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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
wahren Erfinderin derselben zu machen schien, nach Athen
gezogen war, wo sie sich ihrer seltnen Vorzüge auf eine
so kluge Art zu bedienen gewußt, daß sie sich endlich zur
unumschränkten Beherrscherinn des grossen Perikles, der
das ganze Griechenland beherrschte, oder wie die comi-
schen Dichter ihrer Zeit sich ausdrükten, zur Juno dieses
atheniensischen Jupiters erhoben hatte. Allein die Ver-
muthungen, worauf sich diese Meynung von der Abkunft
der Danae gründeten, können nicht für hinlänglich an-
gesehen werden, das Zeugniß verschiedner Geschichtschrei-
ber zu überwägen, welche versichern, daß sie aus der Jn-
sel Scios gebürtig gewesen, und nach dem Tod ihrer El-
tern, in ihrem vierzehnten Jahr mit einem Bruder nach
Athen gekommen, um in dieser Stadt, worinn alle an-
genehmen Talente willkommen waren, durch die ihrigen
ihren Unterhalt zu gewinnen. Die Kunst, welche sie hier
trieb, war eine Art von pantomimischen Tänzen, wozu
gemeiniglich nur eine oder zwo Personen erfordert wur-
den, und worinn die tanzende Person, nach der Mo-
dulation einer Flöte oder Leyer, gewisse Stüke aus der
Götter und Heldengeschichte der Griechen, durch Ge-
behrden und Bewegungen vorstellte. Allein, da diese
Kunst wegen der Menge derer die sie trieben, nicht
zureichte sie zu unterhalten, so sahe sich die junge Danae
genöthiget, den Künstlern zu Athen die Dienste eines Models
zu thun; und erhielt dadurch ausser dem Nuzen, den sie
davon zog, die schmeichelnde Ehre, bald als Dana, bald
als Venus auf die Altäre gestellt, die Bewunderung der
Kenner und die Anbetung des Pöbels zu erhalten.

Bey

Agathon.
wahren Erfinderin derſelben zu machen ſchien, nach Athen
gezogen war, wo ſie ſich ihrer ſeltnen Vorzuͤge auf eine
ſo kluge Art zu bedienen gewußt, daß ſie ſich endlich zur
unumſchraͤnkten Beherrſcherinn des groſſen Perikles, der
das ganze Griechenland beherrſchte, oder wie die comi-
ſchen Dichter ihrer Zeit ſich ausdruͤkten, zur Juno dieſes
athenienſiſchen Jupiters erhoben hatte. Allein die Ver-
muthungen, worauf ſich dieſe Meynung von der Abkunft
der Danae gruͤndeten, koͤnnen nicht fuͤr hinlaͤnglich an-
geſehen werden, das Zeugniß verſchiedner Geſchichtſchrei-
ber zu uͤberwaͤgen, welche verſichern, daß ſie aus der Jn-
ſel Scios gebuͤrtig geweſen, und nach dem Tod ihrer El-
tern, in ihrem vierzehnten Jahr mit einem Bruder nach
Athen gekommen, um in dieſer Stadt, worinn alle an-
genehmen Talente willkommen waren, durch die ihrigen
ihren Unterhalt zu gewinnen. Die Kunſt, welche ſie hier
trieb, war eine Art von pantomimiſchen Taͤnzen, wozu
gemeiniglich nur eine oder zwo Perſonen erfordert wur-
den, und worinn die tanzende Perſon, nach der Mo-
dulation einer Floͤte oder Leyer, gewiſſe Stuͤke aus der
Goͤtter und Heldengeſchichte der Griechen, durch Ge-
behrden und Bewegungen vorſtellte. Allein, da dieſe
Kunſt wegen der Menge derer die ſie trieben, nicht
zureichte ſie zu unterhalten, ſo ſahe ſich die junge Danae
genoͤthiget, den Kuͤnſtlern zu Athen die Dienſte eines Models
zu thun; und erhielt dadurch auſſer dem Nuzen, den ſie
davon zog, die ſchmeichelnde Ehre, bald als Dana, bald
als Venus auf die Altaͤre geſtellt, die Bewunderung der
Kenner und die Anbetung des Poͤbels zu erhalten.

Bey
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[146/0168] Agathon. wahren Erfinderin derſelben zu machen ſchien, nach Athen gezogen war, wo ſie ſich ihrer ſeltnen Vorzuͤge auf eine ſo kluge Art zu bedienen gewußt, daß ſie ſich endlich zur unumſchraͤnkten Beherrſcherinn des groſſen Perikles, der das ganze Griechenland beherrſchte, oder wie die comi- ſchen Dichter ihrer Zeit ſich ausdruͤkten, zur Juno dieſes athenienſiſchen Jupiters erhoben hatte. Allein die Ver- muthungen, worauf ſich dieſe Meynung von der Abkunft der Danae gruͤndeten, koͤnnen nicht fuͤr hinlaͤnglich an- geſehen werden, das Zeugniß verſchiedner Geſchichtſchrei- ber zu uͤberwaͤgen, welche verſichern, daß ſie aus der Jn- ſel Scios gebuͤrtig geweſen, und nach dem Tod ihrer El- tern, in ihrem vierzehnten Jahr mit einem Bruder nach Athen gekommen, um in dieſer Stadt, worinn alle an- genehmen Talente willkommen waren, durch die ihrigen ihren Unterhalt zu gewinnen. Die Kunſt, welche ſie hier trieb, war eine Art von pantomimiſchen Taͤnzen, wozu gemeiniglich nur eine oder zwo Perſonen erfordert wur- den, und worinn die tanzende Perſon, nach der Mo- dulation einer Floͤte oder Leyer, gewiſſe Stuͤke aus der Goͤtter und Heldengeſchichte der Griechen, durch Ge- behrden und Bewegungen vorſtellte. Allein, da dieſe Kunſt wegen der Menge derer die ſie trieben, nicht zureichte ſie zu unterhalten, ſo ſahe ſich die junge Danae genoͤthiget, den Kuͤnſtlern zu Athen die Dienſte eines Models zu thun; und erhielt dadurch auſſer dem Nuzen, den ſie davon zog, die ſchmeichelnde Ehre, bald als Dana, bald als Venus auf die Altaͤre geſtellt, die Bewunderung der Kenner und die Anbetung des Poͤbels zu erhalten. Bey

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/168>, abgerufen am 25.04.2024.