Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

daß ihr etwas aus der Hand fiel. Er bückte sich danach und hob das rothe Tuch mit dem Document auf. Habe ich dich endlich! grinste er in sich hinein. Warte, du sollst den Gerichtsherren nicht mehr vor die Augen kommen! Er steckte einen Stein unter den Knoten des Tuches und ließ das ganze Päckchen in den Brunnen fallen, der einige Schritte außerhalb des Hofes unter einer alten Linde stand. Als er das Wasser darüber zusammenschlagen hörte, war ihm so wohl, als ob er das Ausgedinge selbst losgeworden wäre. Wie er vom Brunnen nach dem Hause zurückkehrte und auf das Trittbrett stieg, das den Uebergang über den Zaun erleichterte, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der ihn sehr froh machte. Du sollst daran glauben! knurrte er verbissen, als er an dem schnarchenden Weibe vorüberging.

Als Urte am Morgen aufwachte und ihr Tuch vermißte, gab es einen wahren Heidenlärm. Sie riß sich die Kleider vom Leibe und zerzaus'te ihr spärliches Haar, immer weinend und schreiend, daß ihr Schatz verschwunden sei. Sie lief den Weg, den sie gekommen war, zehnmal hin und her, suchte im Kruge nach, fragte bei Jedem an, mit dem sie zusammen getrunken hatte -- vergebens. Das Document ist gestohlen! schrie sie zuletzt den Wirth an, und ich weiß, wer es gestohlen hat! -- Siehe doch überall im Hause ach, antwortete er ruhig, aber listig mit den Augen blinzelnd, du kannst alle Schlüssel haben. Sie lief zum

daß ihr etwas aus der Hand fiel. Er bückte sich danach und hob das rothe Tuch mit dem Document auf. Habe ich dich endlich! grinste er in sich hinein. Warte, du sollst den Gerichtsherren nicht mehr vor die Augen kommen! Er steckte einen Stein unter den Knoten des Tuches und ließ das ganze Päckchen in den Brunnen fallen, der einige Schritte außerhalb des Hofes unter einer alten Linde stand. Als er das Wasser darüber zusammenschlagen hörte, war ihm so wohl, als ob er das Ausgedinge selbst losgeworden wäre. Wie er vom Brunnen nach dem Hause zurückkehrte und auf das Trittbrett stieg, das den Uebergang über den Zaun erleichterte, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der ihn sehr froh machte. Du sollst daran glauben! knurrte er verbissen, als er an dem schnarchenden Weibe vorüberging.

Als Urte am Morgen aufwachte und ihr Tuch vermißte, gab es einen wahren Heidenlärm. Sie riß sich die Kleider vom Leibe und zerzaus'te ihr spärliches Haar, immer weinend und schreiend, daß ihr Schatz verschwunden sei. Sie lief den Weg, den sie gekommen war, zehnmal hin und her, suchte im Kruge nach, fragte bei Jedem an, mit dem sie zusammen getrunken hatte — vergebens. Das Document ist gestohlen! schrie sie zuletzt den Wirth an, und ich weiß, wer es gestohlen hat! — Siehe doch überall im Hause ach, antwortete er ruhig, aber listig mit den Augen blinzelnd, du kannst alle Schlüssel haben. Sie lief zum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033"/>
daß ihr etwas aus                     der Hand fiel. Er bückte sich danach und hob das rothe Tuch mit dem Document                     auf. Habe ich dich endlich! grinste er in sich hinein. Warte, du sollst den                     Gerichtsherren nicht mehr vor die Augen kommen! Er steckte einen Stein unter den                     Knoten des Tuches und ließ das ganze Päckchen in den Brunnen fallen, der einige                     Schritte außerhalb des Hofes unter einer alten Linde stand. Als er das Wasser                     darüber zusammenschlagen hörte, war ihm so wohl, als ob er das Ausgedinge selbst                     losgeworden wäre. Wie er vom Brunnen nach dem Hause zurückkehrte und auf das                     Trittbrett stieg, das den Uebergang über den Zaun erleichterte, kam ihm                     plötzlich ein Gedanke, der ihn sehr froh machte. Du sollst daran glauben!                     knurrte er verbissen, als er an dem schnarchenden Weibe vorüberging.</p><lb/>
        <p>Als Urte am Morgen aufwachte und ihr Tuch vermißte, gab es einen wahren                     Heidenlärm. Sie riß sich die Kleider vom Leibe und zerzaus'te ihr spärliches                     Haar, immer weinend und schreiend, daß ihr Schatz verschwunden sei. Sie lief den                     Weg, den sie gekommen war, zehnmal hin und her, suchte im Kruge nach, fragte bei                     Jedem an, mit dem sie zusammen getrunken hatte &#x2014; vergebens. Das Document ist                     gestohlen! schrie sie zuletzt den Wirth an, und ich weiß, wer es gestohlen hat!                     &#x2014; Siehe doch überall im Hause ach, antwortete er ruhig, aber listig mit den                     Augen blinzelnd, du kannst alle Schlüssel haben. Sie lief zum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] daß ihr etwas aus der Hand fiel. Er bückte sich danach und hob das rothe Tuch mit dem Document auf. Habe ich dich endlich! grinste er in sich hinein. Warte, du sollst den Gerichtsherren nicht mehr vor die Augen kommen! Er steckte einen Stein unter den Knoten des Tuches und ließ das ganze Päckchen in den Brunnen fallen, der einige Schritte außerhalb des Hofes unter einer alten Linde stand. Als er das Wasser darüber zusammenschlagen hörte, war ihm so wohl, als ob er das Ausgedinge selbst losgeworden wäre. Wie er vom Brunnen nach dem Hause zurückkehrte und auf das Trittbrett stieg, das den Uebergang über den Zaun erleichterte, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der ihn sehr froh machte. Du sollst daran glauben! knurrte er verbissen, als er an dem schnarchenden Weibe vorüberging. Als Urte am Morgen aufwachte und ihr Tuch vermißte, gab es einen wahren Heidenlärm. Sie riß sich die Kleider vom Leibe und zerzaus'te ihr spärliches Haar, immer weinend und schreiend, daß ihr Schatz verschwunden sei. Sie lief den Weg, den sie gekommen war, zehnmal hin und her, suchte im Kruge nach, fragte bei Jedem an, mit dem sie zusammen getrunken hatte — vergebens. Das Document ist gestohlen! schrie sie zuletzt den Wirth an, und ich weiß, wer es gestohlen hat! — Siehe doch überall im Hause ach, antwortete er ruhig, aber listig mit den Augen blinzelnd, du kannst alle Schlüssel haben. Sie lief zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:07:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/33
Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/33>, abgerufen am 28.11.2024.