Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Du bist ein Spion! ein Feind! -- und so-
gleich sezte man sich in Positur, ihn mit ei-
nem Strohseile an eine schöne schattichte Ei-
che aufzuhängen. -- Sagt mir nur erst, wer
eure Freiheit gekränkt hat? rief Belphegor,
als er den Spaß dem Ernste so nahe sah;
sagt mir es, und gern, gern will ich für sie fechten.

Siehst du, nahm sein Nachbar das Wort,
der bisher beständig still gesessen hatte --
siehst du! der liebe Gott hat uns nur zwey
Hände und zwey Füße gegeben, und doch
sollten wir den Leuten, die uns gekauft ha-
ben, so viel arbeiten, als wenn wir ihrer
ein Paar Dutzend hätten. Sie wollten uns
weis machen, wir hätten keinen Magen; wir
sollten nur hungern, sie wollten schon für
uns essen: und ob uns ein Paar Lumpen auf
dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien-
gen, wäre auch gleich viel; Adam sey ja in
Gottes Paradiese auch nackt gegangen und
ein braver Mann, der erste Erzvater gewe-
sen. Was wäre denn nun vollends solchen
nackten Lumpenkerlen Geld nöthig? meinten
sie; wir hätten ja ohnehin keine ganzen Ta-
schen; also wärs doch tausendmal besser, daß

Du biſt ein Spion! ein Feind! — und ſo-
gleich ſezte man ſich in Poſitur, ihn mit ei-
nem Strohſeile an eine ſchoͤne ſchattichte Ei-
che aufzuhaͤngen. — Sagt mir nur erſt, wer
eure Freiheit gekraͤnkt hat? rief Belphegor,
als er den Spaß dem Ernſte ſo nahe ſah;
ſagt mir es, und gern, gern will ich fuͤr ſie fechten.

Siehſt du, nahm ſein Nachbar das Wort,
der bisher beſtaͤndig ſtill geſeſſen hatte —
ſiehſt du! der liebe Gott hat uns nur zwey
Haͤnde und zwey Fuͤße gegeben, und doch
ſollten wir den Leuten, die uns gekauft ha-
ben, ſo viel arbeiten, als wenn wir ihrer
ein Paar Dutzend haͤtten. Sie wollten uns
weis machen, wir haͤtten keinen Magen; wir
ſollten nur hungern, ſie wollten ſchon fuͤr
uns eſſen: und ob uns ein Paar Lumpen auf
dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien-
gen, waͤre auch gleich viel; Adam ſey ja in
Gottes Paradieſe auch nackt gegangen und
ein braver Mann, der erſte Erzvater gewe-
ſen. Was waͤre denn nun vollends ſolchen
nackten Lumpenkerlen Geld noͤthig? meinten
ſie; wir haͤtten ja ohnehin keine ganzen Ta-
ſchen; alſo waͤrs doch tauſendmal beſſer, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="42"/>
Du bi&#x017F;t ein Spion! ein Feind! &#x2014; und &#x017F;o-<lb/>
gleich &#x017F;ezte man &#x017F;ich in Po&#x017F;itur, ihn mit ei-<lb/>
nem Stroh&#x017F;eile an eine &#x017F;cho&#x0364;ne &#x017F;chattichte Ei-<lb/>
che aufzuha&#x0364;ngen. &#x2014; Sagt mir nur er&#x017F;t, wer<lb/>
eure Freiheit gekra&#x0364;nkt hat? rief Belphegor,<lb/>
als er den Spaß dem Ern&#x017F;te &#x017F;o nahe &#x017F;ah;<lb/>
&#x017F;agt mir es, und gern, gern will ich fu&#x0364;r &#x017F;ie fechten.</p><lb/>
        <p>Sieh&#x017F;t du, nahm &#x017F;ein Nachbar das Wort,<lb/>
der bisher be&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;till ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hatte &#x2014;<lb/>
&#x017F;ieh&#x017F;t du! der liebe Gott hat uns nur zwey<lb/>
Ha&#x0364;nde und zwey Fu&#x0364;ße gegeben, und doch<lb/>
&#x017F;ollten wir den Leuten, die uns gekauft ha-<lb/>
ben, &#x017F;o viel arbeiten, als wenn wir ihrer<lb/>
ein Paar Dutzend ha&#x0364;tten. Sie wollten uns<lb/>
weis machen, wir ha&#x0364;tten keinen Magen; wir<lb/>
&#x017F;ollten nur hungern, <hi rendition="#fr">&#x017F;ie</hi> wollten &#x017F;chon fu&#x0364;r<lb/>
uns e&#x017F;&#x017F;en: und ob uns ein Paar Lumpen auf<lb/>
dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien-<lb/>
gen, wa&#x0364;re auch gleich viel; Adam &#x017F;ey ja in<lb/>
Gottes Paradie&#x017F;e auch nackt gegangen und<lb/>
ein braver Mann, der er&#x017F;te Erzvater gewe-<lb/>
&#x017F;en. Was wa&#x0364;re denn nun vollends &#x017F;olchen<lb/>
nackten Lumpenkerlen Geld no&#x0364;thig? meinten<lb/>
&#x017F;ie; wir ha&#x0364;tten ja ohnehin keine ganzen Ta-<lb/>
&#x017F;chen; al&#x017F;o wa&#x0364;rs doch tau&#x017F;endmal be&#x017F;&#x017F;er, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0062] Du biſt ein Spion! ein Feind! — und ſo- gleich ſezte man ſich in Poſitur, ihn mit ei- nem Strohſeile an eine ſchoͤne ſchattichte Ei- che aufzuhaͤngen. — Sagt mir nur erſt, wer eure Freiheit gekraͤnkt hat? rief Belphegor, als er den Spaß dem Ernſte ſo nahe ſah; ſagt mir es, und gern, gern will ich fuͤr ſie fechten. Siehſt du, nahm ſein Nachbar das Wort, der bisher beſtaͤndig ſtill geſeſſen hatte — ſiehſt du! der liebe Gott hat uns nur zwey Haͤnde und zwey Fuͤße gegeben, und doch ſollten wir den Leuten, die uns gekauft ha- ben, ſo viel arbeiten, als wenn wir ihrer ein Paar Dutzend haͤtten. Sie wollten uns weis machen, wir haͤtten keinen Magen; wir ſollten nur hungern, ſie wollten ſchon fuͤr uns eſſen: und ob uns ein Paar Lumpen auf dem Leibe hiengen, oder ob wir nackt gien- gen, waͤre auch gleich viel; Adam ſey ja in Gottes Paradieſe auch nackt gegangen und ein braver Mann, der erſte Erzvater gewe- ſen. Was waͤre denn nun vollends ſolchen nackten Lumpenkerlen Geld noͤthig? meinten ſie; wir haͤtten ja ohnehin keine ganzen Ta- ſchen; alſo waͤrs doch tauſendmal beſſer, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/62
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/62>, abgerufen am 03.05.2024.