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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner

Sorglose Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht-
sinn bezeichnet werden muß und ernstere Gedanken an die Zu-
kunft nicht aufkommen läßt, sind vorwiegende Charakterzüge des
Matrosen. Sie sprechen sich in seinem Thun und Lassen, in
seinem Sprechen, Denken und in seinen Liedern aus. Vom
Singen ist er ein großer Freund; merkwürdiger Weise ist aber
der Schatz wirklicher Seemannslieder ein sehr kleiner in Deutsch-
land, während die Engländer davon Hunderte und oft von
drastischer Komik haben.

Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteischiffen wird von
Gesang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote,
überhaupt alles, wobei Kraftanstrengung und namentlich gleich-
zeitige erforderlich ist, geht nach dem Tacte von Liedern, deren
Text allerdings sehr oft nicht vor dem Richterstuhl guten Ge-
schmacks bestehen kann. Diese Arbeitsgesänge, wie man sie wohl
nennen kann, haben alle denselben Zuschnitt. Der Vorsänger
singt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen
Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu-
gleich an einem Tau ziehen sollen. Unter den übrigen Liedern,
die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine's "Loreley" einen
hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe gesungen,
wenn die Leute recht schwer und lange gearbeitet haben. Daß es
überhaupt von den Matrosen adoptirt ist, gründet sich wohl auf
den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß sie es aber
regelmäßig nach schwerer Arbeit anstimmen, habe ich mir nicht
erklären können, es sei denn, daß dann ihre Gemüthsstimmung
mit den beiden ersten Strophen sympathisirt. Bei uns an
Bord wurde in den Freizeiten viel gesungen. Wir hatten recht
gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matrosen kannte
auch ganz passable Lieder, die er entweder selbst gemacht oder
irgendwo aufgelesen hatte. Eins derselben, das den oben er-
wähnten "Kehr dich an nichts" des Seemanns in humoristischer
Weise veranschaulicht und dabei nach Salzwasser schmeckt, sprach

Werner

Sorgloſe Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht-
ſinn bezeichnet werden muß und ernſtere Gedanken an die Zu-
kunft nicht aufkommen läßt, ſind vorwiegende Charakterzüge des
Matroſen. Sie ſprechen ſich in ſeinem Thun und Laſſen, in
ſeinem Sprechen, Denken und in ſeinen Liedern aus. Vom
Singen iſt er ein großer Freund; merkwürdiger Weiſe iſt aber
der Schatz wirklicher Seemannslieder ein ſehr kleiner in Deutſch-
land, während die Engländer davon Hunderte und oft von
draſtiſcher Komik haben.

Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteiſchiffen wird von
Geſang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote,
überhaupt alles, wobei Kraftanſtrengung und namentlich gleich-
zeitige erforderlich iſt, geht nach dem Tacte von Liedern, deren
Text allerdings ſehr oft nicht vor dem Richterſtuhl guten Ge-
ſchmacks beſtehen kann. Dieſe Arbeitsgeſänge, wie man ſie wohl
nennen kann, haben alle denſelben Zuſchnitt. Der Vorſänger
ſingt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen
Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu-
gleich an einem Tau ziehen ſollen. Unter den übrigen Liedern,
die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine’s „Loreley“ einen
hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe geſungen,
wenn die Leute recht ſchwer und lange gearbeitet haben. Daß es
überhaupt von den Matroſen adoptirt iſt, gründet ſich wohl auf
den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß ſie es aber
regelmäßig nach ſchwerer Arbeit anſtimmen, habe ich mir nicht
erklären können, es ſei denn, daß dann ihre Gemüthsſtimmung
mit den beiden erſten Strophen ſympathiſirt. Bei uns an
Bord wurde in den Freizeiten viel geſungen. Wir hatten recht
gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matroſen kannte
auch ganz paſſable Lieder, die er entweder ſelbſt gemacht oder
irgendwo aufgeleſen hatte. Eins derſelben, das den oben er-
wähnten „Kehr dich an nichts“ des Seemanns in humoriſtiſcher
Weiſe veranſchaulicht und dabei nach Salzwaſſer ſchmeckt, ſprach

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[66/0078] Werner Sorgloſe Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht- ſinn bezeichnet werden muß und ernſtere Gedanken an die Zu- kunft nicht aufkommen läßt, ſind vorwiegende Charakterzüge des Matroſen. Sie ſprechen ſich in ſeinem Thun und Laſſen, in ſeinem Sprechen, Denken und in ſeinen Liedern aus. Vom Singen iſt er ein großer Freund; merkwürdiger Weiſe iſt aber der Schatz wirklicher Seemannslieder ein ſehr kleiner in Deutſch- land, während die Engländer davon Hunderte und oft von draſtiſcher Komik haben. Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteiſchiffen wird von Geſang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote, überhaupt alles, wobei Kraftanſtrengung und namentlich gleich- zeitige erforderlich iſt, geht nach dem Tacte von Liedern, deren Text allerdings ſehr oft nicht vor dem Richterſtuhl guten Ge- ſchmacks beſtehen kann. Dieſe Arbeitsgeſänge, wie man ſie wohl nennen kann, haben alle denſelben Zuſchnitt. Der Vorſänger ſingt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu- gleich an einem Tau ziehen ſollen. Unter den übrigen Liedern, die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine’s „Loreley“ einen hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe geſungen, wenn die Leute recht ſchwer und lange gearbeitet haben. Daß es überhaupt von den Matroſen adoptirt iſt, gründet ſich wohl auf den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß ſie es aber regelmäßig nach ſchwerer Arbeit anſtimmen, habe ich mir nicht erklären können, es ſei denn, daß dann ihre Gemüthsſtimmung mit den beiden erſten Strophen ſympathiſirt. Bei uns an Bord wurde in den Freizeiten viel geſungen. Wir hatten recht gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matroſen kannte auch ganz paſſable Lieder, die er entweder ſelbſt gemacht oder irgendwo aufgeleſen hatte. Eins derſelben, das den oben er- wähnten „Kehr dich an nichts“ des Seemanns in humoriſtiſcher Weiſe veranſchaulicht und dabei nach Salzwaſſer ſchmeckt, ſprach

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/78>, abgerufen am 24.11.2024.