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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
zu verwandeln; umsonst mag er beweisen, daß die
unfruchtbare Bewunderung einer schimärischen Voll-
kommenheit, welche man nachzuahmen eben so we-
nig wahren Vorsaz als Vermögen hat, das äusserste
sey, was diese wakere Leute von ihren hochfliegenden
Bemühungen zum Besten einer ungelehrigen Welt er-
warten können: Der weisere Tadler heißt ihnen ein
Zoilus, und hat von Glük zu sagen, wenn das Urtheil
das er von einem so moralischen Werke des Wizes
fällt, nicht auf seinen eignen sittlichen Charakter zu-
rükprallt, und die gesundere Beschaffenheit seines Ge-
hirns nicht zu einem Beweise seines schlimmen Her-
zens gemacht wird. Und wie sollte es auch anders
seyn können? Unsre Eitelkeit ist zusehr dabey interes-
stert, als daß wir uns derjenigen nicht annehmen soll-
ten, welche unsre Natur, wiewohl eignen Ge-
walts, zu einer so grossen Hoheit und Würdigkeit er-
halten. Es schmeichelt unserm Stolze, der sich un-
gern durch so viele Zeichen von Vorzügen des Stands,
des Ansehens, der Macht und des äusserlichen Glanzes
unter andre erniedriget sieht, die Mittel (wenigstens
so lange das angenehme Blendwerk daurt) in seiner
Gewalt zu sehen, sich über die Gegenstände seines
Neides hinauf schwingen, und sie tief im Staube un-
ter sich zurüklassen zu können. Und wenn gleich die
unverheelbare Schwäche unsrer Natur uns auf der ei-
nen Seite, zu grossem Voriheil unsrer Trägheit, von
der Ausübung heroischer Tugenden loszählt; so ergözt
sich doch inzwischen unsre Eigenliebe an dem süssen

Wahne,

Agathon.
zu verwandeln; umſonſt mag er beweiſen, daß die
unfruchtbare Bewunderung einer ſchimaͤriſchen Voll-
kommenheit, welche man nachzuahmen eben ſo we-
nig wahren Vorſaz als Vermoͤgen hat, das aͤuſſerſte
ſey, was dieſe wakere Leute von ihren hochfliegenden
Bemuͤhungen zum Beſten einer ungelehrigen Welt er-
warten koͤnnen: Der weiſere Tadler heißt ihnen ein
Zoilus, und hat von Gluͤk zu ſagen, wenn das Urtheil
das er von einem ſo moraliſchen Werke des Wizes
faͤllt, nicht auf ſeinen eignen ſittlichen Charakter zu-
ruͤkprallt, und die geſundere Beſchaffenheit ſeines Ge-
hirns nicht zu einem Beweiſe ſeines ſchlimmen Her-
zens gemacht wird. Und wie ſollte es auch anders
ſeyn koͤnnen? Unſre Eitelkeit iſt zuſehr dabey intereſ-
ſtert, als daß wir uns derjenigen nicht annehmen ſoll-
ten, welche unſre Natur, wiewohl eignen Ge-
walts, zu einer ſo groſſen Hoheit und Wuͤrdigkeit er-
halten. Es ſchmeichelt unſerm Stolze, der ſich un-
gern durch ſo viele Zeichen von Vorzuͤgen des Stands,
des Anſehens, der Macht und des aͤuſſerlichen Glanzes
unter andre erniedriget ſieht, die Mittel (wenigſtens
ſo lange das angenehme Blendwerk daurt) in ſeiner
Gewalt zu ſehen, ſich uͤber die Gegenſtaͤnde ſeines
Neides hinauf ſchwingen, und ſie tief im Staube un-
ter ſich zuruͤklaſſen zu koͤnnen. Und wenn gleich die
unverheelbare Schwaͤche unſrer Natur uns auf der ei-
nen Seite, zu groſſem Voriheil unſrer Traͤgheit, von
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ſich doch inzwiſchen unſre Eigenliebe an dem ſuͤſſen

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[198/0220] Agathon. zu verwandeln; umſonſt mag er beweiſen, daß die unfruchtbare Bewunderung einer ſchimaͤriſchen Voll- kommenheit, welche man nachzuahmen eben ſo we- nig wahren Vorſaz als Vermoͤgen hat, das aͤuſſerſte ſey, was dieſe wakere Leute von ihren hochfliegenden Bemuͤhungen zum Beſten einer ungelehrigen Welt er- warten koͤnnen: Der weiſere Tadler heißt ihnen ein Zoilus, und hat von Gluͤk zu ſagen, wenn das Urtheil das er von einem ſo moraliſchen Werke des Wizes faͤllt, nicht auf ſeinen eignen ſittlichen Charakter zu- ruͤkprallt, und die geſundere Beſchaffenheit ſeines Ge- hirns nicht zu einem Beweiſe ſeines ſchlimmen Her- zens gemacht wird. Und wie ſollte es auch anders ſeyn koͤnnen? Unſre Eitelkeit iſt zuſehr dabey intereſ- ſtert, als daß wir uns derjenigen nicht annehmen ſoll- ten, welche unſre Natur, wiewohl eignen Ge- walts, zu einer ſo groſſen Hoheit und Wuͤrdigkeit er- halten. Es ſchmeichelt unſerm Stolze, der ſich un- gern durch ſo viele Zeichen von Vorzuͤgen des Stands, des Anſehens, der Macht und des aͤuſſerlichen Glanzes unter andre erniedriget ſieht, die Mittel (wenigſtens ſo lange das angenehme Blendwerk daurt) in ſeiner Gewalt zu ſehen, ſich uͤber die Gegenſtaͤnde ſeines Neides hinauf ſchwingen, und ſie tief im Staube un- ter ſich zuruͤklaſſen zu koͤnnen. Und wenn gleich die unverheelbare Schwaͤche unſrer Natur uns auf der ei- nen Seite, zu groſſem Voriheil unſrer Traͤgheit, von der Ausuͤbung heroiſcher Tugenden loszaͤhlt; ſo ergoͤzt ſich doch inzwiſchen unſre Eigenliebe an dem ſuͤſſen Wahne,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/220>, abgerufen am 26.04.2024.