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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Sechstes Buch, drittes Capitel.
um ihr selbigen ohne längern Aufschub vorzulegen. Er
kehrte nunmehr, nachdem er ungefehr eine Stunde
allein gewesen war, mit einem so aufgeheiterten Ge-
sicht zur Gesellschaft, welche sich in einem Saale des
Gartens versammelt hatte, zurük, daß Danae und Hip-
pias selbst sich bereden liessen, seinen vorigen Anstoß
einer vorübergehenden Uebelkeit zuzuschreiben. Ergöz-
lichkeiten folgten izt auf Ergözlichkeiten so dicht anein-
ander, und so mannigfaltig, daß die überladene Seele
keine Zeit behielt sich Rechenschaft von ihren Empfin-
dungen zu geben; und nach Gewohnheit des Landes
wurde die ganze Nacht biß zum Anbruch der Morgen-
röthe in brausenden Vergnügungen hingebracht. Die
Gegenwart der liebenswürdigen Danae würkte mit ih-
rer ganzen magischen Kraft auf unsern Helden, ohne
verhindern zu können, daß er von Zeit zu Zeit in eine
Zerstreuung fiel, aus welcher sie ihn, sobald sie es ge-
wahr wurde, zu ziehen bemüht war. Die Gegenstän-
de, welche seinen sittlichen Geschmak ehmals beleidiget
hatten, waren hier zu häufig, als daß nicht mitten unter
den flüchtigen Vergnügungen, womit sie gleichsam über
die Oberfläche seiner Seele hinglitscheten, ein geheimes
Gefühl seiner Erniedrigung seine Wangen mit Scham-
röthe vor sich selbst, dem Vorboten der wiederkehrenden
Tugend, hätte überziehen sollen.

Dieses begegnete insonderheit bey einem pantomi-
mischen Tanze, womit Hippias seine gröstentheils vom
Baechus glühenden Gäste noch eine geraume Zeit nach

Mitter-

Sechstes Buch, drittes Capitel.
um ihr ſelbigen ohne laͤngern Aufſchub vorzulegen. Er
kehrte nunmehr, nachdem er ungefehr eine Stunde
allein geweſen war, mit einem ſo aufgeheiterten Ge-
ſicht zur Geſellſchaft, welche ſich in einem Saale des
Gartens verſammelt hatte, zuruͤk, daß Danae und Hip-
pias ſelbſt ſich bereden lieſſen, ſeinen vorigen Anſtoß
einer voruͤbergehenden Uebelkeit zuzuſchreiben. Ergoͤz-
lichkeiten folgten izt auf Ergoͤzlichkeiten ſo dicht anein-
ander, und ſo mannigfaltig, daß die uͤberladene Seele
keine Zeit behielt ſich Rechenſchaft von ihren Empfin-
dungen zu geben; und nach Gewohnheit des Landes
wurde die ganze Nacht biß zum Anbruch der Morgen-
roͤthe in brauſenden Vergnuͤgungen hingebracht. Die
Gegenwart der liebenswuͤrdigen Danae wuͤrkte mit ih-
rer ganzen magiſchen Kraft auf unſern Helden, ohne
verhindern zu koͤnnen, daß er von Zeit zu Zeit in eine
Zerſtreuung fiel, aus welcher ſie ihn, ſobald ſie es ge-
wahr wurde, zu ziehen bemuͤht war. Die Gegenſtaͤn-
de, welche ſeinen ſittlichen Geſchmak ehmals beleidiget
hatten, waren hier zu haͤufig, als daß nicht mitten unter
den fluͤchtigen Vergnuͤgungen, womit ſie gleichſam uͤber
die Oberflaͤche ſeiner Seele hinglitſcheten, ein geheimes
Gefuͤhl ſeiner Erniedrigung ſeine Wangen mit Scham-
roͤthe vor ſich ſelbſt, dem Vorboten der wiederkehrenden
Tugend, haͤtte uͤberziehen ſollen.

Dieſes begegnete inſonderheit bey einem pantomi-
miſchen Tanze, womit Hippias ſeine groͤſtentheils vom
Baechus gluͤhenden Gaͤſte noch eine geraume Zeit nach

Mitter-
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[239/0261] Sechstes Buch, drittes Capitel. um ihr ſelbigen ohne laͤngern Aufſchub vorzulegen. Er kehrte nunmehr, nachdem er ungefehr eine Stunde allein geweſen war, mit einem ſo aufgeheiterten Ge- ſicht zur Geſellſchaft, welche ſich in einem Saale des Gartens verſammelt hatte, zuruͤk, daß Danae und Hip- pias ſelbſt ſich bereden lieſſen, ſeinen vorigen Anſtoß einer voruͤbergehenden Uebelkeit zuzuſchreiben. Ergoͤz- lichkeiten folgten izt auf Ergoͤzlichkeiten ſo dicht anein- ander, und ſo mannigfaltig, daß die uͤberladene Seele keine Zeit behielt ſich Rechenſchaft von ihren Empfin- dungen zu geben; und nach Gewohnheit des Landes wurde die ganze Nacht biß zum Anbruch der Morgen- roͤthe in brauſenden Vergnuͤgungen hingebracht. Die Gegenwart der liebenswuͤrdigen Danae wuͤrkte mit ih- rer ganzen magiſchen Kraft auf unſern Helden, ohne verhindern zu koͤnnen, daß er von Zeit zu Zeit in eine Zerſtreuung fiel, aus welcher ſie ihn, ſobald ſie es ge- wahr wurde, zu ziehen bemuͤht war. Die Gegenſtaͤn- de, welche ſeinen ſittlichen Geſchmak ehmals beleidiget hatten, waren hier zu haͤufig, als daß nicht mitten unter den fluͤchtigen Vergnuͤgungen, womit ſie gleichſam uͤber die Oberflaͤche ſeiner Seele hinglitſcheten, ein geheimes Gefuͤhl ſeiner Erniedrigung ſeine Wangen mit Scham- roͤthe vor ſich ſelbſt, dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend, haͤtte uͤberziehen ſollen. Dieſes begegnete inſonderheit bey einem pantomi- miſchen Tanze, womit Hippias ſeine groͤſtentheils vom Baechus gluͤhenden Gaͤſte noch eine geraume Zeit nach Mitter-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/261>, abgerufen am 23.11.2024.