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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Mistrauen und feindlicher Furcht Errettung
entwickeln kann. --

Die Freude, sich aus der augenscheinlich-
sten Todesgefahr so unvermuthet geholfen
zu sehn, gab seiner Philosophie einen so ge-
schmeidigen Fluß, daß sie bis zum Landen
sich in diese Selbstbetrachtung ergoß.

Nachdem sie unter einem ununterbroch-
nen Jubel in das erste Dorf eingezogen wa-
ren, so glaubte Belphegor nichts gewisser,
als daß man auf seine erste Bitte, sobald sie
nur verstanden worden wäre, mit der größ-
ten Bereitwilligkeit seinen Hunger befriedi-
gen werde. Er that zwar seine Bitte, aber
niemand schien sie zu verstehen, sondern man
sperrte ihn nebst Akanten nach einer langen
Prozession in ein Gebäude ein; und eine
kleine Weile darauf trug man ihnen Speisen
im Ueberflusse auf, deren Ungewohnheit ih-
nen die Ueberladung ersparte. Die Einwoh-
ner, die sie genau beobachteten, frohlockten
nicht wenig als sie ihre Gefangnen mit so
vielem Appetite essen sahen, welches Vel-
phegorn, der es sich als eine Freude der
Menschenliebe und des Mitleids ausgab,
beinahe auf bessere Gesinnungen von der

mensch-
O 2

Mistrauen und feindlicher Furcht Errettung
entwickeln kann. —

Die Freude, ſich aus der augenſcheinlich-
ſten Todesgefahr ſo unvermuthet geholfen
zu ſehn, gab ſeiner Philoſophie einen ſo ge-
ſchmeidigen Fluß, daß ſie bis zum Landen
ſich in dieſe Selbſtbetrachtung ergoß.

Nachdem ſie unter einem ununterbroch-
nen Jubel in das erſte Dorf eingezogen wa-
ren, ſo glaubte Belphegor nichts gewiſſer,
als daß man auf ſeine erſte Bitte, ſobald ſie
nur verſtanden worden waͤre, mit der groͤß-
ten Bereitwilligkeit ſeinen Hunger befriedi-
gen werde. Er that zwar ſeine Bitte, aber
niemand ſchien ſie zu verſtehen, ſondern man
ſperrte ihn nebſt Akanten nach einer langen
Prozeſſion in ein Gebaͤude ein; und eine
kleine Weile darauf trug man ihnen Speiſen
im Ueberfluſſe auf, deren Ungewohnheit ih-
nen die Ueberladung erſparte. Die Einwoh-
ner, die ſie genau beobachteten, frohlockten
nicht wenig als ſie ihre Gefangnen mit ſo
vielem Appetite eſſen ſahen, welches Vel-
phegorn, der es ſich als eine Freude der
Menſchenliebe und des Mitleids ausgab,
beinahe auf beſſere Geſinnungen von der

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[209/0215] Mistrauen und feindlicher Furcht Errettung entwickeln kann. — Die Freude, ſich aus der augenſcheinlich- ſten Todesgefahr ſo unvermuthet geholfen zu ſehn, gab ſeiner Philoſophie einen ſo ge- ſchmeidigen Fluß, daß ſie bis zum Landen ſich in dieſe Selbſtbetrachtung ergoß. Nachdem ſie unter einem ununterbroch- nen Jubel in das erſte Dorf eingezogen wa- ren, ſo glaubte Belphegor nichts gewiſſer, als daß man auf ſeine erſte Bitte, ſobald ſie nur verſtanden worden waͤre, mit der groͤß- ten Bereitwilligkeit ſeinen Hunger befriedi- gen werde. Er that zwar ſeine Bitte, aber niemand ſchien ſie zu verſtehen, ſondern man ſperrte ihn nebſt Akanten nach einer langen Prozeſſion in ein Gebaͤude ein; und eine kleine Weile darauf trug man ihnen Speiſen im Ueberfluſſe auf, deren Ungewohnheit ih- nen die Ueberladung erſparte. Die Einwoh- ner, die ſie genau beobachteten, frohlockten nicht wenig als ſie ihre Gefangnen mit ſo vielem Appetite eſſen ſahen, welches Vel- phegorn, der es ſich als eine Freude der Menſchenliebe und des Mitleids ausgab, beinahe auf beſſere Geſinnungen von der menſch- O 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/215>, abgerufen am 04.05.2024.