Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch, achtes Capitel.
Wahne, daß wir eben so wunderthätige Helden gewe-
sen seyn würden, wenn uns das Schiksal an ihren
Plaz gesezt hätte.

Wir müssen uns gefallen lassen, wie diese gewag-
ten Gedanken, so natürlich und wahr sie uns scheinen,
von den verschiednen Classen unsrer Leser aufgenommen
werden mögen: Und wenn wir auch gleich Gefahr
lauffen sollten, uns ungünstige Vorurtheile zuzuziehen;
so können wir doch nicht umhin, diese angefangene Be-
trachtung um so mehr fortzusezen, je grösser die Be-
ziehung ist, welche sie auf den ganzen Jnnhalt der vor-
liegenden Geschichte hat.

Unter allen den übernatürlichen Charaktern, welche
die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge-
wissen Schwung von Hochachtung gebracht haben, sind
sie mit keinem glüklicher gewesen, als mit dem Helden-
denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der
verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeschich-
ten, Ritterbücher und Romanen, von den Zeiten des
guten Bischofs Heliodorus biß zu den unsrigen, sowol
von Freunden, die einander alles, sogar die Forde-
rungen ihrer stärksten Leidenschaften, und das angele-
genste Jnteresse ihres Herzens aufopfern; von Rittern,
welche immer bereit sind, der ersten Jnfantin, die ih-
nen begegnet, zu gefallen, sich mit allen Riesen und
Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre-
billon eine bequemere Mode unter unsre Nachbarn jen-

seits
N 4

Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
Wahne, daß wir eben ſo wunderthaͤtige Helden gewe-
ſen ſeyn wuͤrden, wenn uns das Schikſal an ihren
Plaz geſezt haͤtte.

Wir muͤſſen uns gefallen laſſen, wie dieſe gewag-
ten Gedanken, ſo natuͤrlich und wahr ſie uns ſcheinen,
von den verſchiednen Claſſen unſrer Leſer aufgenommen
werden moͤgen: Und wenn wir auch gleich Gefahr
lauffen ſollten, uns unguͤnſtige Vorurtheile zuzuziehen;
ſo koͤnnen wir doch nicht umhin, dieſe angefangene Be-
trachtung um ſo mehr fortzuſezen, je groͤſſer die Be-
ziehung iſt, welche ſie auf den ganzen Jnnhalt der vor-
liegenden Geſchichte hat.

Unter allen den uͤbernatuͤrlichen Charaktern, welche
die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge-
wiſſen Schwung von Hochachtung gebracht haben, ſind
ſie mit keinem gluͤklicher geweſen, als mit dem Helden-
denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der
verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeſchich-
ten, Ritterbuͤcher und Romanen, von den Zeiten des
guten Biſchofs Heliodorus biß zu den unſrigen, ſowol
von Freunden, die einander alles, ſogar die Forde-
rungen ihrer ſtaͤrkſten Leidenſchaften, und das angele-
genſte Jntereſſe ihres Herzens aufopfern; von Rittern,
welche immer bereit ſind, der erſten Jnfantin, die ih-
nen begegnet, zu gefallen, ſich mit allen Rieſen und
Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre-
billon eine bequemere Mode unter unſre Nachbarn jen-

ſeits
N 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0221" n="199"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Buch, achtes Capitel.</hi></fw><lb/>
Wahne, daß wir eben &#x017F;o wundertha&#x0364;tige Helden gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, wenn uns das Schik&#x017F;al an ihren<lb/>
Plaz ge&#x017F;ezt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
            <p>Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns gefallen la&#x017F;&#x017F;en, wie die&#x017F;e gewag-<lb/>
ten Gedanken, &#x017F;o natu&#x0364;rlich und wahr &#x017F;ie uns &#x017F;cheinen,<lb/>
von den ver&#x017F;chiednen Cla&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;rer Le&#x017F;er aufgenommen<lb/>
werden mo&#x0364;gen: Und wenn wir auch gleich Gefahr<lb/>
lauffen &#x017F;ollten, uns ungu&#x0364;n&#x017F;tige Vorurtheile zuzuziehen;<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nnen wir doch nicht umhin, die&#x017F;e angefangene Be-<lb/>
trachtung um &#x017F;o mehr fortzu&#x017F;ezen, je gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er die Be-<lb/>
ziehung i&#x017F;t, welche &#x017F;ie auf den ganzen Jnnhalt der vor-<lb/>
liegenden Ge&#x017F;chichte hat.</p><lb/>
            <p>Unter allen den u&#x0364;bernatu&#x0364;rlichen Charaktern, welche<lb/>
die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Schwung von Hochachtung gebracht haben, &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ie mit keinem glu&#x0364;klicher gewe&#x017F;en, als mit dem Helden-<lb/>
denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der<lb/>
verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensge&#x017F;chich-<lb/>
ten, Ritterbu&#x0364;cher und Romanen, von den Zeiten des<lb/>
guten Bi&#x017F;chofs Heliodorus biß zu den un&#x017F;rigen, &#x017F;owol<lb/>
von Freunden, die einander alles, &#x017F;ogar die Forde-<lb/>
rungen ihrer &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Leiden&#x017F;chaften, und das angele-<lb/>
gen&#x017F;te Jntere&#x017F;&#x017F;e ihres Herzens aufopfern; von Rittern,<lb/>
welche immer bereit &#x017F;ind, der er&#x017F;ten Jnfantin, die ih-<lb/>
nen begegnet, zu gefallen, &#x017F;ich mit allen Rie&#x017F;en und<lb/>
Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre-<lb/>
billon eine bequemere Mode unter un&#x017F;re Nachbarn jen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eits</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0221] Fuͤnftes Buch, achtes Capitel. Wahne, daß wir eben ſo wunderthaͤtige Helden gewe- ſen ſeyn wuͤrden, wenn uns das Schikſal an ihren Plaz geſezt haͤtte. Wir muͤſſen uns gefallen laſſen, wie dieſe gewag- ten Gedanken, ſo natuͤrlich und wahr ſie uns ſcheinen, von den verſchiednen Claſſen unſrer Leſer aufgenommen werden moͤgen: Und wenn wir auch gleich Gefahr lauffen ſollten, uns unguͤnſtige Vorurtheile zuzuziehen; ſo koͤnnen wir doch nicht umhin, dieſe angefangene Be- trachtung um ſo mehr fortzuſezen, je groͤſſer die Be- ziehung iſt, welche ſie auf den ganzen Jnnhalt der vor- liegenden Geſchichte hat. Unter allen den uͤbernatuͤrlichen Charaktern, welche die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge- wiſſen Schwung von Hochachtung gebracht haben, ſind ſie mit keinem gluͤklicher geweſen, als mit dem Helden- denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeſchich- ten, Ritterbuͤcher und Romanen, von den Zeiten des guten Biſchofs Heliodorus biß zu den unſrigen, ſowol von Freunden, die einander alles, ſogar die Forde- rungen ihrer ſtaͤrkſten Leidenſchaften, und das angele- genſte Jntereſſe ihres Herzens aufopfern; von Rittern, welche immer bereit ſind, der erſten Jnfantin, die ih- nen begegnet, zu gefallen, ſich mit allen Rieſen und Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre- billon eine bequemere Mode unter unſre Nachbarn jen- ſeits N 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/221
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/221>, abgerufen am 20.04.2024.