in Gegenwart von so hohen Persönlichkeiten zu rauchen, wäre nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Respects- widrigkeit gewesen. Die Unterhaltung, eben so ernst, gemessen und schwerfällig, wie die Personen selbst, die sie führten, drehte sich natürlich nur um Fachgegenstände, war aber trotzdem mit sehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländische Sprache so reich ist, und die sie in den Augen der Niederländer zu einer so "krachtigen Taal" -- kräftigen Sprache -- machen, wie sie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen.
Zwei Stunden hielt ich unter den "Vollbefahrenen" aus, dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiste sitzend, bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf den Knien, einen Brief an die Eltern zu schreiben, während die an Bord zurückgebliebenen Matrosen rauchend und Karten spielend die Plätze an den Tischen einnahmen.
Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes, dagegen desto mehr Abschreckendes durch das rohe Treiben in den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur Ehre unserer Mannschaft muß ich sagen, daß sie sich von demselben fernhielt und den Umgang mit dem Abschaum mied, der einen großen Theil der holländischen Kriegsschiffsbesatzungen bildete. Holland hatte damals für seine Größe eine ungemein bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5--600 große Ostindien- fahrer, mit je 40--50 Mann Besatzung; da blieben für die auf das Werbesystem angewiesenen Kriegsschiffe nicht viel einheimische Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen seiner zweifel- haften Elemente sehr in Mißcredit stehenden Dienst auf der Kriegs- flotte aufsuchte. Ein Seemann, der etwas auf seine Reputation unter den Kameraden gab, sträubte sich so lange wie möglich dagegen, und so war die Marine gezwungen, zur Completirung ihrer Mannschaften zu nehmen, was sich bot; der Charakter
Werner
in Gegenwart von ſo hohen Perſönlichkeiten zu rauchen, wäre nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Reſpects- widrigkeit geweſen. Die Unterhaltung, eben ſo ernſt, gemeſſen und ſchwerfällig, wie die Perſonen ſelbſt, die ſie führten, drehte ſich natürlich nur um Fachgegenſtände, war aber trotzdem mit ſehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländiſche Sprache ſo reich iſt, und die ſie in den Augen der Niederländer zu einer ſo „krachtigen Taal“ — kräftigen Sprache — machen, wie ſie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen.
Zwei Stunden hielt ich unter den „Vollbefahrenen“ aus, dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiſte ſitzend, bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf den Knien, einen Brief an die Eltern zu ſchreiben, während die an Bord zurückgebliebenen Matroſen rauchend und Karten ſpielend die Plätze an den Tiſchen einnahmen.
Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes, dagegen deſto mehr Abſchreckendes durch das rohe Treiben in den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur Ehre unſerer Mannſchaft muß ich ſagen, daß ſie ſich von demſelben fernhielt und den Umgang mit dem Abſchaum mied, der einen großen Theil der holländiſchen Kriegsſchiffsbeſatzungen bildete. Holland hatte damals für ſeine Größe eine ungemein bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5—600 große Oſtindien- fahrer, mit je 40—50 Mann Beſatzung; da blieben für die auf das Werbeſyſtem angewieſenen Kriegsſchiffe nicht viel einheimiſche Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen ſeiner zweifel- haften Elemente ſehr in Mißcredit ſtehenden Dienſt auf der Kriegs- flotte aufſuchte. Ein Seemann, der etwas auf ſeine Reputation unter den Kameraden gab, ſträubte ſich ſo lange wie möglich dagegen, und ſo war die Marine gezwungen, zur Completirung ihrer Mannſchaften zu nehmen, was ſich bot; der Charakter
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Werner
in Gegenwart von ſo hohen Perſönlichkeiten zu rauchen, wäre
nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Reſpects-
widrigkeit geweſen. Die Unterhaltung, eben ſo ernſt, gemeſſen
und ſchwerfällig, wie die Perſonen ſelbſt, die ſie führten, drehte
ſich natürlich nur um Fachgegenſtände, war aber trotzdem
mit ſehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländiſche
Sprache ſo reich iſt, und die ſie in den Augen der Niederländer
zu einer ſo „krachtigen Taal“ — kräftigen Sprache — machen,
wie ſie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen.
Zwei Stunden hielt ich unter den „Vollbefahrenen“ aus,
dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord
zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiſte ſitzend,
bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf
den Knien, einen Brief an die Eltern zu ſchreiben, während die
an Bord zurückgebliebenen Matroſen rauchend und Karten
ſpielend die Plätze an den Tiſchen einnahmen.
Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes,
dagegen deſto mehr Abſchreckendes durch das rohe Treiben in
den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur
Ehre unſerer Mannſchaft muß ich ſagen, daß ſie ſich von
demſelben fernhielt und den Umgang mit dem Abſchaum mied,
der einen großen Theil der holländiſchen Kriegsſchiffsbeſatzungen
bildete. Holland hatte damals für ſeine Größe eine ungemein
bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5—600 große Oſtindien-
fahrer, mit je 40—50 Mann Beſatzung; da blieben für die auf
das Werbeſyſtem angewieſenen Kriegsſchiffe nicht viel einheimiſche
Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil
den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen ſeiner zweifel-
haften Elemente ſehr in Mißcredit ſtehenden Dienſt auf der Kriegs-
flotte aufſuchte. Ein Seemann, der etwas auf ſeine Reputation
unter den Kameraden gab, ſträubte ſich ſo lange wie möglich
dagegen, und ſo war die Marine gezwungen, zur Completirung
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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