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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Alle Mädchen von den ersten Augenblicken
des Lebens waren im ganzen Reiche seine
Leibeignen: die Vornehmern und Reichern
hatten sich des Rechts bemächtigt, seine
Leibwache auszumachen, und die Gemeinen
oder Armen wurden in sein Serail nach dem
Maaße ihrer Schönheit gewählt, und die
Häßlichen im Namen des Königs an die
Liebhaber öffentlich verkauft. Der Despot
hatte eine so unsinnige Liebe zum Golde, daß
er nicht schlafen konnte, wenn nicht einige
Haufen neben seinem Lager aufgeschüt-
tet lagen.

Also war er dein Lehrmeister? unterbrach
ihn Belphegor etwas bitter.

Der gute Medardus erschrak: er wollte
seine Erzählung fortsetzen, und die Bitterkeit
der Frage nicht zu fühlen scheinen; allein
Belphegor faßte ihn stärker und ließ ihn
nicht durchwischen. Er malte ihm mit
den frischesten Pinselzügen, doch mit etwas
Galle vermischt, den Neid und die Unter-
drückung vor, die er, als der sonst treuher-
zige wohldenkende Medardus, als Beherr-
scher von Niemeamaye gegen seine Nach-
barn und Unterthanen ausgeübt hatte.

Dem
C 4

Alle Maͤdchen von den erſten Augenblicken
des Lebens waren im ganzen Reiche ſeine
Leibeignen: die Vornehmern und Reichern
hatten ſich des Rechts bemaͤchtigt, ſeine
Leibwache auszumachen, und die Gemeinen
oder Armen wurden in ſein Serail nach dem
Maaße ihrer Schoͤnheit gewaͤhlt, und die
Haͤßlichen im Namen des Koͤnigs an die
Liebhaber oͤffentlich verkauft. Der Deſpot
hatte eine ſo unſinnige Liebe zum Golde, daß
er nicht ſchlafen konnte, wenn nicht einige
Haufen neben ſeinem Lager aufgeſchuͤt-
tet lagen.

Alſo war er dein Lehrmeiſter? unterbrach
ihn Belphegor etwas bitter.

Der gute Medardus erſchrak: er wollte
ſeine Erzaͤhlung fortſetzen, und die Bitterkeit
der Frage nicht zu fuͤhlen ſcheinen; allein
Belphegor faßte ihn ſtaͤrker und ließ ihn
nicht durchwiſchen. Er malte ihm mit
den friſcheſten Pinſelzuͤgen, doch mit etwas
Galle vermiſcht, den Neid und die Unter-
druͤckung vor, die er, als der ſonſt treuher-
zige wohldenkende Medardus, als Beherr-
ſcher von Niemeamaye gegen ſeine Nach-
barn und Unterthanen ausgeuͤbt hatte.

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[37/0043] Alle Maͤdchen von den erſten Augenblicken des Lebens waren im ganzen Reiche ſeine Leibeignen: die Vornehmern und Reichern hatten ſich des Rechts bemaͤchtigt, ſeine Leibwache auszumachen, und die Gemeinen oder Armen wurden in ſein Serail nach dem Maaße ihrer Schoͤnheit gewaͤhlt, und die Haͤßlichen im Namen des Koͤnigs an die Liebhaber oͤffentlich verkauft. Der Deſpot hatte eine ſo unſinnige Liebe zum Golde, daß er nicht ſchlafen konnte, wenn nicht einige Haufen neben ſeinem Lager aufgeſchuͤt- tet lagen. Alſo war er dein Lehrmeiſter? unterbrach ihn Belphegor etwas bitter. Der gute Medardus erſchrak: er wollte ſeine Erzaͤhlung fortſetzen, und die Bitterkeit der Frage nicht zu fuͤhlen ſcheinen; allein Belphegor faßte ihn ſtaͤrker und ließ ihn nicht durchwiſchen. Er malte ihm mit den friſcheſten Pinſelzuͤgen, doch mit etwas Galle vermiſcht, den Neid und die Unter- druͤckung vor, die er, als der ſonſt treuher- zige wohldenkende Medardus, als Beherr- ſcher von Niemeamaye gegen ſeine Nach- barn und Unterthanen ausgeuͤbt hatte. Dem C 4

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/43>, abgerufen am 20.04.2024.