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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
kein Sclave ist; man braucht ihm nur zu gefallen,
um zu allem tüchtig befunden zu werden. Perikles
herrschte, ohne die äusserlichen Zeichen der königlichen
Würde zu tragen, so unumschränkt in dem freyen
Athen, als Artaxerxes in dem unterthänigen Asten.
Seine Talente, und die Künste die er von der schönen
Aspasia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art von Ober-
herrschaft, die nur desto unumschränkter war, da sie
ihm freywillig zugestanden wurde; die Kunst eine gros-
se Meynung von sich zu erweken, die Kunst zu überre-
den, die Kunst von der Eitelkeit der Athenienser Vor-
theil zu ziehen und ihre Leidenschaften zu lenken; diese
machten seine ganze Regierungskunst aus. Er verwi-
kelte die Republik in ungerechte und unglükliche Kriege,
er erschöpfte die öffentliche Schazkammer, er erbitterte
die Bundsgenossen durch gewaltsame Erpressungen; und
damit das Volk keine Zeit hätte, eine so schöne Staats-
Verwaltung genauer zu beobachten, so bauete er Schau-
spielhäuser, gab ihnen schöne Statuen und Gemählde zu
sehen, unterhielt sie mit Tänzerinnen und Virtuosen,
und gewöhnte sie so sehr an diese abwechselnden Ergö-
zungen, daß die Vorstellung eines neuen Stüks, oder
der Wettstreit unter etlichen Flötenspielern zulezt Staats-
Angelegenheiten wurden, über welchen man diejenigen
vergaß die es in der That waren. Hundert Jahre
früher würde man einen Perikles für eine Pest der Re-
publik angesehen haben; allein damals würde Perikles
ein Aristides gewesen seyn. Jn der Zeit worinn er leb-
te, war Perikles, so wie er war, der gröste Mann

der

Agathon.
kein Sclave iſt; man braucht ihm nur zu gefallen,
um zu allem tuͤchtig befunden zu werden. Perikles
herrſchte, ohne die aͤuſſerlichen Zeichen der koͤniglichen
Wuͤrde zu tragen, ſo unumſchraͤnkt in dem freyen
Athen, als Artaxerxes in dem unterthaͤnigen Aſten.
Seine Talente, und die Kuͤnſte die er von der ſchoͤnen
Aſpaſia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art von Ober-
herrſchaft, die nur deſto unumſchraͤnkter war, da ſie
ihm freywillig zugeſtanden wurde; die Kunſt eine groſ-
ſe Meynung von ſich zu erweken, die Kunſt zu uͤberre-
den, die Kunſt von der Eitelkeit der Athenienſer Vor-
theil zu ziehen und ihre Leidenſchaften zu lenken; dieſe
machten ſeine ganze Regierungskunſt aus. Er verwi-
kelte die Republik in ungerechte und ungluͤkliche Kriege,
er erſchoͤpfte die oͤffentliche Schazkammer, er erbitterte
die Bundsgenoſſen durch gewaltſame Erpreſſungen; und
damit das Volk keine Zeit haͤtte, eine ſo ſchoͤne Staats-
Verwaltung genauer zu beobachten, ſo bauete er Schau-
ſpielhaͤuſer, gab ihnen ſchoͤne Statuen und Gemaͤhlde zu
ſehen, unterhielt ſie mit Taͤnzerinnen und Virtuoſen,
und gewoͤhnte ſie ſo ſehr an dieſe abwechſelnden Ergoͤ-
zungen, daß die Vorſtellung eines neuen Stuͤks, oder
der Wettſtreit unter etlichen Floͤtenſpielern zulezt Staats-
Angelegenheiten wurden, uͤber welchen man diejenigen
vergaß die es in der That waren. Hundert Jahre
fruͤher wuͤrde man einen Perikles fuͤr eine Peſt der Re-
publik angeſehen haben; allein damals wuͤrde Perikles
ein Ariſtides geweſen ſeyn. Jn der Zeit worinn er leb-
te, war Perikles, ſo wie er war, der groͤſte Mann

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[106/0128] Agathon. kein Sclave iſt; man braucht ihm nur zu gefallen, um zu allem tuͤchtig befunden zu werden. Perikles herrſchte, ohne die aͤuſſerlichen Zeichen der koͤniglichen Wuͤrde zu tragen, ſo unumſchraͤnkt in dem freyen Athen, als Artaxerxes in dem unterthaͤnigen Aſten. Seine Talente, und die Kuͤnſte die er von der ſchoͤnen Aſpaſia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art von Ober- herrſchaft, die nur deſto unumſchraͤnkter war, da ſie ihm freywillig zugeſtanden wurde; die Kunſt eine groſ- ſe Meynung von ſich zu erweken, die Kunſt zu uͤberre- den, die Kunſt von der Eitelkeit der Athenienſer Vor- theil zu ziehen und ihre Leidenſchaften zu lenken; dieſe machten ſeine ganze Regierungskunſt aus. Er verwi- kelte die Republik in ungerechte und ungluͤkliche Kriege, er erſchoͤpfte die oͤffentliche Schazkammer, er erbitterte die Bundsgenoſſen durch gewaltſame Erpreſſungen; und damit das Volk keine Zeit haͤtte, eine ſo ſchoͤne Staats- Verwaltung genauer zu beobachten, ſo bauete er Schau- ſpielhaͤuſer, gab ihnen ſchoͤne Statuen und Gemaͤhlde zu ſehen, unterhielt ſie mit Taͤnzerinnen und Virtuoſen, und gewoͤhnte ſie ſo ſehr an dieſe abwechſelnden Ergoͤ- zungen, daß die Vorſtellung eines neuen Stuͤks, oder der Wettſtreit unter etlichen Floͤtenſpielern zulezt Staats- Angelegenheiten wurden, uͤber welchen man diejenigen vergaß die es in der That waren. Hundert Jahre fruͤher wuͤrde man einen Perikles fuͤr eine Peſt der Re- publik angeſehen haben; allein damals wuͤrde Perikles ein Ariſtides geweſen ſeyn. Jn der Zeit worinn er leb- te, war Perikles, ſo wie er war, der groͤſte Mann der

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/128>, abgerufen am 29.03.2024.