Wahne, daß wir eben so wunderthätige Helden gewe- sen seyn würden, wenn uns das Schiksal an ihren Plaz gesezt hätte.
Wir müssen uns gefallen lassen, wie diese gewag- ten Gedanken, so natürlich und wahr sie uns scheinen, von den verschiednen Classen unsrer Leser aufgenommen werden mögen: Und wenn wir auch gleich Gefahr lauffen sollten, uns ungünstige Vorurtheile zuzuziehen; so können wir doch nicht umhin, diese angefangene Be- trachtung um so mehr fortzusezen, je grösser die Be- ziehung ist, welche sie auf den ganzen Jnnhalt der vor- liegenden Geschichte hat.
Unter allen den übernatürlichen Charaktern, welche die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge- wissen Schwung von Hochachtung gebracht haben, sind sie mit keinem glüklicher gewesen, als mit dem Helden- denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeschich- ten, Ritterbücher und Romanen, von den Zeiten des guten Bischofs Heliodorus biß zu den unsrigen, sowol von Freunden, die einander alles, sogar die Forde- rungen ihrer stärksten Leidenschaften, und das angele- genste Jnteresse ihres Herzens aufopfern; von Rittern, welche immer bereit sind, der ersten Jnfantin, die ih- nen begegnet, zu gefallen, sich mit allen Riesen und Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre- billon eine bequemere Mode unter unsre Nachbarn jen-
seits
N 4
Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
Wahne, daß wir eben ſo wunderthaͤtige Helden gewe- ſen ſeyn wuͤrden, wenn uns das Schikſal an ihren Plaz geſezt haͤtte.
Wir muͤſſen uns gefallen laſſen, wie dieſe gewag- ten Gedanken, ſo natuͤrlich und wahr ſie uns ſcheinen, von den verſchiednen Claſſen unſrer Leſer aufgenommen werden moͤgen: Und wenn wir auch gleich Gefahr lauffen ſollten, uns unguͤnſtige Vorurtheile zuzuziehen; ſo koͤnnen wir doch nicht umhin, dieſe angefangene Be- trachtung um ſo mehr fortzuſezen, je groͤſſer die Be- ziehung iſt, welche ſie auf den ganzen Jnnhalt der vor- liegenden Geſchichte hat.
Unter allen den uͤbernatuͤrlichen Charaktern, welche die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge- wiſſen Schwung von Hochachtung gebracht haben, ſind ſie mit keinem gluͤklicher geweſen, als mit dem Helden- denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeſchich- ten, Ritterbuͤcher und Romanen, von den Zeiten des guten Biſchofs Heliodorus biß zu den unſrigen, ſowol von Freunden, die einander alles, ſogar die Forde- rungen ihrer ſtaͤrkſten Leidenſchaften, und das angele- genſte Jntereſſe ihres Herzens aufopfern; von Rittern, welche immer bereit ſind, der erſten Jnfantin, die ih- nen begegnet, zu gefallen, ſich mit allen Rieſen und Ungeheuern der Welt herumzuhauen; und (biß Cre- billon eine bequemere Mode unter unſre Nachbarn jen-
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Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
Wahne, daß wir eben ſo wunderthaͤtige Helden gewe-
ſen ſeyn wuͤrden, wenn uns das Schikſal an ihren
Plaz geſezt haͤtte.
Wir muͤſſen uns gefallen laſſen, wie dieſe gewag-
ten Gedanken, ſo natuͤrlich und wahr ſie uns ſcheinen,
von den verſchiednen Claſſen unſrer Leſer aufgenommen
werden moͤgen: Und wenn wir auch gleich Gefahr
lauffen ſollten, uns unguͤnſtige Vorurtheile zuzuziehen;
ſo koͤnnen wir doch nicht umhin, dieſe angefangene Be-
trachtung um ſo mehr fortzuſezen, je groͤſſer die Be-
ziehung iſt, welche ſie auf den ganzen Jnnhalt der vor-
liegenden Geſchichte hat.
Unter allen den uͤbernatuͤrlichen Charaktern, welche
die mehrbelobten romanhaften Sittenlehrer in einen ge-
wiſſen Schwung von Hochachtung gebracht haben, ſind
ſie mit keinem gluͤklicher geweſen, als mit dem Helden-
denthum in der Großmuth, in der Tapferkeit und in der
verliebten Treue. Daher finden wir die Liebensgeſchich-
ten, Ritterbuͤcher und Romanen, von den Zeiten des
guten Biſchofs Heliodorus biß zu den unſrigen, ſowol
von Freunden, die einander alles, ſogar die Forde-
rungen ihrer ſtaͤrkſten Leidenſchaften, und das angele-
genſte Jntereſſe ihres Herzens aufopfern; von Rittern,
welche immer bereit ſind, der erſten Jnfantin, die ih-
nen begegnet, zu gefallen, ſich mit allen Rieſen und
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/221>, abgerufen am 24.11.2024.
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