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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner
Auf- und Niederstampfen bisweilen so nahe kamen, daß unsere
Füße sie berührten -- alles das wirkte wie bezaubernd auf
mich ein und bestrickte förmlich meine Sinne. Ja, so hatte
ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich
gesehnt, das die Poesie des Meeres, die mich so mächtig ange-
zogen und meine Phantasie beschäftigt hatte. Oh wie freudig
bewegte das mein Herz, so hatte ich mich doch nicht getäuscht
und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geist entfaltete seine
Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechanisch nur
arbeiteten meine Hände.

Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge-
bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes "Festhalten" war
vergessen. Das Schiff stampfte auf einmal sehr schwer hinunter.
Wir lagen über dem Baum und hielten das sich sträubende
Segel. Da schlug die See unter das Pferd, in dem wir
standen und mit Gewalt unter unsere Füße; gleichzeitig faßte
der Wind wieder das Klüverschoot und peitschte es hinaus in
die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch
den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über
den Baum fort und stürzten hinunter in die gähnende Tiefe.
Ich glaubte den Ruf "Mann über Bord" zu hören, empfand
etwas wie einen Schlag -- dann verlor ich die Besinnung.

Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufschlug, lag
ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiste saß der Boots-
mann und hatte meine Hand gefaßt.

"Schweizer" sagte er und seine sonst so rauhe Stimme
klang freundlich und herzlich "beinah wäre das mit Dir unklar
gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir sage und
halte Dich fest. Siehst Du mein Junge, wenn man ein ordent-
licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger
einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den
Marssegeln den Klüver fest macht, dann müssen Bauch und
Beine wie eine Wantschraube den Baum festhalten."


Werner
Auf- und Niederſtampfen bisweilen ſo nahe kamen, daß unſere
Füße ſie berührten — alles das wirkte wie bezaubernd auf
mich ein und beſtrickte förmlich meine Sinne. Ja, ſo hatte
ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich
geſehnt, das die Poeſie des Meeres, die mich ſo mächtig ange-
zogen und meine Phantaſie beſchäftigt hatte. Oh wie freudig
bewegte das mein Herz, ſo hatte ich mich doch nicht getäuſcht
und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geiſt entfaltete ſeine
Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechaniſch nur
arbeiteten meine Hände.

Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge-
bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes „Feſthalten“ war
vergeſſen. Das Schiff ſtampfte auf einmal ſehr ſchwer hinunter.
Wir lagen über dem Baum und hielten das ſich ſträubende
Segel. Da ſchlug die See unter das Pferd, in dem wir
ſtanden und mit Gewalt unter unſere Füße; gleichzeitig faßte
der Wind wieder das Klüverſchoot und peitſchte es hinaus in
die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch
den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über
den Baum fort und ſtürzten hinunter in die gähnende Tiefe.
Ich glaubte den Ruf „Mann über Bord“ zu hören, empfand
etwas wie einen Schlag — dann verlor ich die Beſinnung.

Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufſchlug, lag
ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiſte ſaß der Boots-
mann und hatte meine Hand gefaßt.

„Schweizer“ ſagte er und ſeine ſonſt ſo rauhe Stimme
klang freundlich und herzlich „beinah wäre das mit Dir unklar
gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir ſage und
halte Dich feſt. Siehſt Du mein Junge, wenn man ein ordent-
licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger
einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den
Marsſegeln den Klüver feſt macht, dann müſſen Bauch und
Beine wie eine Wantſchraube den Baum feſthalten.“


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[26/0038] Werner Auf- und Niederſtampfen bisweilen ſo nahe kamen, daß unſere Füße ſie berührten — alles das wirkte wie bezaubernd auf mich ein und beſtrickte förmlich meine Sinne. Ja, ſo hatte ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich geſehnt, das die Poeſie des Meeres, die mich ſo mächtig ange- zogen und meine Phantaſie beſchäftigt hatte. Oh wie freudig bewegte das mein Herz, ſo hatte ich mich doch nicht getäuſcht und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geiſt entfaltete ſeine Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechaniſch nur arbeiteten meine Hände. Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge- bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes „Feſthalten“ war vergeſſen. Das Schiff ſtampfte auf einmal ſehr ſchwer hinunter. Wir lagen über dem Baum und hielten das ſich ſträubende Segel. Da ſchlug die See unter das Pferd, in dem wir ſtanden und mit Gewalt unter unſere Füße; gleichzeitig faßte der Wind wieder das Klüverſchoot und peitſchte es hinaus in die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über den Baum fort und ſtürzten hinunter in die gähnende Tiefe. Ich glaubte den Ruf „Mann über Bord“ zu hören, empfand etwas wie einen Schlag — dann verlor ich die Beſinnung. Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufſchlug, lag ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiſte ſaß der Boots- mann und hatte meine Hand gefaßt. „Schweizer“ ſagte er und ſeine ſonſt ſo rauhe Stimme klang freundlich und herzlich „beinah wäre das mit Dir unklar gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir ſage und halte Dich feſt. Siehſt Du mein Junge, wenn man ein ordent- licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den Marsſegeln den Klüver feſt macht, dann müſſen Bauch und Beine wie eine Wantſchraube den Baum feſthalten.“

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/38>, abgerufen am 29.03.2024.