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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, viertes Capitel.
der Republik; der Mann der Athen zu dem höchsten
Grade der Macht und des Glanzes erhub, den es zu
erreichen fähig war; der Mann, dessen Zeit als das
goldne Altar der Musen in allen künftigen Jahrhun-
derten angezogen werden wird; und, was für ihn selbst
das interessanteste war, der Mann, für den die Na-
tur die Euripiden und Aristophane, die Phidias, die
Zeuxes, die Damonen, und die Aspasien zusammen
brachte, um sein Privatleben so angenehm zu machen,
als sein öffentliches Leben glänzend war. Die Kunst
über die Einbildungskraft der Menschen zu herrschen,
die geheimen, ihnen selbst verborgnen Triebfedern ih-
rer Bewegungen nach unserm Gefallen zu lenken, und
sie zu Werkzeugen unsrer Absichten zu machen, indem
wir sie in der Meynung erhalten, daß wir es von den
ihrigen sind, ist also, ohne Zweifel, diejenige, die ih-
rem Besizer am nüzlichsten ist, und dieses ist die Kunst
welche die Sophisten lehren und ausüben; die Kunst,
welcher sie das Ansehen, die Unabhänglichkeit und die
glüklichen Tage, deren sie geniessen, zu danken haben.
Du kanst dir leicht vorstellen, Callias, daß sie sich in
etlichen Stunden weder lehren noch lernen läßt; allein
meine Absicht ist auch für izt nur, dir überhaupt einen
Begriff davon zu geben. Dasjenige, was man die
Weisheit der Sophisten nennt, ist die Geschiklichkeit
sich der Menschen so zu bedienen, daß sie geneigt sind,
unser Vergnügen zu befördern, oder überhaupt die
Werkzeuge unsrer Absichten zu seyn. Die Beredsamkeit,
welche diesen Nahmen erst alsdann verdient, wenn sie

im

Drittes Buch, viertes Capitel.
der Republik; der Mann der Athen zu dem hoͤchſten
Grade der Macht und des Glanzes erhub, den es zu
erreichen faͤhig war; der Mann, deſſen Zeit als das
goldne Altar der Muſen in allen kuͤnftigen Jahrhun-
derten angezogen werden wird; und, was fuͤr ihn ſelbſt
das intereſſanteſte war, der Mann, fuͤr den die Na-
tur die Euripiden und Ariſtophane, die Phidias, die
Zeuxes, die Damonen, und die Aſpaſien zuſammen
brachte, um ſein Privatleben ſo angenehm zu machen,
als ſein oͤffentliches Leben glaͤnzend war. Die Kunſt
uͤber die Einbildungskraft der Menſchen zu herrſchen,
die geheimen, ihnen ſelbſt verborgnen Triebfedern ih-
rer Bewegungen nach unſerm Gefallen zu lenken, und
ſie zu Werkzeugen unſrer Abſichten zu machen, indem
wir ſie in der Meynung erhalten, daß wir es von den
ihrigen ſind, iſt alſo, ohne Zweifel, diejenige, die ih-
rem Beſizer am nuͤzlichſten iſt, und dieſes iſt die Kunſt
welche die Sophiſten lehren und ausuͤben; die Kunſt,
welcher ſie das Anſehen, die Unabhaͤnglichkeit und die
gluͤklichen Tage, deren ſie genieſſen, zu danken haben.
Du kanſt dir leicht vorſtellen, Callias, daß ſie ſich in
etlichen Stunden weder lehren noch lernen laͤßt; allein
meine Abſicht iſt auch fuͤr izt nur, dir uͤberhaupt einen
Begriff davon zu geben. Dasjenige, was man die
Weisheit der Sophiſten nennt, iſt die Geſchiklichkeit
ſich der Menſchen ſo zu bedienen, daß ſie geneigt ſind,
unſer Vergnuͤgen zu befoͤrdern, oder uͤberhaupt die
Werkzeuge unſrer Abſichten zu ſeyn. Die Beredſamkeit,
welche dieſen Nahmen erſt alsdann verdient, wenn ſie

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[107/0129] Drittes Buch, viertes Capitel. der Republik; der Mann der Athen zu dem hoͤchſten Grade der Macht und des Glanzes erhub, den es zu erreichen faͤhig war; der Mann, deſſen Zeit als das goldne Altar der Muſen in allen kuͤnftigen Jahrhun- derten angezogen werden wird; und, was fuͤr ihn ſelbſt das intereſſanteſte war, der Mann, fuͤr den die Na- tur die Euripiden und Ariſtophane, die Phidias, die Zeuxes, die Damonen, und die Aſpaſien zuſammen brachte, um ſein Privatleben ſo angenehm zu machen, als ſein oͤffentliches Leben glaͤnzend war. Die Kunſt uͤber die Einbildungskraft der Menſchen zu herrſchen, die geheimen, ihnen ſelbſt verborgnen Triebfedern ih- rer Bewegungen nach unſerm Gefallen zu lenken, und ſie zu Werkzeugen unſrer Abſichten zu machen, indem wir ſie in der Meynung erhalten, daß wir es von den ihrigen ſind, iſt alſo, ohne Zweifel, diejenige, die ih- rem Beſizer am nuͤzlichſten iſt, und dieſes iſt die Kunſt welche die Sophiſten lehren und ausuͤben; die Kunſt, welcher ſie das Anſehen, die Unabhaͤnglichkeit und die gluͤklichen Tage, deren ſie genieſſen, zu danken haben. Du kanſt dir leicht vorſtellen, Callias, daß ſie ſich in etlichen Stunden weder lehren noch lernen laͤßt; allein meine Abſicht iſt auch fuͤr izt nur, dir uͤberhaupt einen Begriff davon zu geben. Dasjenige, was man die Weisheit der Sophiſten nennt, iſt die Geſchiklichkeit ſich der Menſchen ſo zu bedienen, daß ſie geneigt ſind, unſer Vergnuͤgen zu befoͤrdern, oder uͤberhaupt die Werkzeuge unſrer Abſichten zu ſeyn. Die Beredſamkeit, welche dieſen Nahmen erſt alsdann verdient, wenn ſie im

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/129>, abgerufen am 24.04.2024.