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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Wasser mit der Hand zu fangen: der Hun-
ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie-
der versuchte, die er schon längst aufgegeben
hatte, allein durch das Alter und die Unge-
wohnheit waren seine Hände unsicher und
unstät geworden, daß er also mit der äußer-
sten Anstrengung in einem Tage kaum genug
fieng, um sich und seiner Gesellschaft das
Leben zu fristen, aber nicht um sie zu nähren.
Oben drein mußte das Unglück ihren Jam-
mer vermehren und den Alten, dessen
schwächlicher Körper einen so kümmerlichen
Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig
Tagen sterben lassen. Was nun zu thun? --
Nichts als zu hungern oder zu sterben!

In dieser schrecklichen Verlegenheit mußte
sich Belphegor bequemen, den Ton seiner
Menschenfeindlichkeit um vieles herabzustim-
men: so sehr er sonst vor dem Anblicke der
Menschen flohe, so eifrig spähte er itzt an
dem Rande seiner Insel, um vielleicht an
dem entgegenstehenden Ufer menschliche Fi-
guren zu entdecken, denen er durch Rufen
und Zeichen verständlich machen könnte,
daß hier einige von ihren Brüdern ihres
Beystandes bedürften: er dünkte sich zwar

etwas
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Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun-
ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie-
der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben
hatte, allein durch das Alter und die Unge-
wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und
unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer-
ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug
fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das
Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren.
Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam-
mer vermehren und den Alten, deſſen
ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen
Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig
Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? —
Nichts als zu hungern oder zu ſterben!

In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte
ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner
Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim-
men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der
Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an
dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an
dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi-
guren zu entdecken, denen er durch Rufen
und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte,
daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres
Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwar

etwas
N 5
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[199/0205] Waſſer mit der Hand zu fangen: der Hun- ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie- der verſuchte, die er ſchon laͤngſt aufgegeben hatte, allein durch das Alter und die Unge- wohnheit waren ſeine Haͤnde unſicher und unſtaͤt geworden, daß er alſo mit der aͤußer- ſten Anſtrengung in einem Tage kaum genug fieng, um ſich und ſeiner Geſellſchaft das Leben zu friſten, aber nicht um ſie zu naͤhren. Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam- mer vermehren und den Alten, deſſen ſchwaͤchlicher Koͤrper einen ſo kuͤmmerlichen Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig Tagen ſterben laſſen. Was nun zu thun? — Nichts als zu hungern oder zu ſterben! In dieſer ſchrecklichen Verlegenheit mußte ſich Belphegor bequemen, den Ton ſeiner Menſchenfeindlichkeit um vieles herabzuſtim- men: ſo ſehr er ſonſt vor dem Anblicke der Menſchen flohe, ſo eifrig ſpaͤhte er itzt an dem Rande ſeiner Inſel, um vielleicht an dem entgegenſtehenden Ufer menſchliche Fi- guren zu entdecken, denen er durch Rufen und Zeichen verſtaͤndlich machen koͤnnte, daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres Beyſtandes beduͤrften: er duͤnkte ſich zwar etwas N 5

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/205>, abgerufen am 04.05.2024.