Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

gen meine Seele: die Welt sollte mir eine
friedliche Wohnung glücklicher Kreaturen
seyn, und die Erfahrung stellte sie mir als
eine Höle auflauernder Räuber vor: in dem
Menschen wollte ich einen guten freundli-
chen Bruder finden, und ich fand einen
eigennützigen habsüchtigen Wolf. --

"Lieber Fremdling! wenn du mit dem
bloßen innern Geistesauge die Erde über-
siehst, so findest du ein gewisses Leere, ein
gewisses Geistliche darinne, daß dir ekelt,
daß du sie ein fades Werk nennen mußt;
gleichwohl ist es dein Beruf auf ihr zu leben.
Um das zu können, finde ich nur zween
Wege: entweder stürze dich in das Gewirre,
das Getümmel der Freuden, der Geschäfte,
des allgemeinen Streites des Eigennutzes,
ficht, siege oder stirb! Laß dich in dem Wir-
bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den-
ken, ohne anders als über die Oberfläche
der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen stillen
Anschauen der Sachen, zum Eindringen in
sie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei-
sten Einwohner der Welt leben, das heißt,
komme nie zu dem Grade des Nachdenkens,
wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Welt

über-

gen meine Seele: die Welt ſollte mir eine
friedliche Wohnung gluͤcklicher Kreaturen
ſeyn, und die Erfahrung ſtellte ſie mir als
eine Hoͤle auflauernder Raͤuber vor: in dem
Menſchen wollte ich einen guten freundli-
chen Bruder finden, und ich fand einen
eigennuͤtzigen habſuͤchtigen Wolf. —

„Lieber Fremdling! wenn du mit dem
bloßen innern Geiſtesauge die Erde uͤber-
ſiehſt, ſo findeſt du ein gewiſſes Leere, ein
gewiſſes Geiſtliche darinne, daß dir ekelt,
daß du ſie ein fades Werk nennen mußt;
gleichwohl iſt es dein Beruf auf ihr zu leben.
Um das zu koͤnnen, finde ich nur zween
Wege: entweder ſtuͤrze dich in das Gewirre,
das Getuͤmmel der Freuden, der Geſchaͤfte,
des allgemeinen Streites des Eigennutzes,
ficht, ſiege oder ſtirb! Laß dich in dem Wir-
bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den-
ken, ohne anders als uͤber die Oberflaͤche
der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen ſtillen
Anſchauen der Sachen, zum Eindringen in
ſie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei-
ſten Einwohner der Welt leben, das heißt,
komme nie zu dem Grade des Nachdenkens,
wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Welt

uͤber-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="102"/>
gen meine Seele: die Welt &#x017F;ollte mir eine<lb/>
friedliche Wohnung glu&#x0364;cklicher Kreaturen<lb/>
&#x017F;eyn, und die Erfahrung &#x017F;tellte &#x017F;ie mir als<lb/>
eine Ho&#x0364;le auflauernder Ra&#x0364;uber vor: in dem<lb/>
Men&#x017F;chen wollte ich einen guten freundli-<lb/>
chen Bruder finden, und ich fand einen<lb/>
eigennu&#x0364;tzigen hab&#x017F;u&#x0364;chtigen Wolf. &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lieber Fremdling! wenn du mit dem<lb/>
bloßen innern Gei&#x017F;tesauge die Erde u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;ieh&#x017F;t, &#x017F;o finde&#x017F;t du ein gewi&#x017F;&#x017F;es Leere, ein<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;es Gei&#x017F;tliche darinne, daß dir ekelt,<lb/>
daß du &#x017F;ie ein <hi rendition="#fr">fades</hi> Werk nennen mußt;<lb/>
gleichwohl i&#x017F;t es dein Beruf auf ihr zu leben.<lb/>
Um das zu ko&#x0364;nnen, finde ich nur zween<lb/>
Wege: entweder &#x017F;tu&#x0364;rze dich in das Gewirre,<lb/>
das Getu&#x0364;mmel der Freuden, der Ge&#x017F;cha&#x0364;fte,<lb/>
des allgemeinen Streites des Eigennutzes,<lb/>
ficht, &#x017F;iege oder &#x017F;tirb! Laß dich in dem Wir-<lb/>
bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den-<lb/>
ken, ohne anders als u&#x0364;ber die Oberfla&#x0364;che<lb/>
der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen &#x017F;tillen<lb/>
An&#x017F;chauen der Sachen, zum Eindringen in<lb/>
&#x017F;ie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei-<lb/>
&#x017F;ten Einwohner der Welt leben, das heißt,<lb/>
komme nie zu dem Grade des Nachdenkens,<lb/>
wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Welt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;ber-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] gen meine Seele: die Welt ſollte mir eine friedliche Wohnung gluͤcklicher Kreaturen ſeyn, und die Erfahrung ſtellte ſie mir als eine Hoͤle auflauernder Raͤuber vor: in dem Menſchen wollte ich einen guten freundli- chen Bruder finden, und ich fand einen eigennuͤtzigen habſuͤchtigen Wolf. — „Lieber Fremdling! wenn du mit dem bloßen innern Geiſtesauge die Erde uͤber- ſiehſt, ſo findeſt du ein gewiſſes Leere, ein gewiſſes Geiſtliche darinne, daß dir ekelt, daß du ſie ein fades Werk nennen mußt; gleichwohl iſt es dein Beruf auf ihr zu leben. Um das zu koͤnnen, finde ich nur zween Wege: entweder ſtuͤrze dich in das Gewirre, das Getuͤmmel der Freuden, der Geſchaͤfte, des allgemeinen Streites des Eigennutzes, ficht, ſiege oder ſtirb! Laß dich in dem Wir- bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den- ken, ohne anders als uͤber die Oberflaͤche der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen ſtillen Anſchauen der Sachen, zum Eindringen in ſie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei- ſten Einwohner der Welt leben, das heißt, komme nie zu dem Grade des Nachdenkens, wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Welt uͤber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/108
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/108>, abgerufen am 07.05.2024.