Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine erste Seereise
kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man
trank trotz der Erlaubniß so wenig, wie man irgend konnte
und ertrug freiwillig (eben so gut könnte man freilich auch sagen,
gezwungen) Qualen des Durstes.

Wie schon erwähnt, befanden sich, um Ladungsraum zu
ersparen, die meisten Wasserfässer auf Deck und nur etwa sechs
bis acht Pipen, die einen Reservevorrath für einen Monat
bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen
Verhältnissen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen war, daß eine Sturzsee auf dem Deck tabula rasa
machte und sie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit
waren wir nur auf jene angewiesen, in denen sich aber durch
die Einwirkung der Tropensonne ein Fäulnißprozeß bildete, der
uns veranlaßte, das Wasser nur zu genießen, wenn wir es vor
Durst nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit
geschlossenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht
nur trübe, sondern gradezu schleimig, zog Fäden und roch
schrecklich nach Schwefelwasserstoffgas. Als ich zum ersten Male
davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben,
aber der Durst erwies sich als der Stärkere; die unappetitliche
Flüssigkeit blieb schließlich im Magen. Merkwürdig genug be-
nachtheiligte das offenbar faule Wasser unsere Gesundheit nicht
im geringsten. Würde man in den Tropen dergleichen Wasser
am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja selbst nur
fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, so würde der
Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöses Fieber
einschlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde
von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es
auf andern Schiffen der Fall gewesen, obwohl dort ganz die-
selben Verhältnisse obwalteten. Dieser Fäulnißprozeß dauerte
etwa vierzehn Tage; dann sanken die davon ergriffenen vege-
tabilischen Stoffe allmälig zu Boden, das Wasser klärte sich
und der Geruch verschwand. Eine Menge kleiner Thierchen

Eine erſte Seereiſe
kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man
trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte
und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen,
gezwungen) Qualen des Durſtes.

Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu
erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs
bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat
bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen
Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht
ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa
machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit
waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch
die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der
uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor
Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit
geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht
nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch
ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male
davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben,
aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche
Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be-
nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht
im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer
am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur
fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der
Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber
einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde
von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es
auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die-
ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte
etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege-
tabiliſchen Stoffe allmälig zu Boden, das Waſſer klärte ſich
und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="61"/><fw place="top" type="header">Eine er&#x017F;te Seerei&#x017F;e</fw><lb/>
kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man<lb/>
trank trotz der Erlaubniß &#x017F;o <hi rendition="#g">wenig</hi>, wie man irgend konnte<lb/>
und ertrug freiwillig (eben &#x017F;o gut könnte man freilich auch &#x017F;agen,<lb/>
gezwungen) Qualen des Dur&#x017F;tes.</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;chon erwähnt, befanden &#x017F;ich, um Ladungsraum zu<lb/>
er&#x017F;paren, die mei&#x017F;ten Wa&#x017F;&#x017F;erfä&#x017F;&#x017F;er auf Deck und nur etwa &#x017F;echs<lb/>
bis acht Pipen, die einen Re&#x017F;ervevorrath für einen Monat<lb/>
bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht<lb/>
ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war, daß eine Sturz&#x017F;ee auf dem Deck <hi rendition="#aq">tabula rasa</hi><lb/>
machte und &#x017F;ie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit<lb/>
waren wir nur auf jene angewie&#x017F;en, in denen &#x017F;ich aber durch<lb/>
die Einwirkung der Tropen&#x017F;onne ein Fäulnißprozeß bildete, der<lb/>
uns veranlaßte, das Wa&#x017F;&#x017F;er nur zu genießen, wenn wir es vor<lb/>
Dur&#x017F;t nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht<lb/>
nur trübe, &#x017F;ondern gradezu &#x017F;chleimig, zog Fäden und roch<lb/>
&#x017F;chrecklich nach Schwefelwa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;toffgas. Als ich zum er&#x017F;ten Male<lb/>
davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben,<lb/>
aber der Dur&#x017F;t erwies &#x017F;ich als der Stärkere; die unappetitliche<lb/>
Flü&#x017F;&#x017F;igkeit blieb &#x017F;chließlich im Magen. Merkwürdig genug be-<lb/>
nachtheiligte das offenbar faule Wa&#x017F;&#x017F;er un&#x017F;ere Ge&#x017F;undheit nicht<lb/>
im gering&#x017F;ten. Würde man in den Tropen dergleichen Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/><hi rendition="#g">am Lande</hi> aus irgend einem Pfuhl trinken, ja &#x017F;elb&#x017F;t nur<lb/>
fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, &#x017F;o würde der<lb/>
Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciö&#x017F;es Fieber<lb/>
ein&#x017F;chlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde<lb/>
von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es<lb/>
auf andern Schiffen der Fall gewe&#x017F;en, obwohl dort ganz die-<lb/>
&#x017F;elben Verhältni&#x017F;&#x017F;e obwalteten. Die&#x017F;er Fäulnißprozeß dauerte<lb/>
etwa vierzehn Tage; dann &#x017F;anken die davon ergriffenen vege-<lb/>
tabili&#x017F;chen Stoffe allmälig zu Boden, das Wa&#x017F;&#x017F;er klärte &#x017F;ich<lb/>
und der Geruch ver&#x017F;chwand. Eine Menge kleiner Thierchen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0073] Eine erſte Seereiſe kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen, gezwungen) Qualen des Durſtes. Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be- nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die- ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege- tabiliſchen Stoffe allmälig zu Boden, das Waſſer klärte ſich und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/73
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/73>, abgerufen am 03.05.2024.