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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Christen, fuhr der Jude, der deswegen Herz
schöpfte, in der nämlichen Sprache fort, ihr
seyd saubere Leute; wenn ihr einen armen
Juden anführt, so glaubt ihr, ihr habt noch
so viel gethan; und wenn wir uns rächen, so
bestraft ihr uns als Missethäter: ihr habt
uns doch das Beispiel dazu gegeben. Jhr
verachtet uns, als die elendesten Kreaturen,
und wenn ihr Geld braucht, sind wir doch
die liebsten schönsten Leute. Sind wir nicht
Menschen? Wenn ihr immer an uns zapft,
so müssen wir euch betriegen, um beständig
voll zu seyn, wenn ihr zapfen wollt. --

Da er sahe, daß sein Gegner immer ver-
schämter wurde, so wuchs sein Herz zusehends.
Er drohte, ihn bey einem halben Dutzend
Excellenzen und ein Paar Durchlauchten zu
verklagen, die er insgesamt sehr genau, wie
Brüder, kennen wollte, und doch weiter nicht,
als jeder unter den Anwesenden -- dem Na-
men nach kannte; und da er in der größten
Hitze seinen Gegner zur Thür hinausgedon-
nert hatte, so wandte er sich mit ruhiger
Höflichkeit zu Belphegorn: hat der Herr nicks
zu schackern? zu schackern? fragte er und
nannte ihm eine Menge Materialien her, mit

Chriſten, fuhr der Jude, der deswegen Herz
ſchoͤpfte, in der naͤmlichen Sprache fort, ihr
ſeyd ſaubere Leute; wenn ihr einen armen
Juden anfuͤhrt, ſo glaubt ihr, ihr habt noch
ſo viel gethan; und wenn wir uns raͤchen, ſo
beſtraft ihr uns als Miſſethaͤter: ihr habt
uns doch das Beiſpiel dazu gegeben. Jhr
verachtet uns, als die elendeſten Kreaturen,
und wenn ihr Geld braucht, ſind wir doch
die liebſten ſchoͤnſten Leute. Sind wir nicht
Menſchen? Wenn ihr immer an uns zapft,
ſo muͤſſen wir euch betriegen, um beſtaͤndig
voll zu ſeyn, wenn ihr zapfen wollt. —

Da er ſahe, daß ſein Gegner immer ver-
ſchaͤmter wurde, ſo wuchs ſein Herz zuſehends.
Er drohte, ihn bey einem halben Dutzend
Excellenzen und ein Paar Durchlauchten zu
verklagen, die er insgeſamt ſehr genau, wie
Bruͤder, kennen wollte, und doch weiter nicht,
als jeder unter den Anweſenden — dem Na-
men nach kannte; und da er in der groͤßten
Hitze ſeinen Gegner zur Thuͤr hinausgedon-
nert hatte, ſo wandte er ſich mit ruhiger
Hoͤflichkeit zu Belphegorn: hat der Herr nicks
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[75/0095] Chriſten, fuhr der Jude, der deswegen Herz ſchoͤpfte, in der naͤmlichen Sprache fort, ihr ſeyd ſaubere Leute; wenn ihr einen armen Juden anfuͤhrt, ſo glaubt ihr, ihr habt noch ſo viel gethan; und wenn wir uns raͤchen, ſo beſtraft ihr uns als Miſſethaͤter: ihr habt uns doch das Beiſpiel dazu gegeben. Jhr verachtet uns, als die elendeſten Kreaturen, und wenn ihr Geld braucht, ſind wir doch die liebſten ſchoͤnſten Leute. Sind wir nicht Menſchen? Wenn ihr immer an uns zapft, ſo muͤſſen wir euch betriegen, um beſtaͤndig voll zu ſeyn, wenn ihr zapfen wollt. — Da er ſahe, daß ſein Gegner immer ver- ſchaͤmter wurde, ſo wuchs ſein Herz zuſehends. Er drohte, ihn bey einem halben Dutzend Excellenzen und ein Paar Durchlauchten zu verklagen, die er insgeſamt ſehr genau, wie Bruͤder, kennen wollte, und doch weiter nicht, als jeder unter den Anweſenden — dem Na- men nach kannte; und da er in der groͤßten Hitze ſeinen Gegner zur Thuͤr hinausgedon- nert hatte, ſo wandte er ſich mit ruhiger Hoͤflichkeit zu Belphegorn: hat der Herr nicks zu ſchackern? zu ſchackern? fragte er und nannte ihm eine Menge Materialien her, mit

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/95>, abgerufen am 24.11.2024.