Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

in sich selbst konzentrirt, den Schwächern un-
terdrückt; hat immer der Zufall einen Theil
der Menschen zum Eigenthume des andern
gemacht, und mußte dieser durch seine Be-
drängung einem Haufen auserwählter Liel-
linge des Glücks Bedrängnisse ersparen: was
soll man alsdann denken? -- Entweder daß
die Unterdrückung mit in dem Plane der Na-
tur war, daß sie den Meuschen so anlegte,
daß einer mit dem andern um Freiheit, Macht
und Reichthum kämpfen mußte; öder daß
der Mensch, wenn sie ihn nicht hierzu be-
stimmte, das einzige Geschöpf ist, das seit
der Schöpfung beständig wider die Absicht
der Natur gelebt hat; oder daß die Natur
mit ungemeiner Fruchtbarkeit Kinder gebar,
und sie mit stiefmütterlicher Sorgfalt nährte:
denn diesem Elenden versagte sie nicht allein
die blos imaginative Glückseligkeit, ohne
die tausende glücklich sind; nein, selbst die
thierische! Der Sklave, der bey einem küm-
merlichen Stückchen Kassave oder Maisbrodte
die beschwerlichsten Arbeiten tragen muß,
der von seinem Tirannen nichts empfängt,
sechs Tage für ihn arbeiten und den sieben-
ten die Nahrung der übrigen betteln muß,

S 3

in ſich ſelbſt konzentrirt, den Schwaͤchern un-
terdruͤckt; hat immer der Zufall einen Theil
der Menſchen zum Eigenthume des andern
gemacht, und mußte dieſer durch ſeine Be-
draͤngung einem Haufen auserwaͤhlter Liel-
linge des Gluͤcks Bedraͤngniſſe erſparen: was
ſoll man alsdann denken? — Entweder daß
die Unterdruͤckung mit in dem Plane der Na-
tur war, daß ſie den Meuſchen ſo anlegte,
daß einer mit dem andern um Freiheit, Macht
und Reichthum kaͤmpfen mußte; oͤder daß
der Menſch, wenn ſie ihn nicht hierzu be-
ſtimmte, das einzige Geſchoͤpf iſt, das ſeit
der Schoͤpfung beſtaͤndig wider die Abſicht
der Natur gelebt hat; oder daß die Natur
mit ungemeiner Fruchtbarkeit Kinder gebar,
und ſie mit ſtiefmuͤtterlicher Sorgfalt naͤhrte:
denn dieſem Elenden verſagte ſie nicht allein
die blos imaginative Gluͤckſeligkeit, ohne
die tauſende gluͤcklich ſind; nein, ſelbſt die
thieriſche! Der Sklave, der bey einem kuͤm-
merlichen Stuͤckchen Kaſſave oder Maisbrodte
die beſchwerlichſten Arbeiten tragen muß,
der von ſeinem Tirannen nichts empfaͤngt,
ſechs Tage fuͤr ihn arbeiten und den ſieben-
ten die Nahrung der uͤbrigen betteln muß,

S 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0297" n="277"/>
in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t konzentrirt, den Schwa&#x0364;chern un-<lb/>
terdru&#x0364;ckt; hat immer der Zufall einen Theil<lb/>
der Men&#x017F;chen zum Eigenthume des andern<lb/>
gemacht, und mußte die&#x017F;er durch &#x017F;eine Be-<lb/>
dra&#x0364;ngung einem Haufen auserwa&#x0364;hlter Liel-<lb/>
linge des Glu&#x0364;cks Bedra&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e er&#x017F;paren: was<lb/>
&#x017F;oll man alsdann denken? &#x2014; Entweder daß<lb/>
die Unterdru&#x0364;ckung mit in dem Plane der Na-<lb/>
tur war, daß &#x017F;ie den Meu&#x017F;chen &#x017F;o <hi rendition="#fr">anlegte</hi>,<lb/>
daß einer mit dem andern um Freiheit, Macht<lb/>
und Reichthum ka&#x0364;mpfen mußte; o&#x0364;der daß<lb/>
der Men&#x017F;ch, wenn &#x017F;ie ihn nicht hierzu be-<lb/>
&#x017F;timmte, das einzige Ge&#x017F;cho&#x0364;pf i&#x017F;t, das &#x017F;eit<lb/>
der Scho&#x0364;pfung be&#x017F;ta&#x0364;ndig wider die Ab&#x017F;icht<lb/>
der Natur gelebt hat; oder daß die Natur<lb/>
mit ungemeiner Fruchtbarkeit Kinder gebar,<lb/>
und &#x017F;ie mit &#x017F;tiefmu&#x0364;tterlicher Sorgfalt na&#x0364;hrte:<lb/>
denn die&#x017F;em Elenden ver&#x017F;agte &#x017F;ie nicht allein<lb/>
die blos <hi rendition="#fr">imaginative</hi> Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit, ohne<lb/>
die tau&#x017F;ende glu&#x0364;cklich &#x017F;ind; nein, &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
thieri&#x017F;che! Der Sklave, der bey einem ku&#x0364;m-<lb/>
merlichen Stu&#x0364;ckchen Ka&#x017F;&#x017F;ave oder Maisbrodte<lb/>
die be&#x017F;chwerlich&#x017F;ten Arbeiten tragen muß,<lb/>
der von &#x017F;einem Tirannen nichts empfa&#x0364;ngt,<lb/>
&#x017F;echs Tage fu&#x0364;r ihn arbeiten und den &#x017F;ieben-<lb/>
ten die Nahrung der u&#x0364;brigen betteln muß,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0297] in ſich ſelbſt konzentrirt, den Schwaͤchern un- terdruͤckt; hat immer der Zufall einen Theil der Menſchen zum Eigenthume des andern gemacht, und mußte dieſer durch ſeine Be- draͤngung einem Haufen auserwaͤhlter Liel- linge des Gluͤcks Bedraͤngniſſe erſparen: was ſoll man alsdann denken? — Entweder daß die Unterdruͤckung mit in dem Plane der Na- tur war, daß ſie den Meuſchen ſo anlegte, daß einer mit dem andern um Freiheit, Macht und Reichthum kaͤmpfen mußte; oͤder daß der Menſch, wenn ſie ihn nicht hierzu be- ſtimmte, das einzige Geſchoͤpf iſt, das ſeit der Schoͤpfung beſtaͤndig wider die Abſicht der Natur gelebt hat; oder daß die Natur mit ungemeiner Fruchtbarkeit Kinder gebar, und ſie mit ſtiefmuͤtterlicher Sorgfalt naͤhrte: denn dieſem Elenden verſagte ſie nicht allein die blos imaginative Gluͤckſeligkeit, ohne die tauſende gluͤcklich ſind; nein, ſelbſt die thieriſche! Der Sklave, der bey einem kuͤm- merlichen Stuͤckchen Kaſſave oder Maisbrodte die beſchwerlichſten Arbeiten tragen muß, der von ſeinem Tirannen nichts empfaͤngt, ſechs Tage fuͤr ihn arbeiten und den ſieben- ten die Nahrung der uͤbrigen betteln muß, S 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/297
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/297>, abgerufen am 23.11.2024.