Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
denen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt,
kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut
geht, so wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder
die Sache scherzhaft aufgefaßt.

Eines Nachts, im biscayischen Meerbusen, als das Schiff
sehr heftig in schwerer See arbeitete, wurde einer unserer Leicht-
matrosen beim Reefen über die Raa geschleudert und hing an
der Vorderseite des Marssegels nur mit einer Hand an einer
von ihm ergriffenen Reffzeising. Wenige Secunden darauf wäre
er auf das Deck oder in die See gestürzt und in beiden Fällen
unbedingt verloren gewesen, da die Witterung das Aussetzen
von Booten nicht gestattete. Da ergriff ihn der neben ihm be-
findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen,
half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: "Ein anderes
Mal halt dich besser fest, du verdammter Landlubber!" --
Damit war die Sache abgethan.

Ein besonders grausiger Fall der Art, der mir später vor-
kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, ist mir noch lebhaft
im Gedächtniß geblieben.

Wir segelten mit der Fregatte Thetis, deren erster Officier
ich war, bei schönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer,
aber obwohl nur geringer Seegang herrschte, schlingerte das
Schiff ziemlich stark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als
vom Vorderschiff plötzlich der Schreckensruf "Mann über Bord"
erschallte. Ich sprang auf die Commandobank und blickte über
Bord, sah aber nur eine Mütze treiben und im Wasser kein
Anzeichen, daß ein schwerer Körper hineingefallen.

Die auf Kriegsschiffen für solche Fälle auf jeder Wache
abgetheilten Rettungsmannschaften waren auf den Ruf sofort zu
ihrem Boote geeilt, um es zu Wasser zu lassen und schon wollte
ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum
vorzuliegen schien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf
und furchtbar zusammenschrak. Ein Matrose hatte auf der

Eine erſte Seereiſe
denen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt,
kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut
geht, ſo wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder
die Sache ſcherzhaft aufgefaßt.

Eines Nachts, im biscayiſchen Meerbuſen, als das Schiff
ſehr heftig in ſchwerer See arbeitete, wurde einer unſerer Leicht-
matroſen beim Reefen über die Raa geſchleudert und hing an
der Vorderſeite des Marsſegels nur mit einer Hand an einer
von ihm ergriffenen Reffzeiſing. Wenige Secunden darauf wäre
er auf das Deck oder in die See geſtürzt und in beiden Fällen
unbedingt verloren geweſen, da die Witterung das Ausſetzen
von Booten nicht geſtattete. Da ergriff ihn der neben ihm be-
findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen,
half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: „Ein anderes
Mal halt dich beſſer feſt, du verdammter Landlubber!“ —
Damit war die Sache abgethan.

Ein beſonders grauſiger Fall der Art, der mir ſpäter vor-
kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, iſt mir noch lebhaft
im Gedächtniß geblieben.

Wir ſegelten mit der Fregatte Thetis, deren erſter Officier
ich war, bei ſchönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer,
aber obwohl nur geringer Seegang herrſchte, ſchlingerte das
Schiff ziemlich ſtark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als
vom Vorderſchiff plötzlich der Schreckensruf „Mann über Bord“
erſchallte. Ich ſprang auf die Commandobank und blickte über
Bord, ſah aber nur eine Mütze treiben und im Waſſer kein
Anzeichen, daß ein ſchwerer Körper hineingefallen.

Die auf Kriegsſchiffen für ſolche Fälle auf jeder Wache
abgetheilten Rettungsmannſchaften waren auf den Ruf ſofort zu
ihrem Boote geeilt, um es zu Waſſer zu laſſen und ſchon wollte
ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum
vorzuliegen ſchien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf
und furchtbar zuſammenſchrak. Ein Matroſe hatte auf der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0087" n="75"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
denen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt,<lb/>
kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut<lb/>
geht, &#x017F;o wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder<lb/>
die Sache &#x017F;cherzhaft aufgefaßt.</p><lb/>
        <p>Eines Nachts, im biscayi&#x017F;chen Meerbu&#x017F;en, als das Schiff<lb/>
&#x017F;ehr heftig in &#x017F;chwerer See arbeitete, wurde einer un&#x017F;erer Leicht-<lb/>
matro&#x017F;en beim Reefen über die Raa ge&#x017F;chleudert und hing an<lb/>
der Vorder&#x017F;eite des Mars&#x017F;egels nur mit einer Hand an einer<lb/>
von ihm ergriffenen Reffzei&#x017F;ing. Wenige Secunden darauf wäre<lb/>
er auf das Deck oder in die See ge&#x017F;türzt und in beiden Fällen<lb/>
unbedingt verloren gewe&#x017F;en, da die Witterung das Aus&#x017F;etzen<lb/>
von Booten nicht ge&#x017F;tattete. Da ergriff ihn der neben ihm be-<lb/>
findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen,<lb/>
half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: &#x201E;Ein anderes<lb/>
Mal halt dich be&#x017F;&#x017F;er fe&#x017F;t, du verdammter Landlubber!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Damit war die Sache abgethan.</p><lb/>
        <p>Ein be&#x017F;onders grau&#x017F;iger Fall der Art, der mir &#x017F;päter vor-<lb/>
kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, i&#x017F;t mir noch lebhaft<lb/>
im Gedächtniß geblieben.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;egelten mit der Fregatte Thetis, deren er&#x017F;ter Officier<lb/>
ich war, bei &#x017F;chönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer,<lb/>
aber obwohl nur geringer Seegang herr&#x017F;chte, &#x017F;chlingerte das<lb/>
Schiff ziemlich &#x017F;tark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als<lb/>
vom Vorder&#x017F;chiff plötzlich der Schreckensruf &#x201E;Mann über Bord&#x201C;<lb/>
er&#x017F;challte. Ich &#x017F;prang auf die Commandobank und blickte über<lb/>
Bord, &#x017F;ah aber nur eine Mütze treiben und im Wa&#x017F;&#x017F;er kein<lb/>
Anzeichen, daß ein &#x017F;chwerer Körper hineingefallen.</p><lb/>
        <p>Die auf Kriegs&#x017F;chiffen für &#x017F;olche Fälle auf jeder Wache<lb/>
abgetheilten Rettungsmann&#x017F;chaften waren auf den Ruf &#x017F;ofort zu<lb/>
ihrem Boote geeilt, um es zu Wa&#x017F;&#x017F;er zu la&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;chon wollte<lb/>
ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum<lb/>
vorzuliegen &#x017F;chien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf<lb/>
und furchtbar zu&#x017F;ammen&#x017F;chrak. Ein Matro&#x017F;e hatte auf der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0087] Eine erſte Seereiſe denen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt, kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut geht, ſo wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder die Sache ſcherzhaft aufgefaßt. Eines Nachts, im biscayiſchen Meerbuſen, als das Schiff ſehr heftig in ſchwerer See arbeitete, wurde einer unſerer Leicht- matroſen beim Reefen über die Raa geſchleudert und hing an der Vorderſeite des Marsſegels nur mit einer Hand an einer von ihm ergriffenen Reffzeiſing. Wenige Secunden darauf wäre er auf das Deck oder in die See geſtürzt und in beiden Fällen unbedingt verloren geweſen, da die Witterung das Ausſetzen von Booten nicht geſtattete. Da ergriff ihn der neben ihm be- findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen, half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: „Ein anderes Mal halt dich beſſer feſt, du verdammter Landlubber!“ — Damit war die Sache abgethan. Ein beſonders grauſiger Fall der Art, der mir ſpäter vor- kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, iſt mir noch lebhaft im Gedächtniß geblieben. Wir ſegelten mit der Fregatte Thetis, deren erſter Officier ich war, bei ſchönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer, aber obwohl nur geringer Seegang herrſchte, ſchlingerte das Schiff ziemlich ſtark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als vom Vorderſchiff plötzlich der Schreckensruf „Mann über Bord“ erſchallte. Ich ſprang auf die Commandobank und blickte über Bord, ſah aber nur eine Mütze treiben und im Waſſer kein Anzeichen, daß ein ſchwerer Körper hineingefallen. Die auf Kriegsſchiffen für ſolche Fälle auf jeder Wache abgetheilten Rettungsmannſchaften waren auf den Ruf ſofort zu ihrem Boote geeilt, um es zu Waſſer zu laſſen und ſchon wollte ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum vorzuliegen ſchien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf und furchtbar zuſammenſchrak. Ein Matroſe hatte auf der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/87
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/87>, abgerufen am 22.11.2024.