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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
über dem Top der Vorbramstenge schwebte ein kugelförmiges
bläuliches Licht. Bald hob es sich einige Fuß, bald senkte es
sich wieder oder schwebte seitwärts. Dann verschwand es auf
einige Sekunden ganz, um wieder zu erscheinen und seinen
unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem
Ruck abwärts und hielt sich eine Zeit lang über dem Kopfe des
Leichtmatrosen, der das Vorbramsegel festmachte, während sich
ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr
matter Schimmer erleuchtete nur den nächsten Umkreis, alles
übrige war in tiefe Nacht gehüllt.

"Er ruft Jens," flüsterte der Bootsmann, indem er mich
anrührte, "sieh, wie er ihm auf die Schultern klettert."

Mich überlief es kalt. Die blasse Kugel schien auf dem
Kopfe des Leichtmatrosen befestigt, welcher noch immer das
Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen
Schein über sein Gesicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte,
obwol von dem übrigen Körper nichts zu sehen war, was die
Sache noch schauriger machte. Dann verschwand das Licht
wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen-
klüverbaums wieder aufzuflammen und dort seinen Irrlichtstanz
von neuem zu beginnen.

"Er steigt herunter," äußerte der Segelmacher, "das giebt
Wind, gut daß wir die Segel fort haben."

Jens hatte endlich sein Segel fest gemacht und war an
Deck gekommen, aber Niemand sprach zu ihm ein Wort über
das, was wir gesehen. Er selbst äußerte auch nichts; wahr-
scheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn
sein Benehmen war so unbefangen wie sonst. Auch vom Klüver-
baum war die Flamme jetzt verschwunden und zeigte sich nicht wieder.

Es war ein Elmsfeuer gewesen, das sich bei Gewitterluft
in den Tropen öfter auf den eisenbeschlagenen Spitzen der Masten
und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns
aber als Seele eines abgeschiedenen Kameraden gilt. Wenn es in

Werner
über dem Top der Vorbramſtenge ſchwebte ein kugelförmiges
bläuliches Licht. Bald hob es ſich einige Fuß, bald ſenkte es
ſich wieder oder ſchwebte ſeitwärts. Dann verſchwand es auf
einige Sekunden ganz, um wieder zu erſcheinen und ſeinen
unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem
Ruck abwärts und hielt ſich eine Zeit lang über dem Kopfe des
Leichtmatroſen, der das Vorbramſegel feſtmachte, während ſich
ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr
matter Schimmer erleuchtete nur den nächſten Umkreis, alles
übrige war in tiefe Nacht gehüllt.

„Er ruft Jens,“ flüſterte der Bootsmann, indem er mich
anrührte, „ſieh, wie er ihm auf die Schultern klettert.“

Mich überlief es kalt. Die blaſſe Kugel ſchien auf dem
Kopfe des Leichtmatroſen befeſtigt, welcher noch immer das
Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen
Schein über ſein Geſicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte,
obwol von dem übrigen Körper nichts zu ſehen war, was die
Sache noch ſchauriger machte. Dann verſchwand das Licht
wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen-
klüverbaums wieder aufzuflammen und dort ſeinen Irrlichtstanz
von neuem zu beginnen.

„Er ſteigt herunter,“ äußerte der Segelmacher, „das giebt
Wind, gut daß wir die Segel fort haben.“

Jens hatte endlich ſein Segel feſt gemacht und war an
Deck gekommen, aber Niemand ſprach zu ihm ein Wort über
das, was wir geſehen. Er ſelbſt äußerte auch nichts; wahr-
ſcheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn
ſein Benehmen war ſo unbefangen wie ſonſt. Auch vom Klüver-
baum war die Flamme jetzt verſchwunden und zeigte ſich nicht wieder.

Es war ein Elmsfeuer geweſen, das ſich bei Gewitterluft
in den Tropen öfter auf den eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten
und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns
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[84/0096] Werner über dem Top der Vorbramſtenge ſchwebte ein kugelförmiges bläuliches Licht. Bald hob es ſich einige Fuß, bald ſenkte es ſich wieder oder ſchwebte ſeitwärts. Dann verſchwand es auf einige Sekunden ganz, um wieder zu erſcheinen und ſeinen unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem Ruck abwärts und hielt ſich eine Zeit lang über dem Kopfe des Leichtmatroſen, der das Vorbramſegel feſtmachte, während ſich ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr matter Schimmer erleuchtete nur den nächſten Umkreis, alles übrige war in tiefe Nacht gehüllt. „Er ruft Jens,“ flüſterte der Bootsmann, indem er mich anrührte, „ſieh, wie er ihm auf die Schultern klettert.“ Mich überlief es kalt. Die blaſſe Kugel ſchien auf dem Kopfe des Leichtmatroſen befeſtigt, welcher noch immer das Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen Schein über ſein Geſicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte, obwol von dem übrigen Körper nichts zu ſehen war, was die Sache noch ſchauriger machte. Dann verſchwand das Licht wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen- klüverbaums wieder aufzuflammen und dort ſeinen Irrlichtstanz von neuem zu beginnen. „Er ſteigt herunter,“ äußerte der Segelmacher, „das giebt Wind, gut daß wir die Segel fort haben.“ Jens hatte endlich ſein Segel feſt gemacht und war an Deck gekommen, aber Niemand ſprach zu ihm ein Wort über das, was wir geſehen. Er ſelbſt äußerte auch nichts; wahr- ſcheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn ſein Benehmen war ſo unbefangen wie ſonſt. Auch vom Klüver- baum war die Flamme jetzt verſchwunden und zeigte ſich nicht wieder. Es war ein Elmsfeuer geweſen, das ſich bei Gewitterluft in den Tropen öfter auf den eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns aber als Seele eines abgeſchiedenen Kameraden gilt. Wenn es in

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/96>, abgerufen am 03.05.2024.