Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dem Brunnen verweigere ich dir nicht, aber wo du einen Weg zum Brunnen findest, der nicht über mein Land führt, magst du zusehen. Treffe ich dich aber noch einmal hier auf dem Stege, so breche ich dir alle Knochen im Leibe entzwei! Die Urte mußte zum Nachbar, um Wasser zu bitten. Dann aber machte sie sofort Kirchentoilette und lief aufs Gericht. Nun bekamen die Advocaten und Winkelschreiber wieder Arbeit, und als das Prozessiren erst bei einem Ende angefangen hatte, fanden sich Beschwerden und Klagen überall. Zu Martini forderte auch Kristups sein Ausgedinge nach dem Contract. Ansas hatte die Ernte arg vernachlässigt. Was eingebracht war, reichte wieder nicht aus. Aber Ansas war lustig und guter Dinge. Er glaubte ja nun zu wissen, wie mit der Karalene fertig zu werden. Daß Ansas lustig und guter Dinge war, hatte freilich auch noch einen andern Grund. Als er eines Morgens auf seinem Hofe nahe dem Zaun Holz spaltete, bemerkte er, daß des Nachbars Kuh auf die Weide am Fluß geführt wurde. Das war an sich kaum bemerkenswerth, aber daß nicht die alte Magd den Strick in der Hand hielt, sondern ein junges Mädchen, von dem er bisher nichts wußte, veranlaßte ihn doch, die Axt auf den Holzkloben zu stemmen, sich mit beiden Händen auf den Stiel zu lehnen und über den Zaun zu schauen. Das Mädchen hatte keinen weiten Weg bis zu der Stelle, wo die Kuh angepflockt werden dem Brunnen verweigere ich dir nicht, aber wo du einen Weg zum Brunnen findest, der nicht über mein Land führt, magst du zusehen. Treffe ich dich aber noch einmal hier auf dem Stege, so breche ich dir alle Knochen im Leibe entzwei! Die Urte mußte zum Nachbar, um Wasser zu bitten. Dann aber machte sie sofort Kirchentoilette und lief aufs Gericht. Nun bekamen die Advocaten und Winkelschreiber wieder Arbeit, und als das Prozessiren erst bei einem Ende angefangen hatte, fanden sich Beschwerden und Klagen überall. Zu Martini forderte auch Kristups sein Ausgedinge nach dem Contract. Ansas hatte die Ernte arg vernachlässigt. Was eingebracht war, reichte wieder nicht aus. Aber Ansas war lustig und guter Dinge. Er glaubte ja nun zu wissen, wie mit der Karalene fertig zu werden. Daß Ansas lustig und guter Dinge war, hatte freilich auch noch einen andern Grund. Als er eines Morgens auf seinem Hofe nahe dem Zaun Holz spaltete, bemerkte er, daß des Nachbars Kuh auf die Weide am Fluß geführt wurde. Das war an sich kaum bemerkenswerth, aber daß nicht die alte Magd den Strick in der Hand hielt, sondern ein junges Mädchen, von dem er bisher nichts wußte, veranlaßte ihn doch, die Axt auf den Holzkloben zu stemmen, sich mit beiden Händen auf den Stiel zu lehnen und über den Zaun zu schauen. Das Mädchen hatte keinen weiten Weg bis zu der Stelle, wo die Kuh angepflockt werden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035"/> dem Brunnen verweigere ich dir nicht, aber wo du einen Weg zum Brunnen findest, der nicht über mein Land führt, magst du zusehen. Treffe ich dich aber noch einmal hier auf dem Stege, so breche ich dir alle Knochen im Leibe entzwei! Die Urte mußte zum Nachbar, um Wasser zu bitten. Dann aber machte sie sofort Kirchentoilette und lief aufs Gericht.</p><lb/> <p>Nun bekamen die Advocaten und Winkelschreiber wieder Arbeit, und als das Prozessiren erst bei einem Ende angefangen hatte, fanden sich Beschwerden und Klagen überall. Zu Martini forderte auch Kristups sein Ausgedinge nach dem Contract. Ansas hatte die Ernte arg vernachlässigt. Was eingebracht war, reichte wieder nicht aus. Aber Ansas war lustig und guter Dinge. Er glaubte ja nun zu wissen, wie mit der Karalene fertig zu werden.</p><lb/> <p>Daß Ansas lustig und guter Dinge war, hatte freilich auch noch einen andern Grund. Als er eines Morgens auf seinem Hofe nahe dem Zaun Holz spaltete, bemerkte er, daß des Nachbars Kuh auf die Weide am Fluß geführt wurde. Das war an sich kaum bemerkenswerth, aber daß nicht die alte Magd den Strick in der Hand hielt, sondern ein junges Mädchen, von dem er bisher nichts wußte, veranlaßte ihn doch, die Axt auf den Holzkloben zu stemmen, sich mit beiden Händen auf den Stiel zu lehnen und über den Zaun zu schauen. Das Mädchen hatte keinen weiten Weg bis zu der Stelle, wo die Kuh angepflockt werden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
dem Brunnen verweigere ich dir nicht, aber wo du einen Weg zum Brunnen findest, der nicht über mein Land führt, magst du zusehen. Treffe ich dich aber noch einmal hier auf dem Stege, so breche ich dir alle Knochen im Leibe entzwei! Die Urte mußte zum Nachbar, um Wasser zu bitten. Dann aber machte sie sofort Kirchentoilette und lief aufs Gericht.
Nun bekamen die Advocaten und Winkelschreiber wieder Arbeit, und als das Prozessiren erst bei einem Ende angefangen hatte, fanden sich Beschwerden und Klagen überall. Zu Martini forderte auch Kristups sein Ausgedinge nach dem Contract. Ansas hatte die Ernte arg vernachlässigt. Was eingebracht war, reichte wieder nicht aus. Aber Ansas war lustig und guter Dinge. Er glaubte ja nun zu wissen, wie mit der Karalene fertig zu werden.
Daß Ansas lustig und guter Dinge war, hatte freilich auch noch einen andern Grund. Als er eines Morgens auf seinem Hofe nahe dem Zaun Holz spaltete, bemerkte er, daß des Nachbars Kuh auf die Weide am Fluß geführt wurde. Das war an sich kaum bemerkenswerth, aber daß nicht die alte Magd den Strick in der Hand hielt, sondern ein junges Mädchen, von dem er bisher nichts wußte, veranlaßte ihn doch, die Axt auf den Holzkloben zu stemmen, sich mit beiden Händen auf den Stiel zu lehnen und über den Zaun zu schauen. Das Mädchen hatte keinen weiten Weg bis zu der Stelle, wo die Kuh angepflockt werden
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/35>, abgerufen am 16.02.2025. |