Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

den Einen Punkt. Ach! es ist schrecklich -- schrecklich! Sie brach in lautes Weinen aus.

Er stand regungslos. Ihre Worte hatten ihn erschüttert. War er doch so lange der Zeuge ihrer stummen Leiden gewesen, und kannte er doch deren geheimen Grund. Und nun wollte er auch seine Seele belasten mit einem -- Morde? Und dennoch! Sollte Jener frei ausgehen? Soll er frei ausgehen? fragte er zähneknirschend, gleichsam unfreiwillig seine Gedanken bloßlegend. Das ist nicht zu ertragen.

Grita legte die Arme um seinen Hals. Ertrag's, wenn du mich liebst, bat sie flehentlich. Verzeih deinem Todfeinde, und ich will denken, daß mir verziehen ist. Thu's nicht, Ansas, ich bitte dich, thu's nicht.

Sie sah zu ihm auf mit einem Blicke, der ihm durch Mark und Bein drang. Er hielt ihn nicht aus und schaute über sie hinweg in die Sonne hinein, bis sich ihm Alles in ein Lichtmeer verwandelte, in dem schwarze Teufelsfratzen auf- und abtauchten. Dann machte er sich gewaltsam los von ihr, riß das Gewehr von der Schulter und feuerte es blind nach jener Richtung hin ab. Nun waren die gespenstischen Gestalten verschwunden, aber auch der Lichtschein. Es dunkelte um ihn -- er brach zusammen und sank auf den Stein nieder.

Als er erwachte, war es wirklich Nacht. Grita saß neben ihm und hatte seinen Kopf auf ihrem Schooß.

den Einen Punkt. Ach! es ist schrecklich — schrecklich! Sie brach in lautes Weinen aus.

Er stand regungslos. Ihre Worte hatten ihn erschüttert. War er doch so lange der Zeuge ihrer stummen Leiden gewesen, und kannte er doch deren geheimen Grund. Und nun wollte er auch seine Seele belasten mit einem — Morde? Und dennoch! Sollte Jener frei ausgehen? Soll er frei ausgehen? fragte er zähneknirschend, gleichsam unfreiwillig seine Gedanken bloßlegend. Das ist nicht zu ertragen.

Grita legte die Arme um seinen Hals. Ertrag's, wenn du mich liebst, bat sie flehentlich. Verzeih deinem Todfeinde, und ich will denken, daß mir verziehen ist. Thu's nicht, Ansas, ich bitte dich, thu's nicht.

Sie sah zu ihm auf mit einem Blicke, der ihm durch Mark und Bein drang. Er hielt ihn nicht aus und schaute über sie hinweg in die Sonne hinein, bis sich ihm Alles in ein Lichtmeer verwandelte, in dem schwarze Teufelsfratzen auf- und abtauchten. Dann machte er sich gewaltsam los von ihr, riß das Gewehr von der Schulter und feuerte es blind nach jener Richtung hin ab. Nun waren die gespenstischen Gestalten verschwunden, aber auch der Lichtschein. Es dunkelte um ihn — er brach zusammen und sank auf den Stein nieder.

Als er erwachte, war es wirklich Nacht. Grita saß neben ihm und hatte seinen Kopf auf ihrem Schooß.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0106"/>
den Einen Punkt. Ach! es ist schrecklich                     &#x2014; schrecklich! Sie brach in lautes Weinen aus.</p><lb/>
        <p>Er stand regungslos. Ihre Worte hatten ihn erschüttert. War er doch so lange der                     Zeuge ihrer stummen Leiden gewesen, und kannte er doch deren geheimen Grund. Und                     nun wollte er auch seine Seele belasten mit einem &#x2014; Morde? Und dennoch! Sollte                     Jener frei ausgehen? Soll er frei ausgehen? fragte er zähneknirschend, gleichsam                     unfreiwillig seine Gedanken bloßlegend. Das ist nicht zu ertragen.</p><lb/>
        <p>Grita legte die Arme um seinen Hals. Ertrag's, wenn du mich liebst, bat sie                     flehentlich. Verzeih deinem Todfeinde, und ich will denken, daß mir verziehen                     ist. Thu's nicht, Ansas, ich bitte dich, thu's nicht.</p><lb/>
        <p>Sie sah zu ihm auf mit einem Blicke, der ihm durch Mark und Bein drang. Er hielt                     ihn nicht aus und schaute über sie hinweg in die Sonne hinein, bis sich ihm                     Alles in ein Lichtmeer verwandelte, in dem schwarze Teufelsfratzen auf- und                     abtauchten. Dann machte er sich gewaltsam los von ihr, riß das Gewehr von der                     Schulter und feuerte es blind nach jener Richtung hin ab. Nun waren die                     gespenstischen Gestalten verschwunden, aber auch der Lichtschein. Es dunkelte um                     ihn &#x2014; er brach zusammen und sank auf den Stein nieder.</p><lb/>
        <p>Als er erwachte, war es wirklich Nacht. Grita saß neben ihm und hatte seinen Kopf                     auf ihrem Schooß.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] den Einen Punkt. Ach! es ist schrecklich — schrecklich! Sie brach in lautes Weinen aus. Er stand regungslos. Ihre Worte hatten ihn erschüttert. War er doch so lange der Zeuge ihrer stummen Leiden gewesen, und kannte er doch deren geheimen Grund. Und nun wollte er auch seine Seele belasten mit einem — Morde? Und dennoch! Sollte Jener frei ausgehen? Soll er frei ausgehen? fragte er zähneknirschend, gleichsam unfreiwillig seine Gedanken bloßlegend. Das ist nicht zu ertragen. Grita legte die Arme um seinen Hals. Ertrag's, wenn du mich liebst, bat sie flehentlich. Verzeih deinem Todfeinde, und ich will denken, daß mir verziehen ist. Thu's nicht, Ansas, ich bitte dich, thu's nicht. Sie sah zu ihm auf mit einem Blicke, der ihm durch Mark und Bein drang. Er hielt ihn nicht aus und schaute über sie hinweg in die Sonne hinein, bis sich ihm Alles in ein Lichtmeer verwandelte, in dem schwarze Teufelsfratzen auf- und abtauchten. Dann machte er sich gewaltsam los von ihr, riß das Gewehr von der Schulter und feuerte es blind nach jener Richtung hin ab. Nun waren die gespenstischen Gestalten verschwunden, aber auch der Lichtschein. Es dunkelte um ihn — er brach zusammen und sank auf den Stein nieder. Als er erwachte, war es wirklich Nacht. Grita saß neben ihm und hatte seinen Kopf auf ihrem Schooß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:07:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/106
Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/106>, abgerufen am 24.11.2024.