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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Sechstes Buch, viertes Capitel.
sich herauszuarbeiten, war so heftig, daß er daran er-
wachte.

Ein Strom von Thränen, in welchen sein bersten-
des Herz ausbrach, war die erste Würkung des tieffen
Eindrukes, den dieser sonderbare Traum in seiner er-
wachten aber noch ganz von ihren Gesichten umgebnen
Seele zurükließ. Er weinte so lange und so heftig,
daß sein Hauptküssen ganz davon durchnezt wurde. Ach
Psyche! Psyche! rief er von Zeit zu Zeit aus, indem
er seine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde aus-
strekte; und dann brach eine neue Fluth aus seinen
schwellenden Augen. Wo bin ich, rief er wiederum
aus, und sah sich um, als ob er bestürzt wäre, sich
in einem mit Persischen Tapeten behangnen, und von
tausend Kostbarkeiten schimmernden Zimmer auf dem
weichsten Ruhbette liegend zu finden -- O Psy-
che -- was ist aus deinem Agathon worden? --
O unglüklicher Tag, an dem mich die verhaßten Räu-
ber deinem Arm entrissen! -- Unter solchen Vor-
stellungen und Ausruffungen stund er auf; gieng in hef-
tiger Bewegung auf und nieder, warf sich abermahl
auf das Ruhbette, und blieb eine lange Zeit stumm,
und mit zu Boden starrenden Bliken unbeweglich, wie
in Gedanken verlohren, sizen. Endlich rafte er sich
wieder auf, kleidete sich an, und stieg in die Gärten
herab, um in dem einsamsten Theil des Hayns die Ruhe
zu suchen, welche er nöthig hatte, über seinen Traum,
seinen gegenwärtigen Zustand und die Entschliessungen,

die
Q 3

Sechstes Buch, viertes Capitel.
ſich herauszuarbeiten, war ſo heftig, daß er daran er-
wachte.

Ein Strom von Thraͤnen, in welchen ſein berſten-
des Herz ausbrach, war die erſte Wuͤrkung des tieffen
Eindrukes, den dieſer ſonderbare Traum in ſeiner er-
wachten aber noch ganz von ihren Geſichten umgebnen
Seele zuruͤkließ. Er weinte ſo lange und ſo heftig,
daß ſein Hauptkuͤſſen ganz davon durchnezt wurde. Ach
Pſyche! Pſyche! rief er von Zeit zu Zeit aus, indem
er ſeine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde aus-
ſtrekte; und dann brach eine neue Fluth aus ſeinen
ſchwellenden Augen. Wo bin ich, rief er wiederum
aus, und ſah ſich um, als ob er beſtuͤrzt waͤre, ſich
in einem mit Perſiſchen Tapeten behangnen, und von
tauſend Koſtbarkeiten ſchimmernden Zimmer auf dem
weichſten Ruhbette liegend zu finden — O Pſy-
che — was iſt aus deinem Agathon worden? —
O ungluͤklicher Tag, an dem mich die verhaßten Raͤu-
ber deinem Arm entriſſen! — Unter ſolchen Vor-
ſtellungen und Ausruffungen ſtund er auf; gieng in hef-
tiger Bewegung auf und nieder, warf ſich abermahl
auf das Ruhbette, und blieb eine lange Zeit ſtumm,
und mit zu Boden ſtarrenden Bliken unbeweglich, wie
in Gedanken verlohren, ſizen. Endlich rafte er ſich
wieder auf, kleidete ſich an, und ſtieg in die Gaͤrten
herab, um in dem einſamſten Theil des Hayns die Ruhe
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die
Q 3
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[245/0267] Sechstes Buch, viertes Capitel. ſich herauszuarbeiten, war ſo heftig, daß er daran er- wachte. Ein Strom von Thraͤnen, in welchen ſein berſten- des Herz ausbrach, war die erſte Wuͤrkung des tieffen Eindrukes, den dieſer ſonderbare Traum in ſeiner er- wachten aber noch ganz von ihren Geſichten umgebnen Seele zuruͤkließ. Er weinte ſo lange und ſo heftig, daß ſein Hauptkuͤſſen ganz davon durchnezt wurde. Ach Pſyche! Pſyche! rief er von Zeit zu Zeit aus, indem er ſeine gerungenen Arme wie nach ihrem Bilde aus- ſtrekte; und dann brach eine neue Fluth aus ſeinen ſchwellenden Augen. Wo bin ich, rief er wiederum aus, und ſah ſich um, als ob er beſtuͤrzt waͤre, ſich in einem mit Perſiſchen Tapeten behangnen, und von tauſend Koſtbarkeiten ſchimmernden Zimmer auf dem weichſten Ruhbette liegend zu finden — O Pſy- che — was iſt aus deinem Agathon worden? — O ungluͤklicher Tag, an dem mich die verhaßten Raͤu- ber deinem Arm entriſſen! — Unter ſolchen Vor- ſtellungen und Ausruffungen ſtund er auf; gieng in hef- tiger Bewegung auf und nieder, warf ſich abermahl auf das Ruhbette, und blieb eine lange Zeit ſtumm, und mit zu Boden ſtarrenden Bliken unbeweglich, wie in Gedanken verlohren, ſizen. Endlich rafte er ſich wieder auf, kleidete ſich an, und ſtieg in die Gaͤrten herab, um in dem einſamſten Theil des Hayns die Ruhe zu ſuchen, welche er noͤthig hatte, uͤber ſeinen Traum, ſeinen gegenwaͤrtigen Zuſtand und die Entſchlieſſungen, die Q 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/267>, abgerufen am 24.11.2024.