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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise

"Wie bin ich denn aber gerettet worden?" fragte ich, "ich
bin doch über Bord gefallen."

"Ja, bisweilen ist ein verkehrter Kink auch zu etwas
nütze" erwiederte er lächelnd "das hast Du der Beschlagzei-
sing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber schweige, trink
hier den Schluck, den der Alte Dir geschickt und dann schlafe.
Morgen früh mußt Du wieder auf sein, denn da brauchen wir
alle Mann. Es steckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich
fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje."

Dabei reichte er mir eine Flasche Madeira, aus der ich
einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die
Adern rieselte und mich wunderbar belebte.

"Danke Bootsmann, wie viel Uhr ist es?"

"Gleich vier Glas*."

Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver festmachen
sollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte also zwei Stunden
ohne Bewußtsein gelegen haben und der Bootsmann hatte diese
Zeit von seiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen.
Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich
stand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen.

"Wo ist Heinrich?" fragte ich weiter.

Der Alte drehte sich ab und fuhr mit der verkehrten Hand
über die Augen. "Er schläft -- in Gottes Keller" erwiederte
er halblaut.

Ich verstand nur die ersten Worte, den Sinn der letzten
jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte
ich an seinen tiefen Athemzügen, daß er schlief. Ich sann
darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be-
schlagzeising gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein

* Der Tag an Bord ist in vierstündige Wachen getheilt. Die
Zeit derselben wurde früher nach Halb-Stundengläsern bemessen. Um
12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 "Glas" ausgelaufen
waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abschaffung der Sanduhren hat
man die alte Bezeichnung beibehalten.
Eine erſte Seereiſe

„Wie bin ich denn aber gerettet worden?“ fragte ich, „ich
bin doch über Bord gefallen.“

„Ja, bisweilen iſt ein verkehrter Kink auch zu etwas
nütze“ erwiederte er lächelnd „das haſt Du der Beſchlagzei-
ſing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber ſchweige, trink
hier den Schluck, den der Alte Dir geſchickt und dann ſchlafe.
Morgen früh mußt Du wieder auf ſein, denn da brauchen wir
alle Mann. Es ſteckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich
fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje.“

Dabei reichte er mir eine Flaſche Madeira, aus der ich
einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die
Adern rieſelte und mich wunderbar belebte.

„Danke Bootsmann, wie viel Uhr iſt es?“

„Gleich vier Glas*.“

Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver feſtmachen
ſollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte alſo zwei Stunden
ohne Bewußtſein gelegen haben und der Bootsmann hatte dieſe
Zeit von ſeiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen.
Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich
ſtand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen.

„Wo iſt Heinrich?“ fragte ich weiter.

Der Alte drehte ſich ab und fuhr mit der verkehrten Hand
über die Augen. „Er ſchläft — in Gottes Keller“ erwiederte
er halblaut.

Ich verſtand nur die erſten Worte, den Sinn der letzten
jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte
ich an ſeinen tiefen Athemzügen, daß er ſchlief. Ich ſann
darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be-
ſchlagzeiſing gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein

* Der Tag an Bord iſt in vierſtündige Wachen getheilt. Die
Zeit derſelben wurde früher nach Halb-Stundengläſern bemeſſen. Um
12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 „Glas“ ausgelaufen
waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abſchaffung der Sanduhren hat
man die alte Bezeichnung beibehalten.
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[27/0039] Eine erſte Seereiſe „Wie bin ich denn aber gerettet worden?“ fragte ich, „ich bin doch über Bord gefallen.“ „Ja, bisweilen iſt ein verkehrter Kink auch zu etwas nütze“ erwiederte er lächelnd „das haſt Du der Beſchlagzei- ſing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber ſchweige, trink hier den Schluck, den der Alte Dir geſchickt und dann ſchlafe. Morgen früh mußt Du wieder auf ſein, denn da brauchen wir alle Mann. Es ſteckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje.“ Dabei reichte er mir eine Flaſche Madeira, aus der ich einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die Adern rieſelte und mich wunderbar belebte. „Danke Bootsmann, wie viel Uhr iſt es?“ „Gleich vier Glas *.“ Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver feſtmachen ſollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte alſo zwei Stunden ohne Bewußtſein gelegen haben und der Bootsmann hatte dieſe Zeit von ſeiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen. Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich ſtand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen. „Wo iſt Heinrich?“ fragte ich weiter. Der Alte drehte ſich ab und fuhr mit der verkehrten Hand über die Augen. „Er ſchläft — in Gottes Keller“ erwiederte er halblaut. Ich verſtand nur die erſten Worte, den Sinn der letzten jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte ich an ſeinen tiefen Athemzügen, daß er ſchlief. Ich ſann darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be- ſchlagzeiſing gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein * Der Tag an Bord iſt in vierſtündige Wachen getheilt. Die Zeit derſelben wurde früher nach Halb-Stundengläſern bemeſſen. Um 12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 „Glas“ ausgelaufen waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abſchaffung der Sanduhren hat man die alte Bezeichnung beibehalten.

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/39>, abgerufen am 28.03.2024.