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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
schenkt worden ist. Sie theilten die Träume in man-
cherley Gattungen und Arten ein, wiesen ihnen ihre
geheime Bedeutungen an, gaben den Schlüssel dazu,
und trugen kein Bedenken, einige Arten derselben ganz
zuversichtlich dem Einfluß derjenigen Geister zuzuschrei-
ben, womit sie alle Theile der Natur reichlich bevöl-
kert hatten. Jn der That scheinen sie sich in diesem
Stük lediglich nach einem allgemeinen Glauben, der
sich von je her unter allen Völkern und Zeiten erhalten
hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer schluß-
förmigen Theorie gebracht zu haben, was bey ihren
Großmüttern ein sehr unsichers Gemische von Tradi-
tion, Einbildung und Blödigkeit des Geistes gewesen
seyn möchte. Dem sey nun wie ihm wolle, so ist ge-
wiß, daß wir zuweilen Träume haben, in denen so
viel Zusammenhang, so viel Beziehung auf unsre ver-
gangne und gegenwärtige Umstände, wiewohl allezeit mit
einem kleinen Zusaz von Wunderbarem und Unbegreifli-
chem, anzutreffen ist; daß wir uns um jener Merk-
male der Wahrheit willen geneigt sinden, in diesem
leztern etwas geheimnisvolles und vorbedeutendes zu
suchen. Träume von dieser Art den Geistern ausser
uns, oder, wie die Pythagoräer thaten, einer gewis-
sen prophetischen Kraft und Divination unsrer Seele
beyzumessen, welche unter dem tieffen Schlummer der
Sinne bessere Freyheit habe, sich zu entwikeln: So
sinnreiche Auflösungen überlassen wir denjenigen, welche
zum Besiz jener von Lucrez so enthusiastisch gepriesenen
Glükseligkeit, die Ursachen der Dinge einzusehen, in

einem

Agathon.
ſchenkt worden iſt. Sie theilten die Traͤume in man-
cherley Gattungen und Arten ein, wieſen ihnen ihre
geheime Bedeutungen an, gaben den Schluͤſſel dazu,
und trugen kein Bedenken, einige Arten derſelben ganz
zuverſichtlich dem Einfluß derjenigen Geiſter zuzuſchrei-
ben, womit ſie alle Theile der Natur reichlich bevoͤl-
kert hatten. Jn der That ſcheinen ſie ſich in dieſem
Stuͤk lediglich nach einem allgemeinen Glauben, der
ſich von je her unter allen Voͤlkern und Zeiten erhalten
hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer ſchluß-
foͤrmigen Theorie gebracht zu haben, was bey ihren
Großmuͤttern ein ſehr unſichers Gemiſche von Tradi-
tion, Einbildung und Bloͤdigkeit des Geiſtes geweſen
ſeyn moͤchte. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo iſt ge-
wiß, daß wir zuweilen Traͤume haben, in denen ſo
viel Zuſammenhang, ſo viel Beziehung auf unſre ver-
gangne und gegenwaͤrtige Umſtaͤnde, wiewohl allezeit mit
einem kleinen Zuſaz von Wunderbarem und Unbegreifli-
chem, anzutreffen iſt; daß wir uns um jener Merk-
male der Wahrheit willen geneigt ſinden, in dieſem
leztern etwas geheimnisvolles und vorbedeutendes zu
ſuchen. Traͤume von dieſer Art den Geiſtern auſſer
uns, oder, wie die Pythagoraͤer thaten, einer gewiſ-
ſen prophetiſchen Kraft und Divination unſrer Seele
beyzumeſſen, welche unter dem tieffen Schlummer der
Sinne beſſere Freyheit habe, ſich zu entwikeln: So
ſinnreiche Aufloͤſungen uͤberlaſſen wir denjenigen, welche
zum Beſiz jener von Lucrez ſo enthuſiaſtiſch geprieſenen
Gluͤkſeligkeit, die Urſachen der Dinge einzuſehen, in

einem
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[242/0264] Agathon. ſchenkt worden iſt. Sie theilten die Traͤume in man- cherley Gattungen und Arten ein, wieſen ihnen ihre geheime Bedeutungen an, gaben den Schluͤſſel dazu, und trugen kein Bedenken, einige Arten derſelben ganz zuverſichtlich dem Einfluß derjenigen Geiſter zuzuſchrei- ben, womit ſie alle Theile der Natur reichlich bevoͤl- kert hatten. Jn der That ſcheinen ſie ſich in dieſem Stuͤk lediglich nach einem allgemeinen Glauben, der ſich von je her unter allen Voͤlkern und Zeiten erhalten hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer ſchluß- foͤrmigen Theorie gebracht zu haben, was bey ihren Großmuͤttern ein ſehr unſichers Gemiſche von Tradi- tion, Einbildung und Bloͤdigkeit des Geiſtes geweſen ſeyn moͤchte. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo iſt ge- wiß, daß wir zuweilen Traͤume haben, in denen ſo viel Zuſammenhang, ſo viel Beziehung auf unſre ver- gangne und gegenwaͤrtige Umſtaͤnde, wiewohl allezeit mit einem kleinen Zuſaz von Wunderbarem und Unbegreifli- chem, anzutreffen iſt; daß wir uns um jener Merk- male der Wahrheit willen geneigt ſinden, in dieſem leztern etwas geheimnisvolles und vorbedeutendes zu ſuchen. Traͤume von dieſer Art den Geiſtern auſſer uns, oder, wie die Pythagoraͤer thaten, einer gewiſ- ſen prophetiſchen Kraft und Divination unſrer Seele beyzumeſſen, welche unter dem tieffen Schlummer der Sinne beſſere Freyheit habe, ſich zu entwikeln: So ſinnreiche Aufloͤſungen uͤberlaſſen wir denjenigen, welche zum Beſiz jener von Lucrez ſo enthuſiaſtiſch geprieſenen Gluͤkſeligkeit, die Urſachen der Dinge einzuſehen, in einem

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/264>, abgerufen am 24.11.2024.