Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

zu wagen. Belphegor war schon im Be-
griffe, darnach zu haschen, als ein Trupp
Reiter in völligem Galope, mit verhängtem
Zügel, schäumenden, schnaubenden Rossen
über Büsch, Gesträuch, Hügel und Steine
daherflogen und das funkelnde strahlende
Thier zu ereilen suchten. Alle Rosse hatten
nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht
gleiche Geschicklichkeit; es mußten also eini-
ge zuvorkommen, einige zurückbleiben: um
sich nicht mehrere zuvorzulassen, wandten sie
sich zu den Folgenden, und nun focht man
mit allen Kräften, wer die Ehre haben soll-
te, voranzureiten: man verwundete, man
verstümmelte, man lähmte, man tödtete sich,
und wer die Oberhand behielt, gewann
nichts als den leidigen Vortheil, seine Weg
und seine Thorheit weiter fortzusetzen. --

Himmel! wo sind wir? rief Akante. --
In der Welt, antwortete Belphegor: denn
man zankt, man ermordet sich. -- Aber,
fuhr Akante fort, was für ein herrlicher
Theil der Welt ist das, wo solche kostbare
funkelnde Vögel und so strahlende Rehe an-
getroffen werden! Kaum kann ich glauben,
daß wir noch auf unserm Planeten sind. --

Wir

zu wagen. Belphegor war ſchon im Be-
griffe, darnach zu haſchen, als ein Trupp
Reiter in voͤlligem Galope, mit verhaͤngtem
Zuͤgel, ſchaͤumenden, ſchnaubenden Roſſen
uͤber Buͤſch, Geſtraͤuch, Huͤgel und Steine
daherflogen und das funkelnde ſtrahlende
Thier zu ereilen ſuchten. Alle Roſſe hatten
nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht
gleiche Geſchicklichkeit; es mußten alſo eini-
ge zuvorkommen, einige zuruͤckbleiben: um
ſich nicht mehrere zuvorzulaſſen, wandten ſie
ſich zu den Folgenden, und nun focht man
mit allen Kraͤften, wer die Ehre haben ſoll-
te, voranzureiten: man verwundete, man
verſtuͤmmelte, man laͤhmte, man toͤdtete ſich,
und wer die Oberhand behielt, gewann
nichts als den leidigen Vortheil, ſeine Weg
und ſeine Thorheit weiter fortzuſetzen. —

Himmel! wo ſind wir? rief Akante. —
In der Welt, antwortete Belphegor: denn
man zankt, man ermordet ſich. — Aber,
fuhr Akante fort, was fuͤr ein herrlicher
Theil der Welt iſt das, wo ſolche koſtbare
funkelnde Voͤgel und ſo ſtrahlende Rehe an-
getroffen werden! Kaum kann ich glauben,
daß wir noch auf unſerm Planeten ſind. —

Wir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="170"/>
zu wagen. Belphegor war &#x017F;chon im Be-<lb/>
griffe, darnach zu ha&#x017F;chen, als ein Trupp<lb/>
Reiter in vo&#x0364;lligem Galope, mit verha&#x0364;ngtem<lb/>
Zu&#x0364;gel, &#x017F;cha&#x0364;umenden, &#x017F;chnaubenden Ro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
u&#x0364;ber Bu&#x0364;&#x017F;ch, Ge&#x017F;tra&#x0364;uch, Hu&#x0364;gel und Steine<lb/>
daherflogen und das funkelnde &#x017F;trahlende<lb/>
Thier zu ereilen &#x017F;uchten. Alle Ro&#x017F;&#x017F;e hatten<lb/>
nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht<lb/>
gleiche Ge&#x017F;chicklichkeit; es mußten al&#x017F;o eini-<lb/>
ge zuvorkommen, einige zuru&#x0364;ckbleiben: um<lb/>
&#x017F;ich nicht mehrere zuvorzula&#x017F;&#x017F;en, wandten &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich zu den Folgenden, und nun focht man<lb/>
mit allen Kra&#x0364;ften, wer die Ehre haben &#x017F;oll-<lb/>
te, voranzureiten: man verwundete, man<lb/>
ver&#x017F;tu&#x0364;mmelte, man la&#x0364;hmte, man to&#x0364;dtete &#x017F;ich,<lb/>
und wer die Oberhand behielt, gewann<lb/>
nichts als den leidigen Vortheil, &#x017F;eine Weg<lb/>
und &#x017F;eine Thorheit weiter fortzu&#x017F;etzen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Himmel! wo &#x017F;ind wir? rief Akante. &#x2014;<lb/>
In der <hi rendition="#fr">Welt,</hi> antwortete Belphegor: denn<lb/>
man zankt, man ermordet &#x017F;ich. &#x2014; Aber,<lb/>
fuhr Akante fort, was fu&#x0364;r ein herrlicher<lb/>
Theil der Welt i&#x017F;t das, wo &#x017F;olche ko&#x017F;tbare<lb/>
funkelnde Vo&#x0364;gel und &#x017F;o &#x017F;trahlende Rehe an-<lb/>
getroffen werden! Kaum kann ich glauben,<lb/>
daß wir noch auf un&#x017F;erm Planeten &#x017F;ind. &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wir</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] zu wagen. Belphegor war ſchon im Be- griffe, darnach zu haſchen, als ein Trupp Reiter in voͤlligem Galope, mit verhaͤngtem Zuͤgel, ſchaͤumenden, ſchnaubenden Roſſen uͤber Buͤſch, Geſtraͤuch, Huͤgel und Steine daherflogen und das funkelnde ſtrahlende Thier zu ereilen ſuchten. Alle Roſſe hatten nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht gleiche Geſchicklichkeit; es mußten alſo eini- ge zuvorkommen, einige zuruͤckbleiben: um ſich nicht mehrere zuvorzulaſſen, wandten ſie ſich zu den Folgenden, und nun focht man mit allen Kraͤften, wer die Ehre haben ſoll- te, voranzureiten: man verwundete, man verſtuͤmmelte, man laͤhmte, man toͤdtete ſich, und wer die Oberhand behielt, gewann nichts als den leidigen Vortheil, ſeine Weg und ſeine Thorheit weiter fortzuſetzen. — Himmel! wo ſind wir? rief Akante. — In der Welt, antwortete Belphegor: denn man zankt, man ermordet ſich. — Aber, fuhr Akante fort, was fuͤr ein herrlicher Theil der Welt iſt das, wo ſolche koſtbare funkelnde Voͤgel und ſo ſtrahlende Rehe an- getroffen werden! Kaum kann ich glauben, daß wir noch auf unſerm Planeten ſind. — Wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/176
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/176>, abgerufen am 04.05.2024.