ihnen gleicht, denen thierisches Bedürfniß den ganzen Kreis ihrer Glückseligkeit schließt! --
Freund! Du bist voreilig. Die Industrie rottet eben so viele Laster aus als sie giebt --
Was ist da gewonnen? --
Was bey jedem Wechsel auf unserm Pla- neten gewonnen wird -- man tauscht ein andres Uebel ein. Daran kann ich mich gewöhnen, nur an die Unterdrückung nicht. Mein Gefühl von Freiheit, das bey jeder Spur von ihr bis zum Tumulte aufrührisch wird, trieb mich aus der alten Welt, wo despotische Grundsätze die Schranken dersel- ben immer enger zusammenzogen, so enge, daß an manchen Orten kein Mensch mehr ein freies Wort zu flüstern wagte. Aber Freund! welch ein Wechsel! hier fand ich die Unterdrückung in roher unbekleisterter Gestalt, und mit feiner Tünche überzogen; gerade dieselbe Welt, wie auf der andern Halbkugel, an manchen Orten besser, an manchen schlimmer. Ebendieselbe Kraft, die in der Bewegung der körperlichen Welt ein gewisses Gleichgewicht erhält, muß auch die moralische und politische Vollkommen- heit des Ganzen in einer gewissen Tempera-
tur
ihnen gleicht, denen thieriſches Beduͤrfniß den ganzen Kreis ihrer Gluͤckſeligkeit ſchließt! —
Freund! Du biſt voreilig. Die Induſtrie rottet eben ſo viele Laſter aus als ſie giebt —
Was iſt da gewonnen? —
Was bey jedem Wechſel auf unſerm Pla- neten gewonnen wird — man tauſcht ein andres Uebel ein. Daran kann ich mich gewoͤhnen, nur an die Unterdruͤckung nicht. Mein Gefuͤhl von Freiheit, das bey jeder Spur von ihr bis zum Tumulte aufruͤhriſch wird, trieb mich aus der alten Welt, wo deſpotiſche Grundſaͤtze die Schranken derſel- ben immer enger zuſammenzogen, ſo enge, daß an manchen Orten kein Menſch mehr ein freies Wort zu fluͤſtern wagte. Aber Freund! welch ein Wechſel! hier fand ich die Unterdruͤckung in roher unbekleiſterter Geſtalt, und mit feiner Tuͤnche uͤberzogen; gerade dieſelbe Welt, wie auf der andern Halbkugel, an manchen Orten beſſer, an manchen ſchlimmer. Ebendieſelbe Kraft, die in der Bewegung der koͤrperlichen Welt ein gewiſſes Gleichgewicht erhaͤlt, muß auch die moraliſche und politiſche Vollkommen- heit des Ganzen in einer gewiſſen Tempera-
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ihnen gleicht, denen thieriſches Beduͤrfniß den
ganzen Kreis ihrer Gluͤckſeligkeit ſchließt! —
Freund! Du biſt voreilig. Die Induſtrie
rottet eben ſo viele Laſter aus als ſie giebt —
Was iſt da gewonnen? —
Was bey jedem Wechſel auf unſerm Pla-
neten gewonnen wird — man tauſcht ein
andres Uebel ein. Daran kann ich mich
gewoͤhnen, nur an die Unterdruͤckung nicht.
Mein Gefuͤhl von Freiheit, das bey jeder
Spur von ihr bis zum Tumulte aufruͤhriſch
wird, trieb mich aus der alten Welt, wo
deſpotiſche Grundſaͤtze die Schranken derſel-
ben immer enger zuſammenzogen, ſo enge,
daß an manchen Orten kein Menſch mehr ein
freies Wort zu fluͤſtern wagte. Aber
Freund! welch ein Wechſel! hier fand ich
die Unterdruͤckung in roher unbekleiſterter
Geſtalt, und mit feiner Tuͤnche uͤberzogen;
gerade dieſelbe Welt, wie auf der andern
Halbkugel, an manchen Orten beſſer, an
manchen ſchlimmer. Ebendieſelbe Kraft,
die in der Bewegung der koͤrperlichen Welt
ein gewiſſes Gleichgewicht erhaͤlt, muß auch
die moraliſche und politiſche Vollkommen-
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/258>, abgerufen am 18.05.2024.
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