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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Viertes Buch, drittes Capitel.
theil hatte, Smyrna zu ihrem beständigen Siz zu er-
wählen. Hier hatte sie Gelegenheit dem jüngern Cyrus
bekannt zu werden, dessen liebenswürdige Eigenschaften
durch die Feder des Xenophon eben so bekannt worden
sind, als der unglükliche Ausgang der Unternehmung,
wodurch er sich auf den Thron des ersten Cyrus zu
schwingen hofte. Jhr erster Anblik unterwarf ihr das
Herz dieses Prinzen, der so empfindlich gegen diejenige
Art von Reizungen war, wodurch sich die Schülerin-
nen der Aspasia von den lebenden Statuen unterschie-
den, die in den Morgenländern zum Vergnügen der
Grossen bestimmt werden, und in der That zu dem ein-
zigen Gebrauch den diese von ihnen zu machen wissen,
wenig Seele nöthig haben. Allein so schmeichelhaft
diese Eroberung für sie war, so konnte sie doch nichts
bewegen, ihn nach Sardes zu begleiten, und ihre Frey-
heit der Ehre aufzuopfern, die erste seiner Sclavinnen
zu seyn. Sie blieb also in Smyrna zurük, wo sie
durch die großmüthige Freygebigkeit des Cyrus, der
sich hierinn von keinem Athenienser übertreffen lassen
wollte, in den Stand gesezt war, ihre einzige Sorge
seyn zu lassen, wie sie auf die angenehmste Art leben
wollte. Sie bediente sich dieses Glüks, wie es der Na-
me der zwoten Aspasia erfoderte. Jhre Wohnung
schien ein Tempel der Musen und Grazien zu seyn, und
wenn Amor von einer so reizenden Gesellschaft nicht
ausgeschlossen war, so war es jener Amor, den die
Musen beym Anacreon mit Blumenkränzen binden, und
der sich in dieser Gefangenschaft so wol gefällt, daß

Venus
K 3

Viertes Buch, drittes Capitel.
theil hatte, Smyrna zu ihrem beſtaͤndigen Siz zu er-
waͤhlen. Hier hatte ſie Gelegenheit dem juͤngern Cyrus
bekannt zu werden, deſſen liebenswuͤrdige Eigenſchaften
durch die Feder des Xenophon eben ſo bekannt worden
ſind, als der ungluͤkliche Ausgang der Unternehmung,
wodurch er ſich auf den Thron des erſten Cyrus zu
ſchwingen hofte. Jhr erſter Anblik unterwarf ihr das
Herz dieſes Prinzen, der ſo empfindlich gegen diejenige
Art von Reizungen war, wodurch ſich die Schuͤlerin-
nen der Aſpaſia von den lebenden Statuen unterſchie-
den, die in den Morgenlaͤndern zum Vergnuͤgen der
Groſſen beſtimmt werden, und in der That zu dem ein-
zigen Gebrauch den dieſe von ihnen zu machen wiſſen,
wenig Seele noͤthig haben. Allein ſo ſchmeichelhaft
dieſe Eroberung fuͤr ſie war, ſo konnte ſie doch nichts
bewegen, ihn nach Sardes zu begleiten, und ihre Frey-
heit der Ehre aufzuopfern, die erſte ſeiner Sclavinnen
zu ſeyn. Sie blieb alſo in Smyrna zuruͤk, wo ſie
durch die großmuͤthige Freygebigkeit des Cyrus, der
ſich hierinn von keinem Athenienſer uͤbertreffen laſſen
wollte, in den Stand geſezt war, ihre einzige Sorge
ſeyn zu laſſen, wie ſie auf die angenehmſte Art leben
wollte. Sie bediente ſich dieſes Gluͤks, wie es der Na-
me der zwoten Aſpaſia erfoderte. Jhre Wohnung
ſchien ein Tempel der Muſen und Grazien zu ſeyn, und
wenn Amor von einer ſo reizenden Geſellſchaft nicht
ausgeſchloſſen war, ſo war es jener Amor, den die
Muſen beym Anacreon mit Blumenkraͤnzen binden, und
der ſich in dieſer Gefangenſchaft ſo wol gefaͤllt, daß

Venus
K 3
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[149/0171] Viertes Buch, drittes Capitel. theil hatte, Smyrna zu ihrem beſtaͤndigen Siz zu er- waͤhlen. Hier hatte ſie Gelegenheit dem juͤngern Cyrus bekannt zu werden, deſſen liebenswuͤrdige Eigenſchaften durch die Feder des Xenophon eben ſo bekannt worden ſind, als der ungluͤkliche Ausgang der Unternehmung, wodurch er ſich auf den Thron des erſten Cyrus zu ſchwingen hofte. Jhr erſter Anblik unterwarf ihr das Herz dieſes Prinzen, der ſo empfindlich gegen diejenige Art von Reizungen war, wodurch ſich die Schuͤlerin- nen der Aſpaſia von den lebenden Statuen unterſchie- den, die in den Morgenlaͤndern zum Vergnuͤgen der Groſſen beſtimmt werden, und in der That zu dem ein- zigen Gebrauch den dieſe von ihnen zu machen wiſſen, wenig Seele noͤthig haben. Allein ſo ſchmeichelhaft dieſe Eroberung fuͤr ſie war, ſo konnte ſie doch nichts bewegen, ihn nach Sardes zu begleiten, und ihre Frey- heit der Ehre aufzuopfern, die erſte ſeiner Sclavinnen zu ſeyn. Sie blieb alſo in Smyrna zuruͤk, wo ſie durch die großmuͤthige Freygebigkeit des Cyrus, der ſich hierinn von keinem Athenienſer uͤbertreffen laſſen wollte, in den Stand geſezt war, ihre einzige Sorge ſeyn zu laſſen, wie ſie auf die angenehmſte Art leben wollte. Sie bediente ſich dieſes Gluͤks, wie es der Na- me der zwoten Aſpaſia erfoderte. Jhre Wohnung ſchien ein Tempel der Muſen und Grazien zu ſeyn, und wenn Amor von einer ſo reizenden Geſellſchaft nicht ausgeſchloſſen war, ſo war es jener Amor, den die Muſen beym Anacreon mit Blumenkraͤnzen binden, und der ſich in dieſer Gefangenſchaft ſo wol gefaͤllt, daß Venus K 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/171>, abgerufen am 24.04.2024.