Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Diese aber mußten das Mädchen kennen; sie stießen sich an, wie es vorüberging: -- Es ist des Schluchtmüllers Ammrey. -- Was hat sie nur auch? -- Sie muß in Trauer sein! flüsterten sie sich zu, die laute Luft verstummte, und die Augen suchten sich, die sich lieb hatten. Es lebte noch eine Mutterschwester der Ammrey verheirathet in diesem Dorfe. Zu ihr wollte die Verlassene: zuvor aber ging sie bis ans Ende des Dorfs, wo die Kapelle mitten im Todtengarten gebaut ist. Sie trat in das alte, offene Gebäude, kniete wortlos und weinend vor dem buntgeschmückten Gnadenbilde, das mit welken Blumen und Flittergold geziert war noch vom Allerseligentag her. Leise sang sie empor zu der Mutter Gottes: Wenn's Gott gefällt, so kann's nicht sein, Es wird dich letzt erfreuen. Was du jetzt nennest Kreuz und Pein, Wird dir zum Trost gedeihen. Die Aloe Bringt bittres Weh, Macht gleichwohl rothe Wangen; So muß ein Herz Durch Angst und Schmerz Zu seinem Heil gelangen. Um dieselbe Stunde ritt Otto vom Kloster weg, heimwärts an den Neckar. Der Förster wollte ihn keine Diese aber mußten das Mädchen kennen; sie stießen sich an, wie es vorüberging: — Es ist des Schluchtmüllers Ammrey. — Was hat sie nur auch? — Sie muß in Trauer sein! flüsterten sie sich zu, die laute Luft verstummte, und die Augen suchten sich, die sich lieb hatten. Es lebte noch eine Mutterschwester der Ammrey verheirathet in diesem Dorfe. Zu ihr wollte die Verlassene: zuvor aber ging sie bis ans Ende des Dorfs, wo die Kapelle mitten im Todtengarten gebaut ist. Sie trat in das alte, offene Gebäude, kniete wortlos und weinend vor dem buntgeschmückten Gnadenbilde, das mit welken Blumen und Flittergold geziert war noch vom Allerseligentag her. Leise sang sie empor zu der Mutter Gottes: Wenn's Gott gefällt, so kann's nicht sein, Es wird dich letzt erfreuen. Was du jetzt nennest Kreuz und Pein, Wird dir zum Trost gedeihen. Die Aloe Bringt bittres Weh, Macht gleichwohl rothe Wangen; So muß ein Herz Durch Angst und Schmerz Zu seinem Heil gelangen. Um dieselbe Stunde ritt Otto vom Kloster weg, heimwärts an den Neckar. Der Förster wollte ihn keine <TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0074"/> <p>Diese aber mußten das Mädchen kennen; sie stießen sich an, wie es vorüberging: — Es ist des Schluchtmüllers Ammrey. — Was hat sie nur auch? — Sie muß in Trauer sein! flüsterten sie sich zu, die laute Luft verstummte, und die Augen suchten sich, die sich lieb hatten.</p><lb/> <p>Es lebte noch eine Mutterschwester der Ammrey verheirathet in diesem Dorfe. Zu ihr wollte die Verlassene: zuvor aber ging sie bis ans Ende des Dorfs, wo die Kapelle mitten im Todtengarten gebaut ist.</p><lb/> <p>Sie trat in das alte, offene Gebäude, kniete wortlos und weinend vor dem buntgeschmückten Gnadenbilde, das mit welken Blumen und Flittergold geziert war noch vom Allerseligentag her.</p><lb/> <p>Leise sang sie empor zu der Mutter Gottes:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Wenn's Gott gefällt, so kann's nicht sein,</l> <l>Es wird dich letzt erfreuen.</l> <l>Was du jetzt nennest Kreuz und Pein,</l> <l>Wird dir zum Trost gedeihen.</l> <l>Die Aloe</l> <l>Bringt bittres Weh,</l> <l>Macht gleichwohl rothe Wangen;</l> <l>So muß ein Herz</l> <l>Durch Angst und Schmerz</l> <l>Zu seinem Heil gelangen.</l> </lg> <p>Um dieselbe Stunde ritt Otto vom Kloster weg, heimwärts an den Neckar. Der Förster wollte ihn keine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Diese aber mußten das Mädchen kennen; sie stießen sich an, wie es vorüberging: — Es ist des Schluchtmüllers Ammrey. — Was hat sie nur auch? — Sie muß in Trauer sein! flüsterten sie sich zu, die laute Luft verstummte, und die Augen suchten sich, die sich lieb hatten.
Es lebte noch eine Mutterschwester der Ammrey verheirathet in diesem Dorfe. Zu ihr wollte die Verlassene: zuvor aber ging sie bis ans Ende des Dorfs, wo die Kapelle mitten im Todtengarten gebaut ist.
Sie trat in das alte, offene Gebäude, kniete wortlos und weinend vor dem buntgeschmückten Gnadenbilde, das mit welken Blumen und Flittergold geziert war noch vom Allerseligentag her.
Leise sang sie empor zu der Mutter Gottes:
Wenn's Gott gefällt, so kann's nicht sein, Es wird dich letzt erfreuen. Was du jetzt nennest Kreuz und Pein, Wird dir zum Trost gedeihen. Die Aloe Bringt bittres Weh, Macht gleichwohl rothe Wangen; So muß ein Herz Durch Angst und Schmerz Zu seinem Heil gelangen.
Um dieselbe Stunde ritt Otto vom Kloster weg, heimwärts an den Neckar. Der Förster wollte ihn keine
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Zitationshilfe: | Widmann, Adolf: Die katholische Mühle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 161–232. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/widmann_muehle_1910/74>, abgerufen am 04.07.2024. |