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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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hielt, dünkte sich verpflichtet, ihm auch die
kleinen Flecken abzuwischen, die die Grund-
fläche seines Charakters beschmuzten und die
sich nur durch die Länge der Gewohnheit so
tief eingefressen hatten, daß er sie, wie alle
Menschen seines Schlages um ihn, für keine
Flecken hielt. Dahin gehörte vorzüglich die-
se Art von Grausamkeit, die auch Menschen
begehen, wenn sie nichts als gerecht sind,
andern zwar sehr pünktlich ihre eignen Ob-
liegenheiten entrichten, aber auch mit der
äußersten Strenge ihr Recht von andern ver-
langen. Da diese Strenge sich am meisten
da äußert und auch, ohne gerichtliche Straf-
fälligkeit, am meisten da äußern kann, wo
eine alte verjährte Unterdrückung zum Recht
geworden ist, und ein Trupp armseliger
Kreaturen, so bald sie zu existiren anfangen,
schon die Möbeln eines andern sind -- kurz,
wo Leibeigenschaft und Sklaverey herrschen;
so fand Belphegor für seinen Strafeifer nir-
gends reichlichern Stoff als in seinen gegen-
wärtigen Umständen. Die Indianer, diese
armen Lastträger, diese Soufre-douleurs
von Amerika, und man möchte sagen, der
ganzen Menschheit, reizten seinen Unwillen

am

hielt, duͤnkte ſich verpflichtet, ihm auch die
kleinen Flecken abzuwiſchen, die die Grund-
flaͤche ſeines Charakters beſchmuzten und die
ſich nur durch die Laͤnge der Gewohnheit ſo
tief eingefreſſen hatten, daß er ſie, wie alle
Menſchen ſeines Schlages um ihn, fuͤr keine
Flecken hielt. Dahin gehoͤrte vorzuͤglich die-
ſe Art von Grauſamkeit, die auch Menſchen
begehen, wenn ſie nichts als gerecht ſind,
andern zwar ſehr puͤnktlich ihre eignen Ob-
liegenheiten entrichten, aber auch mit der
aͤußerſten Strenge ihr Recht von andern ver-
langen. Da dieſe Strenge ſich am meiſten
da aͤußert und auch, ohne gerichtliche Straf-
faͤlligkeit, am meiſten da aͤußern kann, wo
eine alte verjaͤhrte Unterdruͤckung zum Recht
geworden iſt, und ein Trupp armſeliger
Kreaturen, ſo bald ſie zu exiſtiren anfangen,
ſchon die Moͤbeln eines andern ſind — kurz,
wo Leibeigenſchaft und Sklaverey herrſchen;
ſo fand Belphegor fuͤr ſeinen Strafeifer nir-
gends reichlichern Stoff als in ſeinen gegen-
waͤrtigen Umſtaͤnden. Die Indianer, dieſe
armen Laſttraͤger, dieſe Soufre-douleurs
von Amerika, und man moͤchte ſagen, der
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[238/0244] hielt, duͤnkte ſich verpflichtet, ihm auch die kleinen Flecken abzuwiſchen, die die Grund- flaͤche ſeines Charakters beſchmuzten und die ſich nur durch die Laͤnge der Gewohnheit ſo tief eingefreſſen hatten, daß er ſie, wie alle Menſchen ſeines Schlages um ihn, fuͤr keine Flecken hielt. Dahin gehoͤrte vorzuͤglich die- ſe Art von Grauſamkeit, die auch Menſchen begehen, wenn ſie nichts als gerecht ſind, andern zwar ſehr puͤnktlich ihre eignen Ob- liegenheiten entrichten, aber auch mit der aͤußerſten Strenge ihr Recht von andern ver- langen. Da dieſe Strenge ſich am meiſten da aͤußert und auch, ohne gerichtliche Straf- faͤlligkeit, am meiſten da aͤußern kann, wo eine alte verjaͤhrte Unterdruͤckung zum Recht geworden iſt, und ein Trupp armſeliger Kreaturen, ſo bald ſie zu exiſtiren anfangen, ſchon die Moͤbeln eines andern ſind — kurz, wo Leibeigenſchaft und Sklaverey herrſchen; ſo fand Belphegor fuͤr ſeinen Strafeifer nir- gends reichlichern Stoff als in ſeinen gegen- waͤrtigen Umſtaͤnden. Die Indianer, dieſe armen Laſttraͤger, dieſe Soufre-douleurs von Amerika, und man moͤchte ſagen, der ganzen Menſchheit, reizten ſeinen Unwillen am

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/244>, abgerufen am 22.12.2024.