unglük hatte, der Ober-Priesterin eine Neignug einzuflössen, welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter ei- nen gleich starken Absaz machte; sie hatte mich schon seit geraumer Zeit mit einer vorzüglichen Gütigkeit an- gesehen, welche ich, so lang ich konnte, einer mütter- lichen Gesinnung beymaß, und mit aller der Ehrerbie- tung erwiederte, die ich der Vertrauten des Delphischen Gottes schuldig war. Stelle dir vor, schöne Danae, was für ein Modell zu einer Bild-Säule des Erstau- nens ich abgegeben hätte, als sich eine so ehrwürdige Person herabließ, mir zu entdeken, daß alle Vertrau- lichkeit, die ich zwischen ihr und dem Apollo voraus- sezte, nicht zureiche, sie über die Schwachheiten der gemeinsten Erden-Töchter hinwegzusezen. Die gute Dame war bereits in demjenigen Alter, worinn es lä- cherlich wäre, das Herz eines Mannes von einiger Er- fahrung einer jungen Nebenbuhlerin streitig machen zu wollen. Allein einem Neuling, wofür sie mich mit gu- tem Grund ansah, die ersten Unterweisungen zu geben,
dazu
Agathon.
gend, welche mich umgab. Mehr als einmal betrog mich mein Herz, ihn gefunden zu haben; aber eine kurze Erfahrung machte mich meines Jrrthums bald ge- wahr werden. Unter einer ſo groſſen Anzahl von aus- erleſenen Juͤnglingen, welche die Liverey des Gottes zu Delphi trugen, war nicht ein einziger, den die Na- tur ſo vollkommen mit mir zuſammen geſtimmt hatte, als die Spizfindigkeit meiner Begriffe es erfoderte.
Um dieſe Zeit geſchah es, daß ich das Ungluͤk hatte, der Ober-Prieſterin eine Neignug einzufloͤſſen, welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter ei- nen gleich ſtarken Abſaz machte; ſie hatte mich ſchon ſeit geraumer Zeit mit einer vorzuͤglichen Guͤtigkeit an- geſehen, welche ich, ſo lang ich konnte, einer muͤtter- lichen Geſinnung beymaß, und mit aller der Ehrerbie- tung erwiederte, die ich der Vertrauten des Delphiſchen Gottes ſchuldig war. Stelle dir vor, ſchoͤne Danae, was fuͤr ein Modell zu einer Bild-Saͤule des Erſtau- nens ich abgegeben haͤtte, als ſich eine ſo ehrwuͤrdige Perſon herabließ, mir zu entdeken, daß alle Vertrau- lichkeit, die ich zwiſchen ihr und dem Apollo voraus- ſezte, nicht zureiche, ſie uͤber die Schwachheiten der gemeinſten Erden-Toͤchter hinwegzuſezen. Die gute Dame war bereits in demjenigen Alter, worinn es laͤ- cherlich waͤre, das Herz eines Mannes von einiger Er- fahrung einer jungen Nebenbuhlerin ſtreitig machen zu wollen. Allein einem Neuling, wofuͤr ſie mich mit gu- tem Grund anſah, die erſten Unterweiſungen zu geben,
dazu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0300"n="278"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
gend, welche mich umgab. Mehr als einmal betrog<lb/>
mich mein Herz, ihn gefunden zu haben; aber eine<lb/>
kurze Erfahrung machte mich meines Jrrthums bald ge-<lb/>
wahr werden. Unter einer ſo groſſen Anzahl von aus-<lb/>
erleſenen Juͤnglingen, welche die Liverey des Gottes<lb/>
zu Delphi trugen, war nicht ein einziger, den die Na-<lb/>
tur ſo vollkommen mit mir zuſammen geſtimmt hatte,<lb/>
als die Spizfindigkeit meiner Begriffe es erfoderte.</p><lb/><p>Um dieſe Zeit geſchah es, daß ich das Ungluͤk hatte,<lb/>
der Ober-Prieſterin eine Neignug einzufloͤſſen, welche<lb/>
mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter ei-<lb/>
nen gleich ſtarken Abſaz machte; ſie hatte mich ſchon<lb/>ſeit geraumer Zeit mit einer vorzuͤglichen Guͤtigkeit an-<lb/>
geſehen, welche ich, ſo lang ich konnte, einer muͤtter-<lb/>
lichen Geſinnung beymaß, und mit aller der Ehrerbie-<lb/>
tung erwiederte, die ich der Vertrauten des Delphiſchen<lb/>
Gottes ſchuldig war. Stelle dir vor, ſchoͤne Danae,<lb/>
was fuͤr ein Modell zu einer Bild-Saͤule des Erſtau-<lb/>
nens ich abgegeben haͤtte, als ſich eine ſo ehrwuͤrdige<lb/>
Perſon herabließ, mir zu entdeken, daß alle Vertrau-<lb/>
lichkeit, die ich zwiſchen ihr und dem Apollo voraus-<lb/>ſezte, nicht zureiche, ſie uͤber die Schwachheiten der<lb/>
gemeinſten Erden-Toͤchter hinwegzuſezen. Die gute<lb/>
Dame war bereits in demjenigen Alter, worinn es laͤ-<lb/>
cherlich waͤre, das Herz eines Mannes von einiger Er-<lb/>
fahrung einer jungen Nebenbuhlerin ſtreitig machen zu<lb/>
wollen. Allein einem Neuling, wofuͤr ſie mich mit gu-<lb/>
tem Grund anſah, die erſten Unterweiſungen zu geben,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dazu</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[278/0300]
Agathon.
gend, welche mich umgab. Mehr als einmal betrog
mich mein Herz, ihn gefunden zu haben; aber eine
kurze Erfahrung machte mich meines Jrrthums bald ge-
wahr werden. Unter einer ſo groſſen Anzahl von aus-
erleſenen Juͤnglingen, welche die Liverey des Gottes
zu Delphi trugen, war nicht ein einziger, den die Na-
tur ſo vollkommen mit mir zuſammen geſtimmt hatte,
als die Spizfindigkeit meiner Begriffe es erfoderte.
Um dieſe Zeit geſchah es, daß ich das Ungluͤk hatte,
der Ober-Prieſterin eine Neignug einzufloͤſſen, welche
mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter ei-
nen gleich ſtarken Abſaz machte; ſie hatte mich ſchon
ſeit geraumer Zeit mit einer vorzuͤglichen Guͤtigkeit an-
geſehen, welche ich, ſo lang ich konnte, einer muͤtter-
lichen Geſinnung beymaß, und mit aller der Ehrerbie-
tung erwiederte, die ich der Vertrauten des Delphiſchen
Gottes ſchuldig war. Stelle dir vor, ſchoͤne Danae,
was fuͤr ein Modell zu einer Bild-Saͤule des Erſtau-
nens ich abgegeben haͤtte, als ſich eine ſo ehrwuͤrdige
Perſon herabließ, mir zu entdeken, daß alle Vertrau-
lichkeit, die ich zwiſchen ihr und dem Apollo voraus-
ſezte, nicht zureiche, ſie uͤber die Schwachheiten der
gemeinſten Erden-Toͤchter hinwegzuſezen. Die gute
Dame war bereits in demjenigen Alter, worinn es laͤ-
cherlich waͤre, das Herz eines Mannes von einiger Er-
fahrung einer jungen Nebenbuhlerin ſtreitig machen zu
wollen. Allein einem Neuling, wofuͤr ſie mich mit gu-
tem Grund anſah, die erſten Unterweiſungen zu geben,
dazu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/300>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.